Unterwegs auf dem Jakobsweg: Maria hat sich Bindfäden durch die Blasen gezogen, Marie-Sophie ihre Knöchel bandagiert, Beatrice die Sohlen ihrer Turnschuhe mit Plastikkleber für die nächste Etappe repariert. Seit drei Wochen pilgern die drei Frauen durch die autonomen nordspanischen Regionen Asturien und Galicien. Ihr Wegweiser ist eine gelbe Sonne in einer blauen Jakobsmuschel, ihr Ziel Santiago de Compostela.
Die alte Route der Wallfahrt
Die Wanderstrecke entlang der asturisch-galicizischen Küste ist die ursprüngliche Route der Wallfahrt nach Santiago. 813 n. Chr. hatte der Eremit Pelayo, von einem Stern geleitet, in einer Nekropole die Gebeine des Apostel Jakobus (Sankt Jakob – span. Santiago) entdeckt. Er nannte den Platz Campus Stellae, Feld des Sternes. Sogleich ließ Bischof Theodomir von Iria Flavia über dem Grab eine Kirche bauen. Schon bald wich die kleine Kapelle der imposanten Kathedrale von Santiago de Compostela.
Als 820 n. Chr. der asturische König Alfons II. der Keusche von Oviedo nach Santiago de Compostela pilgerte und vor den Gebeinen des Jakobus betete, hatte dies auch politische Signalwirkung: den katholischen Glauben zu stärken in einem Land, das nahezu gänzlich von den Mauren erobert war.
Erst im 11. und 12. Jahrhundert förderten die spanischen Monarchen den mittlerweile populärsten Französischen Weg als Hauptroute. Die Pilger der Nordseeländer England und Irland folgten jedoch weiterhin dem ursprünglichen Jakobsweg, der so den Namen Englischer Weg erhielt.
Gijón: Die Kunst des Sidra-Trinkens
Neben Avilés war Gijón (Xixon) der wichtigste Ankunftshafen der Pilger. Die drittgrößte Stadt Asturiens, zwischen zwei breiten Buchten gelegen, hat im Altstadtviertel Cimadevalle ihr historisches Herz bewahrt: die Ruinen römischer Thermen, mehrere Kirchen sowie Stadtpaläste aus dem 18. Jahrhundert. In den Altstadt sind fast alle kleinen, krumme Häuser eingerüstet – sie werden zu Luxuswohnungen umgebaut.
Wenige Schritte weiter erobert der Park der Santa-Catalina-Anhöhe das Häusermeer. Auf dem höchsten Punkt trotzt das Wahrzeichen der Industriestadt dem steten Wind aus Westen: die monumentale Beton-Plastik „Elogio del Horizonte“ des baskischen Bildhauer Eduardo Chillida. Weit reicht der Blick über das Kantabrische Meer mit seiner zerklüfteten Steilküste.
Aus den Lokalen der Altstadt dringt Musik. Maria, Beatrice und Marie-Sophie setzen sich an die dicken Holztische der Sidrería La Galana de Gijón. Vor ihnen zelebriert ein Kellner die Kunst des Sidra-Einschenkens: Die Flasche hoch über den Kopf, das Becherglas weit Richtung Boden gehalten, lässt er den asturischen Apfelwein hineinschäumen. „Ein Glas muss für euch reichen“, erklärt er den erstaunten Frauen. „Das ist bei uns so Brauch.“
Maria trinkt ein Schluck und gießt die letzten Tropfen in einen Krug – das reinigt das Glas und sorgt dafür, das auch Beatrice wieder eine frisch eingeschenkte Sidra genießen kann. Auch beim Essen verlassen sich die drei Frauen aus dem Baskenland auf landestypische Kost: Fabada, einen deftigen Eintopf aus weißen Bohnen, Paprikawurst, Blutwurst, Schinken, Speck und Safran. Das Mahl beschließt der berühmteste Käse der Region: Cabrales, ein Blauschimmelkäse, drei bis sechs Monate in Höhlen gereift.
Oviedo: alte Hauptstadt Asturiens
Am nächsten Morgen sind die Frauen längst unterwegs, als die Stadt erwacht. Ihr nächstes Ziel: Oviedo, die Hauptstadt des asturischen Königreichs. In der Innenstadt, zur Fußgängerzone umgestaltet und restauriert, beeindruckt die Baukunst eines Jahrtausends. Die Kathedrale San Salvador ist ein Juwel der spanischen Spätgotik, ihre Krypta San Leocadia und ihre heilige Kammer Camera Sancta hingegen sind präromanische Kleinode.
