Kurische Nehrung: Wunderwelt der Dünen

„Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut als Spanien und Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll.“ (Alexander von Humboldt).

Der Legende nach ist die Riesin Neringa für das Naturwunder verantwortlich. Sie lebte am Meer und glättete die stürmischen Wogen, um die Fischer zu schützen. Aber immer waren die Wellen stärker. So baute sie einen langen Damm – die Kurische Nehrung.

Die Geologie erklärt es weniger poetisch: Sandanspülungen ließen vor rund 7000 Jahren den 97 Kilometer langen Nehrungsstreifen entstehen, den sich heute Litauen und Russland teilen. Der stete Wind aus Nordwest nahm zur Seeseite den Sand auf und türmte ihn im Hinterland am Haff zu hohen Dünen. Mal trennen vier Kilometer, dann nur 400 Meter Haff und Meer.

Die Haffseite der Kurischen Nehrung
Die Haffseite der Kurischen Nehrung

Mit sechs Metern pro Jahr wandern die Dünen noch heute. 14 Dörfer haben die sandigen Schönheiten in der Vergangenheit auf ihrem Weg gen Osten unter sich begraben. In ihrem Gedicht „Die Frauen von Nidden“ hat die Königsberger Dichterin Agnes Miegel diese Tragödie festgehalten. Wie Nida wurden viele der Dörfer mehrfach verschüttet.

Die Große Düne der Kurischen Nehrung
Die Große Düne der Kurischen Nehrung

Erst mit seiner „Strauch-Methode“ gelang es Düneninspektor Franz Epha im 19. Jahrhundert, einige Wanderdünen der Kurischen Nehrung zum Stillstand zu bringen. Zur Erinnerung trägt die Epha-Höhe bei Morskoje (Pillkoppen) seinen Namen, sein Grab in Rossitten immer noch Blumen. Durch gezielte Aufforstung mit Kiefern und Ginster gesichert, zeigen die Dünen nur noch auf zwölf Prozent des Territoriums unverhüllt ihre Pracht.

Rund um Nida, nahe der Grenze zu Russland, liegen die höchsten Dünen. Bedingt durch den Wind, erreichen sie maximal 70 Meter. Überirdisch schön ist der Blick von der Hohen Düne auf Haff, Ostsee und Ort; atemberaubend die Aussicht aus 52 Meter Höhe über das Tal des Schweigens. Feingerippte Wellenmuster überziehen das endlos goldene Sandmeer.

Blick von der Großen Düne, der Kurischen Nehrung auf das Haff.
Blick von der Großen Düne auf das Haff.

Frühere Dünen ragen als „Kupsten“ auf – verwehte Riesenbuckel, auf denen sich scharfkantiges Gras im Wind wiegt. Dunkle Flächen in Mulden verraten den gefährlichen Treibsand. Die Schaumkronen der Ostsee glitzern in der Sonne, spiegelklar und still liegt ruhig das Haff. In der Ferne strahlt das Leuchtfeuer von Nida, holen Fische auf ihren Booten die Netze ein.

Vor zehn Jahren, am 23. April 1991, wurde Neringa zum Kursiu Nerija National Park (KNNP) erklärt. 26.474 Hektar groß, schützt er Pflanzen- und Tierarten, deren Bestand bedroht oder bereits ausgestorben ist – wie Otter, Adler oder Atlantischer Lachs.

Fischerhaus bei Nidden auf der Kurischen Nehrung
Fischerhaus bei Nidden

Die Haff-Dörfer Nida (Nidden), Preila (Preil), Pervalka (Perwelk) und Juodkrante (Schwarzort) wurden bereits 1961 zu einer Verwaltungseinheit zusammen geschlossen. 50 Kilometer lang, ist „Neringa“ damit die längste Stadt des Landes. Wenngleich die Moderne mit Beton und Fertigbau inzwischen Einzug gehalten hat, prägen die traditionellen Holzhäuser in leuchtendem Kuren-Blau, Goldgelb oder Braun noch immer das Bild.

Das blaue Haus von Juodkrante (Schwarzort) auf der Kurischen Nehrung
Das blaue Haus von Juodkrante (Schwarzort)

Geschnitzte Pferdeköpfe schmücken die Giebel, fantasievolle Wetterfahnen mit Hähnen, Menschen oder anderen Motiven die Reet- oder Ziegeldächer. Rittersporn und Rosen, Klatschmohn und Kletterranken wuchern in den Bauerngärten. Die Äste der Ostbäume neigen sich bis zu den weißen Spitzen der Lattenzäune. Vor den Kapitänskaten ruhen Kurenkähne im Sand – gaffelgetakelte, offene Schiffe in traditionellem Schwarz.

Malerinnen auf der Mole von Nidden auf der Kurischen Nehrung
Malerinnen auf der Mole von Nidden

1888 machte ein Genrebild von Bischoff-Culm Nida unter Malern und Literaten bekannt. Mit den ersten Künstlern kam auch Lovis Corinth. Er zeichnete den alten Brunnen der Dorfwirtschaft und hielt den Friedhof von Nidden 1893 in düster-derben Pinselstrichen fest. Hans Kallmeyer verschrieb sich der Elchmalerei; Ernst Mollenhauer blieb auch nach 1945 mit Motiven wie „Der Leuchtturm von Nida“ der Nehrung treu. Wer nicht im Hotel Bode wohnte, kam wenigstens abends hier. Heute erinnert eine kleine Plakette an der Fassade an den einstigen Künstlertreff.

1932 entdeckte Thomas Mann die „wüste Küste“ für sich. Sein Sommerhaus auf dem Schwiegermutterberg, seit 1967 Museum, wurde 1995 mit Hilfe deutscher und litauischer Stiftungen zum internationalen Kulturzentrum. Der berühmte Italienblick ist heute nahezu von Büschen und Bäumen verdeckt.

Einer der ältesten Orte ist Juodkrante (Schwarzort). 1854 begann hier die Firma Stantien & Becker, nach Bernstein zu baggern. Bis 1866 wurde das Gold der Ostsee industriell gefördert – 1883 an einem Tag allein 75.546 Kilo. So entstand die Bernsteinbucht, der heutige Hafen. Zur Seeseite führt ein Märchenpfad mit 40 kunstvoll geschnitzten Holzfiguren zum 53 Meter hohen Hexenberg.

An der nördlichen Spitze der Nehrung liegt Smiltyne (Sandkrug). Der kleine Fährhafen mit dem alten Fort gehört bereits zu Klaipeda (Memel). Auf russischer Seite feiert die älteste Vogelwarte der Welt in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. 1901 hatte der deutsche Pfarrer und Ornithologe Johannes Thienemann in Rybachy die Vogelwarte Rossiten gegründet.

Heute leben auf der Station hauptsächlich Wissenschaftler aus St. Petersburg, die im Rahmen des Mettnau-Reit-Illmitz-Programms der Vogelwarte Radolfzell Singvögel in Japannetzen fangen, beringen und Kennzeichen der Vögel wie Alter, Geschlecht, Fett- und Mauserzustand festhalten. Besonders im Frühjahr und Herbst sind freiwillige Helfer willkommen.

Dieser Beitrag ist am 18. Juni 2001 auf Spiegel Online erschienen.

Blasmusikkonzert auf dem Theaterplatz von Klaipeda
Blasmusikkonzert auf dem Theaterplatz von Klaipeda

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