Koldinghus: Renaissance einer Ruine

Eine Holzwand bedeckt eine fehlende Mauerpartie, Kronleuchter und Laternenpfähle lassen die ursprüngliche Architektur wieder erstehen: Koldinghus, die letzte Königsburg Jütlands und einstige Grenzfestung zwischen dem Herzogtum Schleswig und dem Königreich Dänemark, wurde im Laufe von hundert Jahren durch architektonisch mutige wie einfallsreiche Restaurierungen vor dem Verfall gerettet – und in ein Museum verwandelt, dass mittlerweile selbst Staatsoberhäupter anlockt.

Seit mehr als 700 Jahren erhebt sich die trutzige Backsteinburg hoch über Kolding. 1268 vom Dänenkönig Erik Glipping an einer Furt über die Kolding Au erbaut, war Koldinghus das ganze Mittelalter über eine starke Burg, die für die Verteidigung Dänemarks von größter Wichtigkeit war: Sie schützte die Südgrenze und sicherte die Handelswege zu Land. Heute gibt es keine Spuren mehr von dieser Burg.

Die ältesten sichtbaren Zeugnisse sind heute die beiden untersten Geschosse des Nordflügels, zwischen 1441 und 1448 entstanden, sowie der gesamte Westflügel aus der Zeit seines Nachfolgers Christian I. Trotz seiner Umbauten gilt der Westflügel als einer der größten erhaltenen, weltlichen Bauwerke Dänemarks aus dem Mittelalter.

An der Hoffassade sind noch Spuren der einstigen gotischen Spitzbogenfenster zu erkennen, die Licht in den Rittersaal ließen; im obersten Geschoss sind an den beiden Schießscharten noch Reste der Rückstoßbalken erhalten. Im Jahr 1536 bestieg Christian III. nach einem blutigen Bürgerkrieg den Thron und ließ Koldinghus gemeinsam mit seiner Königin Dorothea vollständig umbauen: Die Festung wandelte sich zum Palast. Koldinghus wurde das erste, allein zivilen Zwecken dienende Schloss Dänemarks.

Daher wurde auch der mittelalterliche Burggraben zugeschüttet und auf dem inneren Festungsgraben Südflügel und Ostflügel errichtet. Um die älteren Bauperioden zu tarnen, wurden alle Mauern verputzt und weiß gekalkt, das Dach mit grünem Schiefer gedeckt.

In der Südwestecke richteten Christian III. und Dorothea die erste protestantische Fürstenkapelle Dänemarks ein. Seit der Restaurierung dient der einstige Kirchenraum als Vortragssaal. An die alte, zweigeschossige Raumaufteilung erinnert eine neue, hölzerne Empore mit Sitzreihen für Zuhörer, die heute den Raum teilt.

Kaum gekrönt, beschloss Christian IV., Koldinghus müsste nicht nur ein bequemes Wohnschloss sein, sondern das Reich repräsentierten. Nach dem Brand im Nordflügel im Jahr 1597 begann der Umbau. In der Nordwestecke ließ Christian IV. eine wahrhaft fürstliche Schlosskirche errichten, darüber einen neuen, großen Festsaal. Seine Länge von 57 Metern wurden nur noch von Schloss Kronborg übertroffen.

Über Kirche und Rittersaal folgte der Kämpen- oder Heldenturm. Vier Statuen antiker Helden, die jeweils das Wappenschild eines Landes im Königreich trugen, schmückten damals die Spitze – heute ist einzig Herkules mit dem schwedischen Schild erhalten. 1660 wurde in Dänemark die absolute Monarchie eingeführt.

Die Könige Dänemarks wurden in Kopenhagen und Nordseeland sesshaft, königliche Besuche in Jütland zur Seltenheit. Dennoch wurde Koldinghus nach Ende des Nordischen Krieges 1720 nochmals umgebaut. Frederik IV. versuchte, die unterschiedlichen Geschosseinteilungen aus Mittelalter und Renaissance mit den Anforderungen des Barock an Ordnung und Gesetzmäßigkeit in Einklang zu bringen.

Giebel und Dachstübchen aus der Renaissance verschwanden, die Geschosse wurden angegliedert, und das Schloss neue Fenster, die sich in waagerechten Bändern im gleichmäßigen Rhythmus die gesamte Fassade entlang zogen.

Der Rittersaal wurde in mehrere kleine Räume aufgeteilt – offizielle Staatshandlungen wurden nicht länger außerhalb der Hauptstadt vorgenommen. Koldinghus wurde kaum noch genutzt, verfiel – bis Napoleon seine Soldaten schickte: 30.000 Mann, hauptsächlich spanische Söldner. Koldinghus wurde Hauptquartier für den französischen Marschall Jean Baptiste Bernadotte und seine Truppen.

Die Nacht vom 29. zum 30. wurde zum Wendepunkt von Koldinghus. Ein überhitzter Kamin entzündete im Zimmer über der Wachstube ein Feuer. Da der Schlosssee zugefroren, die Löscharbeit mit Eimern aussichtslos war, bemächtigten sich die Flammen rasch des ganzes Schlosses. Jetzt ging es nur noch darum, möglichst viel vom wertvollen Inventar zu retten.

Am zweiten Tag nach Ausbruch des Brandes stürzte eine Teil des Kämpenturms ein und begrub Rittersaal und Schlosskirche unter sich. Die Königsburg Koldinghus blieb als sodgeschwärzte Ruine zurück. Niemand dachte zunächst daran, Koldinghus wieder aufzubauen. Die örtliche Bevölkerung nutzte die Ruine als Steinbruch, Maler und Dichter als Inspirationsquelle.

