Hohe Tatra: das kleinste Hochgebirge der Welt

Die Hohe Tatra ist das kleinste Hochgebirge der Welt. Nur 26 Kilometer misst der Hauptkamm – und doch erreichen 26 der 300 Gipfel eine Höhe von mehr als 2.500 Meter. Das polnisch-slowakische Grenzgebirge erfüllt Gipfelträume auf engstem Raum: zackige Spitzen, Blumen übersäte Täler mit klaren Seen und tosenden Wasserfälle, urige Hütten und 2000 Sonnenstunden. Und vor allem: Ruhe, wie sie in den Alpen oft nur noch in entlegenen Gebieten zu finden ist.

Hohe Tatra/bei Witow: In den Huetten wird geraeucherter Schafskaese hergestellt.
Bei Witow: In den Hütten wird geräucherter Schafskäse hergestellt.

Im Tal von Podhale liegt Morgentau auf den Gräsern. Hunderte Schafe grasen hinter einer „Bacowka“, einer dunkeln Holzhütte in Zeltform. Aus dem Kamin steigt Rauch auf. Drinnen rührt Jan Urbas (63) mit einer großen Holzgabel im Kessel auf dem Feuer Schafsmilch und Lab, bis sich erst kleine, dann immer größere Käse-Klumpen bilden. Den ganzen Sommer wohnt der 63-jährige hier, schläft auf einem klapprigen Metallbett neben der Flamme, während auf den Firstbalken über dem Feuer der salziger Hartkäse Oscypek im Rauch reift.

Tatra/Umgebung Zakopane/bei Witow: Jan Urbas (63/2003) bei der K‰sefertigung. In der Hand: der ger‰ucherte Hartaese aus Schafsmilch "Oscypek" - eine regionale Spezialitaet.
Jan Urbas bei der Käsefertigung des “Oscypek”.

Jan ist ein Gorale, ein Berghirte. Sein Heimatdorf ist Chochołów. Grobe Blockhäuser, erbaut aus einem einzigen Baum, säumen giebelständig die schmale Straße, ducken sich unter wuchtigen Satteldächern und Halbgiebeln aus Holzschindeln. In den Vorgärten blüht Löwenzahn; die Scheune teilen sich Schafe, Kühe und Karpatenkäse.

Tatra/Umgebung Zakopane/bei Witow: Jan Urbas (63/2003) bei der K‰sefertigung. In der Hand: der ger‰ucherte Hartaese aus Schafsmilch "Oscypek" - eine regionale Spezialitaet.
In der Hand hält Jan Urbas den geräucherten Schafskäse “Oscypek” – eine regionale Spezialiät.

Für sechs Zloty, nicht einmal zwei Euro, verkaufen die Marktfrauen im nahen Zakopane den traditionellen Käse der Berghirten. Die 30.000 Einwohner-Stadt, noch vor 150 Jahren ein kleines Bergdorf, ist Polens Tor zu Hohen Tatra: ein geschäftstüchtiger Ferienort zwischen Trend und Tradition. Vor Hunderten von Holzbuden mit Stickereien, Holzarbeiten, Kristallglas und anderen volkskundlichen Souvenirs warten Kutscher in Tracht auf Kundschaft.

ohe Tatra/Zakopane/Markt: Baeuerin verkauft regionale Spezialitaeten aus Schafskaese.
Auf dem Markt von Zakopane verkauft eine Bäuerin ihre hausgemachten Schafskäse.

Holzhäuser der Goralen säumen auch die Fußgängerzone Ulica Krupowski, in der sich Besucher beim Bungee-Jumping vom Kran stürzen und in den Boutiquen angesagter In-Labels stöbern. Wenige Schritte weiter zeigt das Wietkiewich-Theater Avantgarde, das Tatra-Museum Brauchtum der Bergwelt, die immer wieder hinter den Giebeln der Häuser aufragt.

PL/Hohe Tatra/ Zakopane: Kutscher in Goralen-Tracht in der Fuflaengerzone ulica Krupowki.
Zakopane: Kutscher in Goralen-Tracht warten in der Fußgängerzone Ulica Krupowki auf Kundschaft.

