Mitten in der venezianischen Ebene erheben sich die Euganeischen Hügel mit ihren Wäldern, Rebhängen, Olivenhainen und Obstwiesen. Durch die Vulkanberge führt eine 64 km lange Radrunde, die Burgstädtchen und Bauerndörfer, Gartenträume und Naturperlen berührt.
Schon zur Antike lebten die Euganeischen Hügel im Hinterland von Venedig von den Kurgästen, die in römischen Thermen badeten, in Thermarien schwitzten und im warmen Fango Linderung für ihre Gelenkprobleme fanden. In der Renaissance kamen die Adelsfamilien und bauten ihre prachtvollen Landsitze entlang eines weit verzweigten Kanalsystems, da bis heute Venedig direkt mit diesem Naturkleinod und seinen warmen Quellen verbindet.
Fit mit Fango & Thermalwasser
Fünf Thermalorte gibt es in der Region. In 108 Spa-Hotels sprudelt das Thermalwasser aus 3.500 m Tiefe 82 bis 87 Grad warm ins Bassin der Badebecken, wo es abgekühlt wird auf angenehme 32 Grad. Jedes Hotel versucht seit dem Einbruch des Kurbetriebs, der einst auch deutschen Gästen den Aufenthalt in Abano Terme, Montegrotto, Teolo, Battglia Terme und Galzignano Terme finanzierte, mit Wellness für Jüngere das Loch in der Kasse auszubessern.
Und das erfolgreich. Das Abano Gran Hotel lockt mit seinem Anti-Aging Thermal Spa längst auch eine gut betuchte Mittelschicht, für die gutes Aussehen ein Teil des beruflichen oder geschäftlichen Erfolges bedeutet. Schon morgens früh ziehen sie in den beiden zwei großen Thermalschwimmbädern ihre Kreis – dem Freibad „Étoile“ mit 28-35° C Wassertemperatur, Gegenschwimmanlage, Unterwasserliegen, Hydromassagenstrahler und Parcours für die Beine – und dem Hallenbad „Lune“, das großflächige Liegenzonen und ein Kneipp-Parcours umgeben.
Wenige Schritte weiter lockt das neue „Venezia Spa“ mit Biosauna, Dampfbad, Eiswasserfall und Erlebnisduschen, die mit Musik, Farben und Aromen die Kälte des Nordpols , die Düfte des Frühlings und die Wärme der Tropen erlebbar machen. Als Jungbrunnen preist das Spa seinen Fango. Der warme Heilschlamm, der bislang Rheuma und andere Gelenkkrankheiten linderte, soll jetzt, mit Algen versetzt, auch dem Altern Paroli bieten.
„Dank der Diatomee und Cyanophythen ET 503 und ET 505, die dem Reifungsbecken entnommen werden, hat der Anti-Aging-Fango einen tiefen Einfluss auf den Alterungsprozess“, sagt Dottore Guglielmo Di Blasio, Thermal Spa Director der GB-Hotels in Abano und in Baden-Baden. „Er hält den Gelenkknorpel elastisch, stärkt den Muskeltonus, stimuliert die Zellerneuerung, erhöht die Produktion von natürlichen Gewebefasern und wirkt so der Hauterschlaffung entgegen. Eine Anwendung – vier Wirkungen. Ist das nicht phantastisch?“
Auch Daniela, eine resolute Mittfünfzigerin, ist von der Wirkung ihres heißen Fangos überzeugt, lässt mich 20 Minuten im schweren Schlamm schwitzen, setzt mich anschließend in eine Thermalsprudelwanne und massiert mir derweil das Gesicht mit einer reichhaltigen Körperkrem.
Wäre da nicht die dudelnde Orgelmusik im Hintergrund, würde ich wirklich komplett entspannen und wegträumen. Die Haut jedenfalls ist nach einer Stunde Abano Therme intensiv wieder so weich wie in Kindertagen. Körper und Geist sind so entspannt, dass sie sich nur nach einem sehen: den großen, breiten Betten des Abano Grand Hotels mit 189 Zimmern in edler Klassik, die den Wellnessaufenthalt erst komplett machen.
