Mecklenburgische Seenplatte: von einem See zum anderen

Mit mehr als 1.000 Seen gehört die Mecklenburgische Seenplatte zu den geruhsamsten Ecken Deutschlands. Kanäle, Flüsse und Bäche verbinden die großen und kleinen Gewässer miteinander und schaffen ein Revier für Wassersportler, das einlädt, sich einfach treiben zu lassen.

Zu den beliebtesten Routen gehört die 184 Kilometer lange Müritz-Elde-Wasserstraße. Ihr schönstes Teilstück beginnt in Plau. Wahrzeichen der typisch mecklenburgischen Kleinstadt ist der wuchtige Burgturm. Seine drei Meter dicken Mauern verbergen ein elf Meter tiefes Verlies. 120 Stufen führen hinauf zum Turm der Stadtkirche St. Marien. Fachwerkhäuser aus dem Mittelalter drängen sich zu unseren Füßen.

In der Ferne erhebt sich der Klüschenberg. An seinem Südhang wurde im 16. Jahrhundert sogar Wein angebaut, erfahren wir im Heimatmuseum. An der Eldeschleuse herrscht Hochbetrieb. Auf der „Hühnerleiter“, die über die Anlage führt, stehen dicht gedrängt die Besucher und sehen beim Schleusen der Boote zu. Kommen größere Boote vorbei, wird die alte Hubbrücke von 1916 1.60 Meter empor gehoben. Unser Hausboot indes passiert mühelos.

Mecklenburgische Seenplatte. Viele der Fischerhütten wurden inzwischen umgebaut zu Ferienwohnungen. Foto: Hilke Maunder
Viele der Fischerhütten wurden inzwischen umgebaut zu Ferienwohnungen. Foto: Hilke Maunder

Wir hatten es am Vormittag für drei Tage gechartert – und benötigten nicht einmal einen Bootsführerschein. Eine kurze Einführung genügte, und dann hieß es: Leinen los!

Jetzt liegt der erste der vier Seen vor uns, die wir auf dem Weg zur Müritz passieren werden. Der Plauer See ist noch ein richtiger Bauernsee mit Feldern und Dörfern an den Ufern. In den alten Torfstichen, die allmählich verlanden, brüten Rohrdommel, Kranich und Beutelmeise.

Fast sechs Kilometer sind es hinüber zum Ostufer, wo das Agrarhistorische Museum Alt-Schwerin Einblicke in das Landleben von einst gibt. Handwerker, Knechte und Mägde erfüllen die mecklenburgische Gutslanlage – ein Herrenhaus in nordischem Backstein, Tagelöhner- und Landarbeiterkaten und eine Holländerwindmühle – mit Leben. Wer möchte, kann noch einmal die Schulbank drücken und auf den schmalen Bänken der Dorfschule Platz nehmen.

ecklenburgischen Seenplatte kommt ihr immer wieder auch an Räuchereien vorbei. Foto: Hilke Maunder.
Biem Schippern auf der Mecklenburgischen Seenplatte kommt ihr immer wieder auch an Räuchereien vorbei. Foto: Hilke Maunder.

Am Leuchtturm von Lenz drosseln wir die Maschine und fahren mit halber Kraft in den Petersdorfer See ein. Ohne eine einzige Schleuse geht es von hier durch alle vier „Großseen“ zur Südspitze der Müritz. Sie werden auch „Oberseen“ genannt, weil sie mit einer Höhe von 61,91 Meter über dem Meeresspiegel den Scheitel der Wasserstraßen in Mecklenburg-Vorpommern bilden.

Mühelos lässt sich das Boot manövrieren. In der einen Hand das Steuer, in der anderen das Fernglas, ziehen Felder vorbei. Steinig sind sie – das Absammeln war jahrhundertelang die Arbeit der Frauen. Selten gewordene Tiere begleiten die Fahrt. Ein Fischotter taucht auf, verschwindet im Schilf.

Hoch in der Luft zieht ein Seeadler seine Kreise, um dann, seine Beute im Visier, gezielt hinabzustürzen. Graureiher stelzen am Ufer durch das Wasser, Haubentaucher jagen direkt am Bug nach Nahrung. Auf den reetgedeckten Katen am Ufer laden große Wasserräder den Storch ein, sein Nest zu bauen.

Mecklenburgische Seenplatte. Ein Haarklammer hält unsere Gewässerkarte... Foto: Hilke Maunder
Ein Haarklammer hält unsere Gewässerkarte… Foto: Hilke Maunder

Die gemächliche Fahrt verführt zum Müßiggang. Am Heck hängt eine Angelrute. Lara lässt ihre Beine ins Wasser baumeln. Am Abend erreichen wir die Klosterstadt Malchow. Laut piepend wendet sich die Drehbrücke, die die Stadtinsel mit dem Festland verbindet, um 90 Grad und lässt unser Boot passieren. Den Brückenzoll legen wir in den bereit gehaltenen Apfelpflücker.