Nur 50 Kilometer lang und maximal 15 Kilometer breit, gibt es in Europa kein anderes Gebirge mit einer so vielgestaltigen Landschaft, Natur und Kultur. Es beginnt im Westen mit dem L’Aliove sedlo (Laliover Sattel, 1.947 Meter) und endet im Nordosten mit dem Kopske sedlo (Kopskyer Sattel, 1.749 Meter). Nur ein Fünftel des Hochgebirges liegen auf polnischer Seite, vier Fünftel des Gebietes gehören zur Slowakei. Die Grenze bildet der Hauptkamm des Hochgebirges – doch die schönsten und bekanntesten Gipfel liegen allesamt auf Nebenkämmen.

PL/Hohe Tatra/ Zakopane: Kutscher in Goralen-Tracht in der Fuflaengerzone ulica Krupowki.
Zakopane: Kutscher in Goralen-Tracht in der Fußgängerzone Ulica Krupowki.

In Polen seit 1954 als Tatrzański Park Narodowy, kurz TNP, in der Slowakei bereits seit 1949 als TANAP geschützt, unterliegt der Tourismus im grenzüberschreitenden Tatra-Nationalpark strengen Auflagen. Einige Gebiete sind Totalreservate, andere unterliegen einer Saisonsperrung vom 1. November bis 15. Juni. In den nur mit Sondererlaubnis zugänglichen Hochgebirgsregionen leben Tierarten, die anderenorts längst ausgestorben sind: Braunbär, Wolf, Luchs und Auerhahn. Murmeltier, Fischotter und Steinadler haben dort ein Rückzugsgebiet gefunden.

Im Bestand bedroht ist jedoch das Wappentier des Nationalparks. Die Anzahl der Tatra-Gemsen, auf felsigen Almen in rund 1.700 Höhe daheim, ist trotz aller Bemühungen auf die kritische Grenze von weniger als 500 Tiere gesunken. Rehe und Hirsche, Wildschweine, Füchse und Eichhörnchen sind indes bei fast jeder Wanderung zu sehen.

Hohe Tatra/Stary Smokovec: Wanderwegweiser an der Bergstation des Hrbeniok.
Stary Smokovec: Wanderwegweiser an der Bergstation des Hrbeniok.

Im polnischen Teil der Hohen Tatra umfasst das Wegenetz 255 Kilometer, im slowakischen Nationalpark kommen weitere 600 Kilometer markierter Wanderwege jedes Schwierigkeitsgrads hinzu – von sanften Spaziertälern mit Aussicht bis zu komplizierten Kletterpartien hoch in den Bergen.

Ein Klassiker ist der Ausflug zum Morskie Oko, dem mit 35 Hektar größten der 110 Bergseen der Tatra. Auf einer Höhe von 1.393 Metern ruht das „Meeresauge“ in einem großen Kessel, tiefgrün und so klar, das Fische in mehr als zehn Meter Tiefe deutlich zu sehen sind. An den zerklüfteten Kalkwänden ringsum hängen selbst im Sommer steile Schneebänder. Moose und Farne wuchern am Ufer, Sumpfdotterblumen leuchten gelb in den Feuchtwiesen. Kinder lassen Kiesel ins Wasser hüpfen.

/Hohe Tatra/Bergsee Morskie Oko (Meeresauge). Der 34 Hektar grofle Bergsee, 50.8 Meter tief, auf 1.393 Meter ist ein beliebtes Motiv fuer Maler und Fotografen.
Das Morskie Oko (Meeresauge). Der 34 Hektar große Bergsee 1.393 Meter Höhe, ist 50,8 m tief.

Vorbei an Granitblöcken, die das Ufer säumen, zieht eine Gruppe Bergsteiger weiter zum 2.499 Meter hohen Rysy. Der höchste Berg Polens ist einer der wenigen Gipfel in der Hohen Tatra, die ohne Bergführer bestiegen werden dürfen. Nur mit Guide geht es zur Gerlachovsky Stit (Gerlsdorfer Spitze). Der 2.654 Meter hohe Berg musste bis zur barometrischen Messung eines Försters warten, ehe er 1838 als höchster Gipfel der Hohen Tatra anerkannt wurde.