Sie bergen Schätze aus der Gründerzeit des asturischen Königreiches: das nachträglich vergoldete Siegeskreuz der Schlacht von Covadonga, auf dem unzählige Edelsteine funkeln, das Engelskreuz und das Schweißtuch, das Jesus im Grabe bedeckt haben soll.
Die beiden wichtigsten Monumente der asturischen Präromanik schmiegen sich außerhalb an den Aussichtshügel Monte Naranco: die Kirchen San Miguel de Lillo und Santa Maria del Naranco aus dem neunten Jahrhundert, von der UNESCO gemeinsam mit San Julián de los Prados zum Weltkulturerbe erklärt. Nach einem Tag geballter Kultur kehren die Frauen zur Küste zurück und folgen dem Saumpfad entlang wilder grauer Klippen, die das Grün des Landes vom Blau des Meeres trennen.
Die Gedanken fliegen
Nach Stunden des Gehens werden die Gedanken schwerelos, wird der Weg zur Meditation, zur Begegnung mit sich selbst. Körper und Rucksack, anfangs als fremder Ballast empfunden, werden zur Einheit. Immer wieder berührt der Pilgerweg Stätten zur Einkehr und Andacht.
Bei Cadavedo thront die Kapelle „La Regalina“ hoch über den Klippen. Der Altar ist schlicht, aber mit Blumen geschmückt. Im benachbarten Horreo, einem wuchtigen Getreidespeicher auf Stelzen, wurde früher Verpflegung für Pilger gelagert – heute laden kleine Tische zum Picknick.
Hinüber nach Galicien
In Castropol, wo einst die Pilger mit Schiffen die Mündungsbucht der Ria Eo überquerten, verbindet heute eine Stahlbrücke die weiße Stadt mit Ribadeo in Galicien. Dort wechselt die Markierung: Jetzt kennzeichnen Steinblöcke die letzten 170 Kilometer bis Santiago. Vorbei an den bizarren Felsbögen und sandigen Buchten der Praia das Catedrais begleitet der nördliche Weg die Sequenz der Badestrände, ehe er sich bei Foz ins Landesinnere wendet und dem Tal der Lourenzá bis nach Vilanova folgt.
An der Hauswand der Pilgerherberge lüften Wanderstiefel neben Turnschuhen. Drinnen werden Erinnerungen an Jugendherbergen wach: Geschlafen wird in Gruppenräumen mit Etagenbetten, erzählt und gegessen im Aufenthaltsraum. Die Preise sind jedoch deutlich günstiger: Meist sind die Herbergen am Jakobsweg kostenlos, nur selten sind drei Euro für ein Bett zu zahlen. Stellplätze für Fahrräder sind nahezu überall selbstverständlich; einige Herbergen sind zudem behindertenfreundlich eingerichtet.
Die letzte Nacht auf dem Jakobsweg
Letzte große Station vor Santiago ist Lugo. Erst in den letzten Jahren hat die Stadt am Rio Miño erkannt, welch einzigartigen Schätze der Vergangenheit sie besitzt. Die römische Stadtmauer aus dem 3. Jh. n. Chr. war bis zur Millenniumswende eine viel befahrene Ringstraße – heute ist der zehn Meter hohe Mauerring als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt und bildet die schönste Panoramastrecke um die Altstadt, die in vielen Teilen zur Fußgängerzone umgewandelt und saniert wurde.
Wo der englische und französische Jakobsweg verschmelzen
In Melide, der geografischen Mitte Galiciens, mündet der ursprüngliche Jakobsweg in den Französischen Weg. Von der kleinen Anhöhe Monte do Gozo (380 Meter) erblicken Maria, Beatrice und Marie-Sophie zum ersten Mal die Türme der Kathedrale von Santiago. Die Pilgerherberge gleicht einem Massenlager: Fast 2.800 Pilger verbringen hier die letzte Nacht ihrer Tour. Nach 20 Tagen unterwegs nähert sich die Reise ihrem Ziel: eine Vorstellung, die die Frauen unruhig schlafen lässt. Lange, bevor die Stadt erwacht, brechen sie am nächsten Morgen zur letzten Etappe auf.
