Altehrwürdig und quicklebendig: Der alten Universitätsstadt Padua gelingt seit Jahrhundert der Spagat zwischen Freiheit des Geistes und tiefer Gläubigkeit. Streitbare Gelehrte, Spitzenkünstler wie Giotto und der Heilige Antonius haben der Stadt ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt.
Die Häuserwände ziert Graffiti, Fahrräder sind allgegenwärtig, in Bars und Boutiquen trifft man die Jugend aus aller Welt: Padua ist eine Studentenstadt – ein Drittel der Einwohner ist jünger als 30 Jahre. Die drittälteste Universität Italiens nach Bologna und Modena hat in vielerlei Hinsicht Geschichte geschrieben. 18 Jahre lang – von 1592 bis 1610 – lehrte Galileo Galilei in Padua als Professor der Mathematik, frei und unbehelligt. Und bestätigte mit Messungen Kopernikus Aussage, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Und nicht umgekehrt.
Hausarrest für Galileo
“Töricht, absurd und ketzerisch im Glauben” tobte daraufhin das Heilige Offizium, verbot die heliozentrische Lehre und stellte, da Galileo dennoch weiterforschte und nicht widerrief, 1633 den Forscher für den Rest seines Lebens in seiner Villa außerhalb von Florenz unter Hausarrest.
Doch die Uni von Padua blieb ein Hort der Freigeister. Und das auch für Frauen. 1678 erhielt dort eine adlige Benediktinerin den ersten Doktortitel der Welt – Elena Lucrezia Cornaro Piscopia. Doch warum wird ihr Andenken im Palazzo del Bò, deren Wandelgang im Atrium 3.000 Wappen von Professoren und Studenten schmücken, dort lieblos in die Ecke gestellt … und nicht, wie Kriegshelden, Könige und Gelehrte, ebenfalls mit einer Büste auf dem riesigen Prato della Valle geehrt? Unter den 80 Statuen, die die ehemalige Pferderennbahn heute schmücken, sollte es doch auch eine Plastik für die engagierte Philosophin geben!
Heiliger Gastarbeiter
Umso häufiger trifft man in Padua auf das Erbe eines Gastarbeiters, der als Fernandez Martin de Bulhorn aus Lissabon in die Po-Ebene kam und sich fortan Antonius nannte. Als Fastenprediger hatte er in Padua so großen Erfolg, dass keine Kirche groß genug für ihn war. So betete er im Freien… 1231 starb Antonius bei den Klosterfrauen von Arcella bei Padua und wurde in Santa Maria Maggiore beigesetzt.
Fünf Jahre später zog der Heilige von Venedig zurück in die Heimat, wo 1236 eine ihm geweihte Basilika vollendet worden war – ein riesiger Sakralbau aus rotem Backstein und weißem Schmuck, auf dem die italienische Flagge im Wind weht. Und doch zu klein ist, wenn Padua alljährlich am 13. Juni überquillt von Gläubigen, die zu den Gebeinen des Heiligen pilgern.
Geradezu bescheiden nimmt sich die Bischofskirche von Padua mit ihrem benachbarten Baptisterium aus, das mit Fresken von Giusto de’ Menabuoi ausgemalt ist. Einen ähnlichen Schmuck, nur ungleich prunkvoller, birgt die Scrovegni-Kapelle, die nur über das städtische Museum zu erreichen ist – wegen des großen Andrangs ist der Besuch pro Einlass auf maximal 25 Personen und 15 Minuten limitiert. Tickets mit dem gewünschten Zeitfenster lassen sich vorab im Internet buchen.
Erbaut wurde als Grabstätte für einen Mann, der vielleicht Shakespeare als Vorbild von Shylock gedient hat: Rinaldo Scrovegni – Dante Aligheri verbannte den stadtbekannten Wucherer in seiner „Göttlichen Komödie“ in die Hölle. Doch mit dem Geld des Vaters konnte Enrico Scrovegni einen Künstler mit der Ausschmückung der Kapelle beauftragen, der in seiner Zeit ein junger Wilder war, der innovativ mit tradierten Maltechniken brach und so zum Wegbereiter der Renaissance wurde: Giotto di Bondone.
Mit seiner Vorliebe für helle und klare Farben und völlig neuen Darstellungsformern wirken seine Fresken viel frischer, lebendiger und vitaler als die seiner Zeitgenossen. In der Scrovegni-Kapelle malte Giotto von 1304-6 die Wände und Gemälde mit 100 Szenen aus dem Leben Jesu und der Jungfrau Maria aus – und zeigte dort auch die Eltern der Jungfrau: Joachim und die Heilige Anna, ein Novum für die damalige Zeit. Und gemalt mit Farbpigmenten, die Giotto in Feigenmilch und Eigelb löste. Wie reich die Bankiersfamilie war, verrät in der Palastkapelle nicht das reichlich verwendete Blattgold, sondern vor allem die Farbe Blau.
Orgie in Blau
Blaue Farbpigmente waren damals sehr selten und kaum erschwinglich. Giotto jedoch schwelgte bei seinen Fresken geradezu in Blau – und nutzte gemahlenes Lapislazuli, das als „Ultramarin“ über das Meer nach Italien kam, für die hohen Himmel und Details der weiten Gewänder. Dass Giotto ein enger Freund von Dante war, und ebenfalls in der Göttlichen Komödie auftaucht, stand nur als Randnotiz im Reiseführer…
Mythen und Märchen, große Geschichte und abenteuerliche Geschicke: Paduas Gassen und Plätzen sind wahre Schatzkästchen für Zeitreisen. Während Giotto malte, begannt der Aufstieg einer Familie, die ab 1318 die Signoria, und damit die Herrschaft über Padua übernahm: die Carrara.