/Hohe Tatra/Bergsee Morskie Oko (Meeresauge). Der 34 Hektar grofle Bergsee, 50.8 Meter tief, auf 1.393 Meter ist ein beliebtes Motiv fuer Maler und Fotografen.
Morskie Oko (Meeresauge): ein beliebtes Motiv für Maler und Fotografen.

#Bis dahin machte ihr die Lomnicky Stit (Lomnitzer Spitze) den Titel streitig. Bis heute ist sie mit 2.620 Metern jedoch der höchste Punkt, den Besucher bequem erreichen können. Vom slowakischen Tatranska Lomnica (Tatra-Lomnitz) schweben sie in einer Gondel, die fast senkrecht die zerklüftete Felslandschaft überwindet, in 20 Minuten hinauf zur Aussichtsplattform inmitten von Gipfeln, die alle 2.400 Meter überragen.

Bei der ältesten Seilbahn Polens, die sich zum Kasparowy Wierch (1.985 Meter) hinauf schwingt, ist der Zugang durch Nationalparkverwaltung begrenzt: Nur 210 Touristen pro Stunde bringt die Bahn hinauf. An die Südflanke der mächtigen Spitze des Slavkovsky Stit (2.453 Meter) schmiegt sich Starý Smokove (Altschmecks), einst die mondänste Gemeinde der Hohen Tatra.

Hohe Tatra/Zdiar: Morgenstimmung im Tal von Zdiar mit Blick auf Hohe Tatra.
Morgenstimmung im Tal von Zdiar mit Blick auf Hohe Tatra.

Bereits um 1840 entstanden die ersten Kurhäuser im slowakischen „Davos“. Mineralquellen und saubere Luft sorgten für rosige Zeiten und stetiges Wachstum. Wer etwas auf sich hielt, stieg im Grand Hotel ab: erst gut betuchte Adlige, dann die kommunistische Elite. Heute genießen vorwiegend Gäste aus Polen, Deutschland und Russland den nostalgischen Charme des Hotels, das hinter seiner Jugendstilfassade längst modernen Standard samt Sauna und Schwimmbad bietet.

Ganz im Westen der slowakischen Hohen Tatra liegt der Ferienort Štrbské Pleso (Tschirmersee). Weithin sichtbare Wahrzeichen sind die beiden Skisprungschanzen – und das Panoramahotel, das als weiß-schwarze Pyramide das Ufer des kleinen Bergsees säumt, an dem bereits 1877 Graf Joseph Szentivany den Luftkurort gründete. 1884 als heilklimatischer Kurort anerkannt, ist Strbske Pleso mit einer Seehöhe von 1.315 Metern der bis heute höchstgelegene Kurort der Slowakei. Die staubfreie, klare Luft mit einem hohen Anteil an negativen Ionen hilft bei Atemwegserkrankungen und lindert Allergien.

Hohe Tatra/Strbske Pleso: See von Strybske Pleso vor den mehr als 2.400 Metern hohen Gipfeln der Hohen Tatra.
Den See von Strybske Pleso umgenem doe mehr als 2.400 Metern hohen Gipfel der Hohen Tatra.

Am See beginnt auch der Weg zu einem Berg, der slowakische Geschichte schrieb: der 2..494 Meter hohe Kriváň (Krummhorn). Als gegen Ende des 18. Jahrhundert ungarische Adlige den Aufstand gegen das Haus Habsburg probten, erwachte auch ein slowakisches Nationalbewusstsein. Mit „Patriotische Ausflügen“ bereiteten ab 1835 die Sturovci, die Anhänger der slowakischen National-Bewegung, einen Volksaufstand vor. Literarische Werke von Politikern, Wissenschaftern und engagierten Bürgern sollten die Teilnehmer bei diesen Massenbesteigungen des Krivans auf die kommende Zeit einstimmen.

Dieser Brauch hat sich bis heute erhalten. Alljährlich am 16. August machen sich weit über Tausend slowakische Patrioten auf den beschwerlichen Weg nach oben, stapfen durch Altschneefelder auf einem gemächlichen Grat zum Gipfel, um von dort der nationalen Geschichte zu gedenken und den Blick über das Land zu genießen: von der Hohen Tatra über die Niedere Tatra bis in die weite, grüne Zipser Ebene liegt ihnen der Norden der Slowakei zu Füßen.