Die neue Klientel, die nach den Kurgästen der Krankenkassen die Kassen klingeln lässt, hat bei den Hotels der Thermenregion nicht nur für einen Modernisierungsschub gesorgt, sondern auch die Struktur der touristischen Angebote nachhaltig verändert.
Die Urlauber, die einst im Omnibus zu Ausflugszielen und Einkaufsveranstaltungen kutschiert wurden, schwingen sich heute selbst aufs Rad und entdecken die Region auf eigene Faust. Einfach, abseits vom Verkehr auf Uferdämmen von Kanälen und fast immer flach – und nur mit einer Bergstrecke bei Arquà Petrarca – führt der 64 Kilometer lange E2 – Ring der Euganeischen Hügel zu den Highlights der Vulkanberge, die seit 1989 der 18.694 Quadratkilometer große Parco regionale dei Colli Euganei schützt.
Este: feinstes Porzellan & edelster Schinken
Geschützt haben sich auch die Adelsfamilien, die vielen Hügelspitzen ihre wehrhaften Burgen errichteten – in Este umgibt ein 1000 Meter langer Mauerring mit zwölf Türmen das stattliche Carrareserschloss, das 1340 von Umbertino da Carrara auf den Überresten der Burg Azzos II von Este erbauen ließ. In ihren Nischen klammern sich Kapernsträucher an den Fels, die nur morgens für kurze Zeit ihre zarten weiß-violetten Blüten öffnen.
Handgemalt, zieren sie die Teller der Este Ceramiche Porcellane von 1756, einer der ältesten Keramikfabriken Europas. „Doch unser Traditionsmuster ist dieses hier“, sagt Isabelle Fadigiati (30). „Blaue Muster nach dem Vorbild der Natur auf weißem Grund.“ Begründet wurde die Keramiktradition der Kleinstadt von Girolamo Franchini, wiederbelebt 1956 vom Florentiner Giovanni Battista Giorgini.
Der Erfinder der Modenschauen im Palazzo Pitti von Venedig war von der alten Keramikfabrik Franchini so sehr beeindruckt, dass er beschloss, ihr wieder neues Leben einzuhauchen und alte Muster neu zu beleben. Das gelang bei „Este Ceramiche Porcellane“ so gut, dass Luxusmarken wie Dior, Tiffany’s oder Barney’s aufmerksam wurden, eigene Tonkreationen orderten und zu den Stammkunden wurden.
Weniger berühmt als seine Cousins aus Parma, San Daniele und Sauris, aber mindestens genauso gut ist der Prosciutto Veneto Euganeo Berico, der schon im 15. Jahrhundert von den venezianische Dogen von Venedig serviert wurde und heute auf den Tafeln des Papstes zu finden ist.
Luftgetrocknet und zart, ist der milde rosafarbene Rohschinken von Montagnana, der 1996 die DOP-Auszeichnung erhielt, ein wahrhaft himmlischer Genuss – bis heute handwerklich hergestellt von kleinen Familienbetrieben wie der Salumificio Fontana, wo drei Brüder – Giuseppe, Francesco und Bruno – neben mehreren Schinkenarten auch Wurstspezialitäten wie Pancetta, Salume und „Sorspresa Veneta“ handwerklich herstellen.
Monselice: Feuersteine für Venedig
Sieben Kilometer trennen Este von Monselice. Fernab vom Verkehr, folgen wir auf einer Dammstraße dem Canale Bisatto, vorbei an großen Höfen, windschiefen Bäumen, Bogenbrücken und hohen Gras, das beim Radeln immer wieder gegen die Beine schlägt. Unterwegs naschen wir kleine sonnengelbe Brustbeeren, die es nur in den Euganeischen Hügeln gibt, und schauen den Schwalben zu, die hoch am Himmeln blitzschnell hin- und her sausen.
