Die Abenteuerstraße trägt ihren Namen zu Recht: Sie führt mitten durchs wilde Herz Norwegens. Auf 500 km Länge präsentiert sie die Quintessenz des Königreichs: schneeglitzernde Berge, kristallklare Fjorde, donnernde Wasserfälle und stille Wälder, blühende Obstbaumgärten und Bergen, die Hansestadt, die auch im pladdernden Regen mit Charme besticht.
Gierig leckt Rugg den Honig vom Holzlöffel. Besonders die darin festgeklebten Ameisen schmecken dem zwölf Jahre alten Braunbären sichtlich. „Auf zehn Kilometer Entfernung kann er solche Leckerbissen riechen“, sagt Heidrun Poku. Die 58-jährige Lübeckerin ist Tierpflegerin im Vassfaret Bjørnepark von Flå, der südlichsten Gemeinde des Hallingdales und östliches Tor zur Abenteuerstraße.
Ihr Name ist missverständlich – denn der „Eventyrveien“ ist keine touristische Route wie die Romantische Straße, sondern besteht aus mehreren Strecken zwischen Bergen und Oslo, die einladen, aus dem reichen Angebot der norwegischen Kultur und Natur, sportlichen Aktivitäten oder kulinarischen Genüsse sich seine ganz eigene Abenteuerroute zu kreieren.
Und dazu gehören als erstes die Bären. Bis 1972 lebten sie noch wild in den lichten Kiefernwäldern der sanften Hügel inmitten von hüfthohen Blaubeerbüschen, verwitterten Granitfelsen, Heidekraut und würzigen Bergkräutern. Heute hat Rugg als größter Braunbär des Landes im Bärenpark eine neue Heimat gefunden – doch seine grizzlygleiche Erscheinung hilft wenig, um die Konkurrentin aus dem Feld zu schlagen: Eindeutiger Besuchermagnet ist „Elfine“, Norwegens einziger „Streichel-Elch“ – und TV-Star.
Die stattliche Elch-Kuh, von Poku als vier Wochen alte Waise gefunden und aufgezogen, wurde 2005 vom norwegischen Umweltministerium entdeckt und durfte für einen Werbetrailer ein Wohnzimmer verwüsten. Die Botschaft der Kampagne – „Haltet Norwegen auch im eigenen Heim sauber!“ – blieb weniger haften als die eindrucksvollen Szenen, die seitdem Schulklassen und Elfine-Fans nach Flå locken.
Eine ganz besondere Beziehung zu Tieren hat auch Edvin Thorson. Als sein Vater früh verstarb, fand der heute 89-Jährige Trost bei den Tieren. Später investierte der Unternehmer mit seiner Frau Eva das ganze Vermögen in seinen Lebenstraum: den E.K.T. Langedrag, einen Wildpark mit einem alten Bergbauernhof im Herzen, 1000 m hoch über dem Tunhovdfjord gelegen.
Das Besondere ist Langedrags pädagogisches Konzept: Unter der Woche erleben hier 70 – 100 Schulkinder Bauernleben wie vor 100 Jahren, am Wochenende entdecken die Familien mit Kindern die 350 Tiere aus 29 Rassen, reiten aus stämmigen Fjordpferden über den Hof, streicheln die Kühe und helfen bei Einsammeln der Eier, die die schwarz-weißen Bankina-Hühner gelegt haben.
Im vier Hektar großen Freigehege am Hang tollen sieben Wölfe mit ihren sechs Welpen durch den Schnee, der hier erst im Frühsommer taut. Unterhalb der Hofanlage haben die vom Aussterben bedrohten Polarfüchse sowie Luchse, Rentiere und Elche ihre Freilaufflächen.
Im Stall vermischt sich der warm-würzige Duft des Strohs mit einer leicht säuerlichen Note. Ziege um Ziege springt auf das Podest, steckt den Kopf in den Futtereimer und lässt sich von Paul Evers (47) melken. Fast 200 Liter Milch kommen so täglich zusammen, die vor Ort zu Frischkäse verarbeitet werden.
Aus der Molke entsteht „Geitost“, Käse mit Karamellgeschmack. In dünne Scheiben geschnitten, wird der braune Klassiker aufs „Flatbrød“ gelegt und mit Marmelade verfeinert. Und schon passiert das Malheur: Das Knäckebrot krümelt, der Käse klebt am Gaumen fest, und eine Schar norwegischer Kinder beobachtet unverhohlen, wie der fremde Gast erst mit der Zunge, dann hinter vorgehaltener Hand versucht, die klebrige Masse im Mund zu lösen.
Wo keine Bäume mehr wachsen, beginnt für die Norweger das Hochgebirge. An der Abenteuerstraße heißt das: hinter Geilo (820 m), einem beliebten Wintersportort. Im Sommer wird das Skigelände zum Mountainbike-Parcours. Mit Schlauchboot und Paddel kämpft sich eine Gruppe durch das Wildwasser des Numedalslågen, andere wandern zum Folarskarsnuten, mit 1933 m höchster Gipfel des Hallingskarvet.
