Wo andere Skigebiete enden, fängt in Kühtai der Pistenspaß erst an: Österreichs höchstgelegener Wintersportort ohne Gletscher lockt sportliche Fahrer und Familien mit 34 Abfahrtskilometern in einer Schneeschüssel ab 2020 Meter Höhe.
Skifahren ist anders in Kühtai: Die Lifte sind nur wenige Schritte entfernt, die Pisten enden an der Hoteltür, das Auto hat Urlaub. „Ski in, Ski out“, nennt das trendig Tourismuschefin Barbara Haid. Anders als vergleichbare französische Orte ist das Hoteldorf auf der Tiroler Passhöhe zwischen Sellrain- und Ötztal jedoch keine Hochhausstadt im Gebirge, sondern hält sich an den traditionellen alpenländischen Baustil: viel Holz, heller Putz, große Balkone. Aus den Fenstern fällt der Blick auf die Pisten.
Elf Lifte – sieben Schlepper, eine Doppelsesselbahn und drei Vierersessel – erschließen das offene, baumlose Areal, das von Dezember bis April schneesicher ist. Vormittags tummeln sich die Skifahrer auf den sonnigen Südhängen unterhalb von Hochaltar (2520 Meter) und Pirchkogl (2828 Meter); am Nachmittag schwingen sie über die breiten Abfahrten der Hohe Mut- und Drei-Seen-Bahn. 50 Prozent aller Abfahrten sind mittelschwer, nur zwei Skiwege und eine Piste sind mit blauer Markierung für Anfänger ausgewiesen. Bei weiteren 25 Prozent der Pisten signalisiert schwarz: schwer.
Doch die Vielzahl der roten und schwarzen Markierungen täuscht. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Abfahrten von durchschnittlichen Läufern leicht zu bewältigen. Richtig schwierig und steil wird es in Kühtai kaum. Einzig die Neuner-Abfahrt am Gaiskogellift, die sich talabwärts verengt, fordert solides Fahrkönnen. Da die Lifte allesamt weit unter den Gipfeln enden, stellen die Abfahrten über maximal 500 Höhenmetern kaum Anforderungen an die Kondition. Den 150.000 vorwiegend deutschen Gästen gefällt es: Sie kommen nach Kühtai zum Genuss-Skifahren.
Anders könnte es werden, wenn das Projekt Pirchkogel – Feldring und damit die Verbindung nach Oetz und zum Inntal realisiert wird. Doch die Pläne zur Erschließung des 2828 Meter hohen Hausgipfels scheitern seit mehr als Jahren an der naturrechtlichen Genehmigung. So setzt Kühtai auf Service statt Ausbau. Zur Saison 2003/4 wurde ein neuer Vierersessel auf die Hohe Mut realisiert; zum Winter 2004/5 wird die Sonnenbahn die betagten Schlepper Kaiserlift und Schwarzmooslift ersetzen.
Für die wachsende Schar der Snowboarder wurde der Fun Park Hohe Mut angelegt. Funsportgeräte wie Snow Fox, Snow Bike, Monoski und Firngleiter bieten Abwechslung vom Pistenalltag. Für Skifahrer, die gerne an ihre Grenzen gehen, bietet die Skischule Kühtai Renntraining auf der permanent gesperrten Slalomstrecke am Alpenrosenlift, auf der sonst Nationalmannschaften und Nachwuchskader trainieren. Alle zwei Jahre – erneut 2006 – messen ambitionierte Amateure beim Alpenclub-König-Rennen ihr Können.
Jenseits der präparierten Pisten zeihen Tourengeher durch das Sellraintal. 30 Routen lassen sich Fellen unter den Laufflächen entdecken; viele der Gipfel ringsum überschreiten die 3000-Meter-Grenze. Noch höher hinaus geht es bei Tandemflügen mit dem Gleitschirm. Eisstockschützen finden zwei Bahnen am Siglu, einer Iglu-Bar vor dem Sporthotel. Das Lüsener Tal ist das Eiskletterzentrums Tirol. Staatlich geprüfte Bergführer vermitteln in wenigen Stunden die erforderlichen Grundkenntnisse.
