Das größte Brackwassermeer der Welt ist ein Patient. Sauerstoffmangel, Eutrophierung, Blaualgen und Klimawandel bedrohen seine sensiblen Ökosysteme und sorgen mit toten Fischen und Badeverboten für Schlagzeilen. Um es zu retten, kooperieren die Anrainerstaaten in internationalen Hilfsprojekten wie BERNET CATCH.
Bitte nur Südwind oder Ostwind, ist das Stoßgebet im Sommer an der Ostsee. Denn dann bleiben sie den Badestränden der Küsten fern: die Blaualgen. Sobald die Temperaturen steigen, breiten sie sich aus und bilden riesige, nach verfaulten Eiern stinkende Teppiche, die durchs Meer wabern.
Die Biester, die die Badegäste vertreiben, sind in Wirklichkeit keine Algen, sondern Bakterien, die ihren irreführenden Namen dem blaugrünen Farbstoff Pycocyanin verdanken. Verschluckt man sie, kann es zu Übelkeit, Durchfall und Erbrechen, schlimmstenfalls sogar zu Lebervergiftungen kommen.
Zu erkennen ist die giftige Algenblüte nicht nur am Geruch, sondern auch an der Trübung des Wassers – statt zwei Metern beträgt die Sichttiefe in der Ostsee dann nur noch 20 Zentimeter, und Schlieren ziehen sich durch das Badewasser.
Wie groß die sommerliche Algenblüte ist, hat das Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde fest im Blick. Täglich umkreisen zwei Satelliten der NASA die Erde und liefern den Meeresforschern zwei Mal pro Tag die Daten, die sie auswerten und bei Alarmstufe gelb an die Behörden weiterleiten.
Als Ursache für die giftige Algenblüte gilt die hohen Konzentration von Nährstoffen im Ostseewasser, die „Eutrophierung“. Besonders Phosphor und Nitrate werden von den gedüngten Feldern, aber auch von Kraftwerken und Industriebetrieben in die Seen und über die Flüsse in das Meer geschwemmt.
Die Folge: Von 1900 bis 1980 vervierfachte sich die Stickstoffkonzentration im Meer, die Phosphateinträge stiegt sogar um das Achtfache! Seitdem sind die Zahlen konstant – aber auf einem Niveau, das das Meer kaum noch verkraften kann: 641.000 Tonnen Stickstoff und 30.200 Tonnen Phosphor fließen jährlich in die Ostsee.
2009 kartierte und klassifizierte die Helsinki-Kommission (HELCOM) erstmals den Eutrophierungszustand der Ostsee. Von den 189 untersuchten Arealen – 172 Küsten- und 17 offene Seegebiete – besaßen nur elf einen guten ökologischen Zustand.
Im Ostseeaktionsplan, den 2007 alle Ostseeanliegerstaaten verabschiedeten, wurden deshalb konkrete Ziele zu Reduktion der Nährstoffeinträge vereinbart – minus 15.250 Tonnen Phosphor und 135.000 Tonnen Stickstoff pro Jahr. Das Ziel: eine Ostsee frei von Eutrophierung. Im BERNET CATCH-Projekt wurde die Nährstoffanreicherung in der Ostsee ab 2003 ganz konkret bekämpft.
Der Tod in der Tiefe
Eutrophierung und Blaualgenblüte bescheren der Ostsee schon heute „Todeszonen“, extrem sauerstoffarme Gebiete, in denen das Leben abstirbt. Dass dem Wasser buchstäblich die Luft ausgeht, sorgte erstmals 1986 für Schlagzeilen.
Damals zogen die Langustenfischer im Kattegat, dem Ostseearm zwischen Dänemark und Schwedens Westküste, nur noch tote Krebse aus dem Waser. Dünger, Autoabgase und der Klimawandel hatten dort eine Zone mit chronischem Sauerstoffmangel entstehen lassen. Den Beweis dafür fanden die Warnemünder Forscher im Schlamm.
Tonnenweise hatte sich am Meeresgrund abgestorbenes organisches Material zersetzt, dabei sämtlichen Sauerstoff aufgezehrt und Schwefelwasserstoff gebildet – der Killer für jede Form von höherem Leben. Verstärkt wird dieser Prozess durch zwei Fakten.