Vor mehr als 300 Millionen Jahren wurde der Gebirgsrücken über die Hochebene geschoben und trennt seitdem als deutlich sichtbare Landmarke das nördliche Skarvheimen von der Hardangervidda. Während die Nationalstraße 7 Höhenmeter um Höhenmeter erklimmt und weite Blicke auf langgestreckte, buchtenreiche Seen und Hügelketten eröffnet, sinken die Temperaturen rasch.
15 Grad, acht Grad, null Grad. Weiß glitzern in Halne aufgeschobene Schneehügel zwischen den tiefroten Holzhäusern. Nicht Birken, sondern Holzstangen, die die Schneetiefe markieren, säumen jetzt den Fahrbahnrand. In einer Wolke aus feinstem Schnee zieht ein wuchtiges Räumfahrzeug vorbei.
100 km lang durchschneidet die Straße jetzt ein Gebirge, das so gar nichts mit den Alpen gemeinsam hat. Keine zackigen Bergspitzen, Grate und Kare, sondern eine endlose Weite in Weiß erstreckt sich in 1300 m Höhe, auf 3422 km2 im größter der 16 norwegischen Nationalparks in seiner Ursprünglichkeit bewahrt.
Verwaiste Skilifte warten auf den nächsten Winter, ein scharfer Wind bedeckt die Spuren einer Langlaufgruppe mit Schnee. In der Ferne ziehen Rentiere durch die Landschaft – auf der Hardangervidda lebt Norwegens größer Wildbestand an Rentieren.
Dann unterbricht ein Donnern die Stille, stürzt sich der Vøringsfossen 182 m tief zu Tal, bricht das größte Gebirgsplateau Nordeuropas steil zum Hardangerfjord ab. Eine Million Apfel- und Kirschbäume verwandeln den 179 Kilometer weit ins Land reichenden Meeresarm im Frühling in ein Blütenmeer, das sich im tintenblauen Wasser ebenso spiegelt wie die weiße Kappe des Gletschers Folgefonna.
Vor den Bootshäusern sind Holzkähne in allen Farben und Größen vertäut, leise plätschernd laufen die Wellen auf den kleinen Kieselstränden aus. Geradezu Schwindel erregend sind hingegen die Kamerafahrten, die im Naturschutzzentrum von Eidfjord über die Kinoleinwand huschen: 20 Minuten lang präsentiert der Film von Ivo Caprino die steile Schluchten, Bergseen, Gletscher und Wasserfälle der Region als Adrenalinkicks, aufgenommen aus dem Helikopter mit einer selbst gebauten Spezialkamera für 280°-Panoramas.
In Kinsarvik wird der Asphalt der Straße mit dem Stahl der Autofähre getauscht und der „König der Fjorde“ überquert. Die Abenteuerstraße schlängelt sich jetzt Hordaland, für die Hanse kaum mehr als das Hinterland von Bergen, für Edvard Grieg hingegen mit seinen Wasserfällen, blühenden Uferhängen, Fjorden und Bergspitzen eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration.
Den 100. Todestag des Komponisten feiert das Königreich in diesem Jahr mit etlichen Veranstaltungen, Festivals und Ausstellungen im ganzen Land. In Griegs Geburtsstadt Bergen wird am 1. Mai eine große Grieg-Ausstellung eröffnet, und auch die Festspiele von Bergen folgen vom 23. Mai bis 5. Juni den Spuren Edvard Griegs. Doch das ist schon ein neues Abenteuer.
Eventyrveien: Info
Schlafen & Schlemmen
Vestlia Resort
N – 3580 Geilo, Tel. +47 32 08 72 00, Fax +47 32 08 72 01, www.vestlia.no
In sanften Erd- und Sandtönen gestaltete die bekannten norwegische Innenarchitektin Helene Hennie das 2005 eröffnete Hotel mit 120 Zimmern und drei luxuriösen Apartments, 100 qm großem Spa-Komplex und eigenem Golfplatz.
Utne Hotell
N-5778 Utne, Tel. +47 53 66 10 88, Fax +47 53 66 10 89, www.utnehotel.no
Am Nordende der Folgefonna-Halbinsel, wo sich der Hardangerfjord in den Gransvinsfjord, Eidfjord und Sørfjord aufteilt, genießen seit 1722 die Gäste beste Küche und ruhige Nächten in romantisch-nostalgischen Zimmern.
Auskunft
Norwegisches Fremdenverkehrsamt/Innovation Norway
Postfach 113317, 20433 Hamburg, Info-Tel.: 018 05 00 15 48 (0,12 Euro/Minute), Info-Fax: 0180-5667929 (0,12 Euro/Minute), www.visitnorway.de; Abenteuerstraße: www.eventyrveien.no
Der Beitrag zum Eventyrveien ist in der Ausgabe 16/2007 des Rheinischen Merkurs erschienen und wurde danach vom Online-Magazin Schwarzaufweiss.de veröffentlicht.