Mons Selicis, Berg des Feuersteins, hieß Monselice im Mittelalter. Jahrhundertelang wurde im Städtchen Trachyt gebrochen – ein hellgrauer Vulkanstein, der für Mauern, Platten und Gärten verwendet wurde, kaum aber zum Häuserbau. Selbst der Markusplatz, ursprünglich mit Backstein ausgelegt, wurde im 19. Jahrhundert mit Trachyt aus Monselice gepflastert!
Gebrochen wurde der Stein unter anderem am Colle della Rocca von Monselice, an dessen Fuß das Castello Cini aufragt – ein wehrhaftes Konglomerat, das mit seiner Architektur verrät, wie sehr sich seine Aufgaben im Laufe der Jahrhunderte veränderten: Burg, Residenz, Wachtturm und venezianische Villa.
Wenige Schritte weiter, an der Villa Nani, auf deren Mauersims hutzelige Zwerge hocken, beginnt die Via Sacra delle sette Chiese, die Straße der sechs Kapellen und der Kirche S. Giorgio, die wie die benachbarte Cà Duodo von Vicenzo Scamotti erbaut wurde. Die Villa des venezianischen Patriziers Pietro Duodo (1554–1610) bildet heute die prachtvolle Kulisse für das Euganea Film Festival, das alljährlich im Juli zwei Wochen lang open-air gefeiert wird.
Arquà Petrarca: die Dichtervilla
Wie bescheiden wirkt dagegen in Arquà Petrarca die Villa, in Francesco Petrarca seine letzten Lebensjahre (1370 bis 1374) verbracht hat: Im dunklen Erdgeschoss, das heute eine Fotoausstellung zur Kunst und Kultur der Region Padua zeigt, wohnte der Humanist und Dichter mit der Familie, im ungleich helleren Obergeschoss mit Blick auf die Hügel die Dienstboten.
Die Fresken, die heute dort die Wände zieren, ließ ein Nachbesitzer aus dem 16. Jahrhundert, der Adlige Pietro Paolo Valdezocco, an die Wände malen – original getreu erhalten aus Petrarcas Zeit sind nur dessen Sessel und Bücherschrank. Und die Rippe des Dichters, die in einer im Schlafzimmer ruht.
Auch der kleine, ummauerte Garten verrät nicht mehr, dass Petrarca dort einst Wein, Äpfel und Gewürze anbaute – heute wachsen dort hinter niedrigen Buschbaumhecken Oleander, Pinien, Lorbeer-, Oliven- und Kirschbäume.
Auch die Muße und Ruhe von einst ist längst dahin: Selbst in der Nebensaison zählt der Bilderbuchort mit dem Besuchermagneten Casa del Petrarca zu den Hotspots der Ausflugsbusse, und leise mischt sich ein „isn’t it lovely?“ ins Zirpen der Zikaden.
Valsanzibio: der heilbringende Garten
Auch Arquà Petrarca liegt hoch auf einem Hügel – und für die Anstrengungen der Bergstrecken entschädigen jetzt lange Abfahrten hinab nach Valsanzibio, wo Bernini den Garten der Villa Barbarigo im 17. Jahrhundert als Weg des Menschen zum Heil anlegte – mit vielen Bosketten, 33 Wasserspielen und Wegen, so verschlungen wie das Leben.
Doch wer sie entschlüsselte, fand – zumindest im rechteckigen Grün – den Weg von der Wahrheit von Irrtum, von der Unwissenheit bis zur Offenbarung. Uns jedoch überraschte ein Regenguss. Und so liefen wir kreuz und quer durch die barocke Anlage, suchten Schutz unter dem Blätterdach von Baumveteranen und verweilten in einer Galerie mit Blick auf einen Wasserbecken, in dem schwarze Schwäne mit roten Schnäbeln ihre Hälse so zusammensteckten, dass sich ein Herz in den dunklen Fluten spiegelte…
Die Autorin wurde unterstützt vom Tourismusverband der Region Padua. Dieser Beitrag erschien 2015 im Online-Reisemagazin Schwarzaufweiss.de.