Zum einen ist die Ostsee ein geschichtetes Meer, in dem bis 60 m Tiefe das Wasser brackig und reich an Sauerstoff ist, darunter deutlich salzhaltiger. Während organische Partikel durch ihr Gewicht ungehindert hinab sinken, können Sauerstoff und andere gelöste Gaste die Grenze zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser nicht überwinden.
Zum zweiten ist die Ostsee ein Binnenmeer und nur durch die Meerenge der Beltsee mit der salzreicheren Nordsee und den Ozeanen verbunden. Fast 40 Jahre dauert ein kompletter Wasseraustausch durch dieses Schlupfloch. Herbst- und Winterstürme versorgen das 8.000 Jahre alte Binnenmeer nur an der Oberfläche mit frischem Sauerstoff, in die Tiefe gelang er nur sehr schwer.
Der Winter 2003 jedoch war ein Glücksfall. Damals kam es zu einem „Salzwassereinbruch“: 230 km3 Nordseewasser strömten ein und tauschten nahezu das gesamte Bodenwasser aus. In ihren zentralen Regionen konnte die Ostsee einmal kurz durchatmen.
Inzwischen ist die Sauerstoffzehrung so weit fortgeschritten, dass der Wasserkörper direkt unterhalb der Salzgehaltssprungschicht suboxisch (Sauerstoff-Gehalt unter 2 ml/l), ab einer Tiefe von 130 Meter anoxisch, und damit sauerstofffrei und sehr schwefelwasserstoffhaltig ist.
Rammt man einen Bohrstab in die Sedimente der Ostsee, sieht man, dass ihre Sauerstoffarmut kein Präzedenzfall ist, sondern sauerstoffarme Zeiten mit Phasen von erhöhtem Einstrom von sauerstoffreichen Salzwasser abwechselten, die als helle, homogene Sedimentpakete zu erkennen sind.
Doch damals hatte die Ostsee noch nicht zusätzlich mit Mensch gemachten Problemen zu kämpfen. Und der Verschmutzung durch den starken Schiffsverkehr, dem boomenden Kreuzfahrttourismus und den Altlasten aus der sozialistischen Ära und dem zweiten Weltkrieg, bei dem massenhaft Munition und mehr im Meer versenkt wurden.
Steckbrief Ostsee
Fläche : 412 560 km² – sie ist damit größer als Deutschland (356 957 km²)
Wasser-Volumen : 21.631 km³ – gut die Hälfte der Nordsee.
Süd-Nord-Ausdehnung: 1.300 km (54° – 66° N)
West-Ost-Ausdehnung: 1.000 km (10° – 30° E)
Maximale Breite: 300 km
Mittlere Tiefe: 52 m
Maximale Tiefe: 459 m (im Landsorttief)
Wasserhaushalt : Niederschlag 225 km³/Jahr, Verdunstung 185 km³/Jahr
Quelle : Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, www.io-warnemuende.de
Top 5-Probleme
• Sauerstoffmangel
• Eutrophierung
• Blaualgen
• Verschmutzung
• Klimawandel
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DuMont-Bildatlas Ostseeküste Schleswig-Holstein
Deutschland hat viele reizvolle Landschaften. Eine besonders schöne versteckt sich im hohen Norden. Wer Sonne und Meerluft genießen möchte, wer Gefallen findet an endlosen Stränden und hübschen Promenaden, und wem auch gelegentlich schlechtes Wetter nichts ausmacht, der hier an der Ostsee genau richtig aufgehoben.
An Regentagen kommt keine Langeweile auf, denn auch die Städte haben viel zu bieten: interessante Museen, schöne Lokale, Flair und historische Bauten – allein in Lübeck stehen mehr als 3000 Bürgerhäuser. Die Altstadt ist Weltkulturerbe.
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2 Gedanken zu „Erste Hilfe für die Ostsee“
Wenn es am Sauerstoffmangel liegt, dann liegt es leider an uns allen. Weil wir die Landwirtschaft ja konsumieren
ja, so ist es, lieber Jan. Viele Grüße, Hilke