Stolz und streitbar, setzte sie auf Waffengewalt, um Konflikte aller Art zu lösen. Doch das nur nach außen. Nach innen erwies sich die Fürstenfamilie als aufgeklärte Herrscher, die großzügig Kunst, Kultur und Wissenschaft unterstützten.
Mächtige Mäzene
Troubadoure, Literaturen und andere Künstler zog es an ihren Hof, Guariento, Altichiero, Giusto de’ Menabuoi, Andriolo de’ Santi und Francesco Petrarca fanden bei den Carrara Schutz und Unterstützung. Sie förderten den Zustrom von Studenten aus ganz Europa und beriefen die besten Dozenten an die Universität, die mit der Bulle von Papst Urban V.1363 die Fakultät der Theologie, die sonst in Europa nur noch an der Sorbonne und in Bologna existierte. 1405 jedoch verdrängte der Markuslöwe den Karren, das Wappen der Familie und Allegorie der Tugenden eines guten Herrschers: 400 Jahre lang herrschte fortan die Serenissima über Padua, bis die blühende Stadt erst von den Franzosen, dann von den Österreichern eingenommen wurde.
Während die Habsburger nur einige Einflüsse der K&K-Architektur hinterließen, ist Frankreich bis heute präsent: Ungewöhnlich viele französische Modelabels und Ketten aus Frankreich bereichern das Shoppingangebot der Innenstadt.
Uritalienisch hingegen sind die beiden großen Märkte, auf denen sich vor und hinter dem Justizpalast „Palazzo della Ragione“ auf der Piazza della Frutta und Piazza delle Erbe die Köstlichkeiten des Veneto stapeln: weißer Spargel aus Bassano, Knoblauch aus Polesine, Tomaten in allen Farben und Formen, Artischocken, Blattsalat in Hülle und Fülle – und süße Naschereien wie Belluner Dolomitenhonig oder weißer Nougat mit Nüssen.
Arkaden für Genießer
In den Arkaden des Palazzo Ragione verstecken sich – gut geschützt vor Sonne und Hitze – ein Dutzend Händler, die hinter Bergen von Taleggio, Montasio, Provolone und Piave-Käse kaum zu entdecken sind. Wenig weiter baumeln dicke Soprèssa-Würste aus Vincenza und aromatische Prosciutto Veneto Berico-Eugeneo-Rohschinken an großen Fleischerhaken. Am Ausgang der Arkaden hat ein kleines Café eine Handvoll Tische und Stühle ins Freie gestellt: eine kleine Oase für einen Café oder Aperol-Spritz, der auch hier Trendgetränk ist.
Das nahe Caffè Pedrocchi ist seit fast 200 Jahren Treffpunkt der Stadt und Heimat der Freigeister. 1831 eröffnet, trafen sich hier die Anhänger des Risorgimento – dass bei der italienischen Einigung nicht nur debattiert wurde, bezeugt bis heute ein Einschussloch. Einzigartig wie das kleines Risorgimento-Museum im Obergeschoss ist auch eine zweite Einrichtung des Traditionskaffees: Als Treffpunkt für alle Bürger der Stadt gibt es einen Saal, in dem nichts konsumiert werden muss.
An den Wänden hängt Kunst von Einheimischen, auf einem Tisch ein Mac mit kostenlosem Internet-Anschluss, und im Winter wird dieser Saal selbstverständlich mit beheizt. Im Sommer trifft man sich auf der Terrasse und schlürft aus Cocktailgläsern Caffè Pedrocchi: starken, eiskalten Espressokaffee, bekrönt mit süßgrüner Minze und etwas Sahne.
Goethes Palme
Ob schon Goethe ihn genossen hat? 1786 hat er auf seiner „Italienischen Reise“ auch in Padua Station gemacht und war botanischen Garten der Welt vor einer 200 Jahre alten San Pietro Palme, der einzigen wilden Palmenart Italiens, zu seiner Theorie über die Metamorphose der Pflanzen inspiriert worden.
Als „Goethe-Palme“ wurde sie weltberühmt – und gehört heute neben den charmant morbiden Gewächshäusern, den mit heißen Quellen gespeisten Brunnen und Becken, und der eindrucksvollen Sammlung von Gift- und Heilpflanzen zu den Highlights des 1545 von der Uni angelegten Orto Botanico, der als ältester botanischer Garten der Welt 1997 als UNESCO-Welterbe anerkannt wurde.
„Es ist erfreuend und belehrend, unter einer Vegetation umherzugehen, die uns fremd ist. Bei gewohnten Pflanzen sowie bei anderen längst bekannten Gegenständen denken wir zuletzt gar nichts, und was ist Beschauen ohne Denken?“ schrieb der Gartenfreund Goethe am 26. September 1786 beim Besuch in das Tagebuch seiner Italienischen Reise. Zwei Tage weilte er in Padua – dann zog es ihn weiter nach Venedig.
Dieser Beitrag ist im Reisemagazin Schwarzaufweiss erschienen.
[textbox rows=”3″]Mehr Inspirationen und Infos zum Veneto und anderen Zielen der Region findet ihr in meinem Baedeker smart “Venedig” und im DuMont-Bildatlas “Venedig • Venetien”, den ich mit Barbara Schäfer verfasst habe – von ihr stammen die Venetien-Kapitel, von mir die Texte zu Venedig und der Lagune von Venedig. [/textbox]