Um 1830 sprach sich Hans Christian Andersen für den Erhalt der Schlossruine aus; 1864 vereitelte der Krieg gegen Preußen und Österreich den geplanten Wiederaufbau. Erst 1890, mit der Gründung des Museums in Schloss Koldinghus, nahmen die Pläne Gestalt an. Nach wenigen Jahren hatte der Nordflügel wieder ein Dach.

Während des Ersten Weltkrieges wurde der Westflügel wieder aufgebaut. Für historische Genauigkeit fehlten die Mittel – so wurde dankbar auf das Material zurück gegriffen, das beim Umbau der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen zum Reichsarchiv verfügbar wurde: Ein elegantes Interieur aus Weiß aus dem Jahr 1827. Anfang der dreißiger Jahre drohte der Kämpenturm einzustürzen, konnte aber noch gerettet werden.

Danach folgte eine fast vierzigjährige Pause. Erst in den siebziger Jahren wurde die endgültige und vollständige Restaurierung in Angriff genommen. Die Auflage des Denkmalamtes: Von außen musste die Fassade nahezu unverändert erhalten bleiben, Im Innern hatte die Architekten Inger und Johannes Exner freie Hand. So entstand eines der imposantesten Bauwerke Dänemarks.

Das ungewöhnliche Prinzip: Die Ruine wurde bei der Restaurierung so wenig wie möglich berührt – sondern eingebettet in neue Architektur, deren klares nordisches Design die erhaltenen Reste umrahmt, ergänzt und schützt. Bewusst wurden nur Materialien eingesetzt, die sich deutlich von den historischen Baustoffen absetzen: Holz, Stahl und moderne Mauersteine.

Original und Rekonstruktion stehen so in spannungsreichem Kontrast, ergänzen und kommentieren sich gegenseitig. Im Ost- und Südflügel tragen laminierte Holzsäulen Dach und Geschossdecken. Da sich die Wände wegen schlechter Fundamente zu neigen begannen, wurden im Keller neue Fundamente aus Beton gegossen.

Die fehlende Mauerpartie gen Südosten ersetzt eine leichte Holzwand, die am Dach aufgehängt und mit Eichenspänen verkleidet wurde. In der Schlosskirche zitieren Kronleuchter heute die Architektur des Gewölbes, Stehlampen die einstigen Steinsäulen.

Allein in der letzten Phase – von 1976 bis 1993 – wurden 85 Millionen dänische Kronen verbaut, darunter zehn Millionen Kronen aus einer privaten Spende. 60 Prozent der Kosten trug das Land Dänemark, 30 Prozent die Stadt Kolding, zehn Prozent der Kreis Velje.

Am 1. September 1989 wurde der neue Südflügel durch Königin Margarethe II. offiziell eingeweiht, die Restaurierung für beendet erklärt. Doch Poul Dedenroth-Schrou (59), seit 1976 Museumsdirektor, holte längst wieder die Handwerker nach Koldinghus.

Im Frühjahr 2003, zum 113. Geburtstag des Museet på Koldinghus, wird das neue Besucherzentrum eingeweiht. Mit mehreren Modellen führt es den Besuchern anschaulich die wichtigsten Bauphasen vor Augen – und zeigt, wie wandlungsfähig Koldinghus durch die Jahrhunderte war und ist.

Die Sammlungen des Museums erzählen die Geschichte der Stadt und des Süden Jütlands von der Steinzeit bis heute aus archäologischer wie historischer Sicht. Truhen und Schränke, Stühle und Tische zeigt die Möbelsammlung, umgeben von dänischen Gemälden aus der Zeit 1550 bis 1940.

Die Gattung der Künstlermöbel ist vertreten mit einem Wohnzimmer des Goldschmieds Holger Kyster. Als „skønvirke“ beeinflusste der neue Stil als dänische Spielart des Jugendstils auch die Kunsthandwerker jener Zeit – auf Koldinghus besonders schön bei den Keramiken von Thorvald Bindesbøll und Svend Hammershøi zu sehen.

Silber- und Goldarbeiten von der Renaissance bis zur Gegenwart birgt die Schatzkammer von Koldinghus. Gerade für Silberkunst ist Kolding noch heute das dänische Zentrum.

Doch Koldinghus ist heute mehr als ein Museum. Das ganze Jahr hindurch locken Konzerte, Vorträge und Theaterabende. Auch wird auf Koldinghus wieder repräsentiert.

Die dänische Regierung und die Stadt Kolding laden hier gerne zum Galadinner. Wo einst die dänischen Könige beteten, dinierte beim Treffen der Baltic Council im Jahr 2000 Kanzler Schröder mit Kollegen.

Dieser Beitrag war eine Auftragsarbeit für den Reportagedienst von Visit Denmark. Er wurde am 25. Januar versandt und von zahlreichen deutschsprachigen Medien abgedruckt. 

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Christoph Schumann kennt Dänemark wie seine Westentasche. Seit Jahrzehnte bereist der Skandinavienspezialist das kleine Königreich. Und hat mit dem Baedeker „Dänemark“ einen Führer verfasst, der kompetent wie unterhaltsam Reise-Inspirationen mit detaillierten Infos zu Sehenswerten und Außergewöhnlichen, Klassikern und Kleinoden verbindet.

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