Hohe Tatra/Umgebung Zakopane/bei Witow: Jan Urbas (63/2003, re.) vor seiner Huette, in der er Schafskaese fertigt und anschliessend raeuchert. Links ein Freund von ihm.
Jan Urbas (63/2003, re.) vor seiner Hütte, in der er Schafskäse fertigt und räuchert. Sein Freund sieht dabei gerne zu.

Infokasten Hohe Tatra

REISEZIEL

Die Hohe Tatra liegt im Grenzgebiet von Polen und der Slowakei.

ANREISE UND FORMALITÄTEN

Per Auto, Bahn oder Flugzeug nach Poprad. Von dort erschließt eine elektrische Kleinbahn die Ferienorte der slowakischen Tatra. Auf der polnischen Seite ist Zakopane Ausgangspunkt für Touren ins Gebirge..

KLIMA UND REISEZEIT

Zahlreiche Täler und Berge sind vom 1. November bis 15. Juni gesperrt. Das Kontinentalklima sorgt für ausgeprägten Jahreszeiten. Wärmste Monate sind Juli und August mit durchschnittliche 21 ° Celsius im Tal und 4° Celsius am Berg. Schnee bedeckt bis zu 250 Tage die höheren Gebiete.

WÄHRUNG

Slowakische Krone. 1 Euro = 43,61 SKK; Polnischer Zloty, 1 Euro = 3,79 Zl.

SPRACHE

Polnisch und Slowakisch. Deutsch und Englisch werden meist verstanden.

UNTERKUNFT

In den Ferienorten entlang der Grenze des Nationalparks gibt es mehr als 10.000 Gästebetten in Hotels, Pensionen und Privatunterkünften; im Nationalpark neun Berghütten. Höchstgelegene Unterkunft der Tatra ist die Wanderherberge Chata pod Pysy (2.250 Meter). Eine Hotelübernachtung/Frühstück im Doppelzimmer kostet in Polen ab 40 Euro, in einer Pension ab 15 Euro pro Person. Die Unterkünfte in der Slowakei sind etwas günstiger.

INFORMATIONEN

In Deutschland erteilen Auskünfte zur Hohen Tatra: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 71, 10709 Berlin, Tel. 030/21 00 92-0, Fax 030/21 00 92-14, E-Mail Info@polen-info.de, Internet www.polen-info.de.

Die Slowakische Zentrale für Tourismus ist nicht in Deutschland, sondern nur in Österreich präsent: Parkring 4, A-1010 Wien, Tel. +43/1/5 13 95 69, Fax +43/1/5 13 97 63, E-Mail: sacr-wien@aon.at, Internet www.slovakiatourism.sk.

Weitere Informationen erteilt Christian Scho auf Deutsch bei der Verwaltung des Nationalparks TANAP, E-Mail: sl@tanap.sk, Internet www.tanap.sk

Dieser Beitrag ist am 24. Juli 2003  gms-Themendienst der dpa verbreitet worden und wurde von zahlreichen deutschsprachigen Medien, darunter Spiegel Online, publiziert. In veränderter und aktualisierter Beitrag erschien der Bericht zudem im Handelsblatt, im Rheinischen Merkur und auf www.schwarzaufweiss.de. Worüber ich mich sehr freute: Zum Zielgebiet wurde ich 2009 auch als Experte im Studio vom SWR zur Sendung “Kaffee oder Tee” eingeladen. 

Hohe Tatra/Bergsee Morskie Oko (Meeresauge). Ein Wanderweg fuehrt rund um den 34 Hektar groflen Bergsee, 50.8 Meter tief auf 1.393 Metern Hoehe
Morskie Oko (Meeresauge). Ein Wanderweg führt rund um den 34 Hektar großen Bergsee. Klar, dass ich auch da meine ganz junge Tochter auch noch mit im Rucksack trug. Nach jenem Bergtag – Auf- und Abstieg plus Seerunde, alles mit fast zweijährigem Kind auf dem Rücken, war ich fertig…

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