Nach Vorübungen an der Kletterwand geht es in den gefrorenen Wasserfall. Pickel und Stollen knirschen im Eis. Das Loipennetz für Langläufer hingegen ist recht übersichtlich: Drei Rundloipen, die sich zu einer 15 Kilometer-Strecke kombinieren lassen, führen im Unterdorf über Almen und rund um den Stausee Längental. Auch Winterwanderer führen trotz zwei sonniger Wege mit insgesamt sechs Kilometer Länge eher ein Schattendasein. Gut umsorgt wird dagegen der Nachwuchs. Im Kids-Club lernen Kinder ab vier Jahre spielerisch die ersten Schwüngen; Junioren ab zwei werden im Gästekindergarten ganztägig betreut..
Am Abend bleibt Kühtai sportlich: Jeden Mittwoch und Sonnabend von 19.30 bis 22 Uhr erhellt Flutlicht die Piste am Hochalter. Auf den Bänken vor der Kaiser-Maximilian-Hütte genießen in Decken eingehüllte Gäste den Blick auf den nächtlichen Lichterglanz von Kühtai. In ihren Bechern dampft heißer Jagatee. Lautes Lachen dringt vom Graf-Ferdinand-Haus herüber: Zurück ins Tal geht’s mit dem Schlitten – nach ausgiebigem Après-Ski bleibt der Schneekontakt auf der 2,5 Kilometer langen, beleuchteten Rodelstrecke meist nicht aus. Wenn die drei Hütten am Hang geschlossen sind, lebt das Hüttenambiente im Dorfstadl fort. Ausschweifendes Nachtleben ist jedoch unbekannt – oder, wie der Juniorchef des Hotels Tyrol seine Bar nannte, ein „Fiasko“.
Im Unterdorf liegt die Keimzelle des Ortes Kühtai, die „Kuhalpe“ eines Schwaighofs des Schlosses Petersburg bei Silz. Der ganzjährig bewirtschaftete Hof von 1288 empfing im Sommer und Herbst alljährlich hohe Gäste. Kaiser Maximilian und Erzherzog Leopold, Habsburger Kaiser und Tiroler Landesherren, jagten hier Gemsen. Eine standesgemäße Unterkunft entstand jedoch erst im 17. Jahrhundert: das Jagdschloss Kühtai, 1952 zum Viersternehotel umgestaltet.
In der behaglichen Jägerstube, deren Zirbenholz das Patina der Geschichte trägt, setzt sich Graf Christian Stolberg-Stolzberg, Ururenkel von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Sisi, gern zu den Gästen und lässt die Schlossgeschichte Revue passieren. Schwarzweiß-Fotos mit alten Ansichten Kühtais und des letzten österreichischen Kaisers zieren die Wände und Flure. Laut knarren die Dielen beim Gehen, quietschen die massiven Schlösser, wenn der Graf ein Zimmer aufschließt, stolz auf die historischen Kassettendecken weist und den Knick im Kopfkissen korrigiert.
Wie das Jagdschloss, das in historischem Ambiente verwöhnt, besitzt jedes Viersternehotel sein besonderes Profil. Die Alpenresidenz Mooshaus setzt auf Wellness, Hotel Konradin wirbt mit der höchstgelegenen Tennishalle und Indoor-Golf das „Moritz“ gilt als bestes und beliebtestes Kinderhotel Tirols, das Sporthotel als Bleibe sportlicher Paare.
Beliebt bei Familien sind Ferienwohnungen; Privatvermieter fehlen völlig. Am Ende der Saison, wenn alle 1.300 Gästebetten verwaist, alle Saisonkräfte abgereist sind, bleiben zwölf Einwohner zurück. Selbst der Arzt kommt nur von Dezember bis April von Innsbruck zum Kühtai hinauf.
Dieser Beitrag wurde am 26. November 2004 vom gms-Themendienst der dpa verbreitet und von zahlreichen deutschsprachigen Medien veröffentlich. Am 19. März 2005 brachten die Lübecker Nachrichten diesen Bericht.