Das Licht der letzten Sonne nutzen wir zum Landgang, bestaunen die noch nach Jahrhunderten in alter Frische farbig leuchtenden Klosterfenster, und bummeln durch den Engelschen Garten. Im ehemaligen „Filmpalast“ lässt das bislang einzige DDR-Museum den Alltag im Arbeiter- und Bauernstaates wieder aufleben.

Mecklenburgische Seenplatte: Bei Rechlin: Natur pur am Sumpfsee. Foto: Hilke Maunder
Bei Rechlin: Natur pur am Sumpfsee. Foto: Hilke Maunder

Kein Autolärm, sondern das Gezwitscher der Vögel weckt uns am nächsten Morgen. Wie weiche Watte liegt feiner Dunst über dem spiegelglatten See. Während in der Kombüse das Frühstück vorbereitet wird, tuckern wir über den Fleesensee und Göhrener Kanal hin zum Kölpinsee. Unser Ziel: die Halbinsel Damerower Werder. 40 Wisente leben hier in freier Natur. Wer die Urviecher sehen will, sollte zu den Fütterungszeiten (10 und 15 Uhr) zu Fuß ans Gatter gehen – das Anlegen an der Halbinsel ist verboten.

Nach dem Reeck-Kanal erreichen wir die Müritz. „Moracze – Kleines Meer“ – nannten die Slawen den 117 Quadratkilometer den zweitgrößten deutschen Binnensee. Wie gefährlich dieses Meer sein kann, zeigt sich schon bei mäßigen Wind. Bereits ab Windstärke drei entstehen steile Wellen, ist der See für kleine Boote nicht mehr befahrbar.

Mecklenburgische Seenplatte. Die Stadtsilhouette von Waren. Foto: Hilke Maunder
Die Stadtsilhouette von Waren. Foto: Hilke Maunder

Hauptort und Herz der Müritz ist Waren – auch, wenn der Ort an der Binnenmüritz liegt und nur über einen ein Kilometer langen „Hals“ mit dem Hauptsee verbunden ist. Am Neuen Markt erheben sich stolze Bürgerhäuser, den Alten Markt säumen mächtige Linden. Das Aquarium im Müritz-Museum zeigt die Vielfalt der Fischwelt, die wir später an einem Räucherstand am Kai genießen: Barsch, Saibling, Aal und Sprotten – wenigstens ein Fischbrötchen muss sein.

Oder doch lieber eine Kaffeepause auf Schloss Klink? In Anlehnung an die Schlösser der Loire 1898, nach dem Krieg ein Erholungsheim, residiert unter den Türmen und Zinnen von Schloss Klink heute ein komfortables Hotel. Vier Restaurants verwöhnen von typisch mecklenburgisch bis mediterran, stets garniert mit einer Panoramaaussicht auf das kleine Meer.

Mecklenburgische Seenplatte. Von der Steinmole in Waren starten Ausflugsschiffe zu Rundfahrten. Foto: Hilke Maunder
Von der Steinmole in Waren starten Ausflugsschiffe zu Rundfahrten. Foto: Hilke Maunder

In einer geschützten Bucht liegt Röbel. Liebevoll wurde die typisch Mecklenburger Kleinstadt restauriert. Auch sie ist am schönsten von hoch oben zu genießen: vom 58 Meter hohen Turm der frühgotische St. Marien-Kirche. Den Schlüssel gibt es im Pfarrhaus. In Rechlin, ganz im Süden der Müritz gelegen, lohnt sich der Blick ins Luftfahrttechnische Museum, das Exponate der ehemaligen Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin zeigt.

Beim Spaziergang stoßen wir auf eine Mauer. „50 Jahre war dieser Ort geteilt“, informiert ein Schild, trennte die Mauer 4.000 Soldaten der Roten Armee und deren Angehörigen von den anderen Einwohnern. Lange Jahre gesperrt war auch das Ostufer der Müritz. Das Gebiet, in dem einst der frühere Ministerpräsident der DDR Willi Stoph mit seinen Genossen jagte, bildet heute die Kernzone des 318 Quadratkilometer großen Müritz-Nationalpark.

400 Kilometer Rad- und Wanderwege erschließen die Wälder und Wiesen, Moore und Seen. Wir jedoch wollen zum Ausklang des Wochenende die intakte Natur wie Anno dazumal erleben: hoch droben auf der Postkutsche. Und während die Hufe über das Kopfstein klappern, die stämmigen Kaltblüter gemächlich sandige Feldwege entlang traben, blinkt immer wieder ein tiefes Blau zwischen den Bäumen hervor: die Mecklenburgische Seenplatte.

Dieser Beitrag ist am 15. August 2003 im ViaMichelin-Magazin erschienen. 

Mecklenburgische Seenplatte: Mirower See: Sonnenuntergang am Bootssteg. Foto: Hilke Maunder
Mirower See: Sonnenuntergang am Bootssteg. Foto: Hilke Maunder

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