Erschöpft, aber euphorisch, sitzen Maria, Beatrice und Marie-Sophie Stunden später in den plüschigen Sesseln des Café Casino von Santiago de Compostela, lassen die Augen über den Glanz der Belle Epoque wandern und trinken Cortado, Kaffee mit einem Schuss Milch. Sie haben die Kathedrale besichtigt, ihre Hände an die Mittelsäule des Portico de la Gloria gelegt und sich vor der silbernen Truhe verneigt, in denen die Reliquien des Apostel Jakobus ruhen sollen.
Gegen Mittag haben sie sich die berühmte Compostela abgeholt. Die Urkunde wird nur gegen Vorlage des Pilgerpasses ausgestellt – wenn mindestens 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer per Pferd oder Fahrrad auf dem Jakobsweg zurückgelegt wurden. Die Stempel der Pilgerstationen beweisen: Das Trio hat das Soll mehr als erfüllt. Fast 550 Kilometer sind sie in den drei Wochen marschiert.
Morgen wollen sie noch weiter: hin zu jenem Ort, von dem Pilger einst so ehrfürchtig berichteten: Fisterra, das Kap am Ende der Welt, der westlichste Punkt der Iberischen Halbinsel. Die katholische Kirche hat den letzten Teil vom Jakobsweg nie offiziell anerkannt. Zu heidnisch war ihr dieser Ort, wo die Seelen der Toten dem Meer zustrebten – und nicht der himmlischen Ewigkeit.
Wandern auf dem Jakobsweg: Infos
Auskunft
Spanisches Fremdenverkehrsamt (TURESPAÑA)
Myliusstraße 14, 60323 Frankfurt, Tel. 069/72 50 33, Fax 069/72 53 13, www.tourspain.es
Asturien: www.infoasturias.com
Galizien: www.turgalicia.es
Schlafen
Tryp Rey Pelayo (****)
Av. Torcuato Fernandez Miranda, E-33203 Gijón, Tel. +34 985 19 98 00, Fax +34 985 19 98 09, www.solmelia.com
Komfortables Stadthotel der spanischen Sol-Meliá-Kette am Isabel La Católica Park.
Torre de Villademoros (***)
33788 Cadavedo – Valdés, Tel. +34 985 64 52 64, www.torrevillademoros.com
Hinter den malerischen Fischerdörfern Cudillero im Osten und Luarca im Westen versteckt sich im Hinterland der Küste das gemütliche Designhotel Torre de Villademoros in einem asturischen Landhaus aus dem 18. Jahrhundert.
Hotel de Ribadeo (****)
Calle Amador Fernández 7, 27700 Ribadeo (Lugo), Tel. +34 982 12 88 25, Fax +34 982 12 83 46, www.parador.es
Stilvoll-nostalgisches Herrenhaus, heute Mitglied der Parador-Vereinigung, oberhalb der Mündung des Rio Eo.
Villa Borinquen (***)
33793 Tox (Navia), Tel. +34 985 64 82 20, Fax +34 985 64 82 22, www.casonasasturianas.com
Die „Villa Boriquin“, in den 1950-er Jahren für den Architekten Álvarez Castelao errichtet, gehört zu 16 gastlichen Häusern, die sich in der Hotelvereinigung „Casonas Asturianas“ zusammengeschlossen haben. Ihr Konzept: klein, aber fein; ursprünglich, aber komfortabel. Dabei werden sie vom Staat Asturien mit großzügigen Subventionen unterstützt, um die historische Bausubstanz des Landes zu erhalten.
Hostal de Los Reyes Catolicos (*****)
Plaza Obradoiro, 15705 Santiago de Compostela (La Coruña), Tel. + 34 981 58 22 00, Fax +34 981 56 3094, www.parador.es
1492 nach der Vertreibung der Mauren vom Königspaar Isabella und Ferdinand als Hospiz gegründet, heute Luxushotel, das zur Kette der „Paradores“ gehört. Doch Pilgern wird noch heute preiswerte Unterkunft und Verpflegung gewährt.
Schlemmen
Sidreria „La Galana de Gijón“
Plaza Mayor 10, Gijón, Tel. +34 985 35 84 66
La Casona de Pio
Río Frio 3, Cudillero, Tel. +34 985 59 15 12
Restaurant Enxebra
Plaza de España 1, Santiago de Compostela, Tel. +34 981 58 22 00
Dieser Beitrag ist im Online-Reisemagazin www.schwarzaufweiss.de erschienen