Die Hitze flimmert auf dem Asphalt. Zwischen scharfen Grasbüscheln weiden ein paar Schafe. Schwarze Berge säumen den Horizont. Die Halbwüste Karoo, eindrucksvoll, unwirtlich. Und doch: 240 Kilometer nördlich von Kapstadt flattert plötzlich der Union Jack im Wind, das Symbol der einstigen Kolonialmacht Großbritannien.
Kuren in der Karoo
Die Flagge auf dem hohen Mast markiert ein Unikum: Matjiesfontein. Der Name hat nichts mit Fischen zu tun. Er leitet sich ab von dem Gras „Matjiesgoed”, das in der Karoo wächst. Aus seinen Halmen werden unter anderem Matten gefertigt. Fast unwirklich, wie eine Fata Morgana, erhebt sich das viktorianisches Idyll aus der Wüste, entsprungen der Vision einen Mannes: James Logan.
Gerade 22 Jahre alt, entschloss sich der Schotte 1883, die abgelegene Bahnstation aufzukaufen und in einen privaten Kurort zu verwandeln. Die trockene warme Luft, das hatte durch das Leiden seiner Frau erfahren, war für Lungenkranke ideal. Schon bald entwickelte sich das Kaff in der Karoo zu einer begehrten Oase für betuchte und prominente Persönlichkeiten.
Cecil Rhodes und der Sultan von Sansibar verbrachten in Matjiesfontein so manchen Monat; Schriftsteller wie Edgar Wallace und Olive Schreiner kehrten immer wieder nach Matjiesfontein zurück. Britische Aristokraten und Politiker der Kap-Kolonie kamen zur Kur in die Karoo – bis der Burenkrieg dem florierenden Ferienort ein jähes Ende bereitete.
Nabel der Welt
Matjiesfontein und fein: Gerade mal 300 Meter misst die Stadt mit Verbindungen in alle Welt. Tokyo 9147 Meilen, Sydney 6830 Meilen, informiert ein verwitterter Wegweiser an der einzigen Straße: dem Prachtboulevard Logan Street. Livrierte Angestellte mit weißen Handschuhen polieren historische Bentleys, haken die sandigen Gehwege, lesen verblasste Blüten per Hand auf.
Das monotone Klack-klack der automatischen Sprinkler und das Gezwitscher der Kap-Finken prägen den Rhythmus am Morgen. Noch atmet die Stadt Stille. Doch ab Mittag herrscht Hochbetrieb. Stündlich ruckelt ein alter, aber echter Londoner Doppeldeckerbus über das Pflaster.
Drinnen sind alle Plätze besetzt: Eine einstündige Stadtrundfahrt durch das „Juwel in der Wüste“ gehört zum Pflichtprogramm. Höhepunkt ist die Führung durch das Lord Milner Hotel, einst wie heute das erste Haus am Platze.
Einst logierte Königin Victoria wochenlang in den hohen, plüschigen Räumen und ließ sich von schwarzen Kellnerinnen mit Häubchen den Tee servieren. Heute bleiben die Reisende meistens nur eine Nacht, springen in den neu angelegten Pool und speisen im holzvertäfelten Speisesaal.
Von nebenan dringen Boogie-Woogie-Weisen herüber. Im viktorianischen Pub „Laird’s Arms“ hämmert ein Kellner gekonnt in die Tasten eines klapprigen Klaviers, singt einige Zeilen zu den Klassikern und lacht dann laut: Wie war der Text?. Ein paar Gäste helfen aus, andere tanzen. Aus den Zapfhähnen fließen Ale, Stout und Draught Beer. Über der Verbindungstür zum Hotel blickt Queen Victoria missbilligend auf die Zecher herab.
Kommunikationstreff der wenigen „echten“ Einwohner von Matjiesfontein, zu denen auch Major John Buist als letzter lebender Enkel des „Stadtgründer“ Logan, gehört, ist das alte Postamt. Im fahlen Licht einer alten Leuchte verkauft eine ältere Frau aus dem 60 Kilometer entfernten Nachbarort neben Briefmarken, was sonst so alles gebraucht wird: Souvenirs, südafrikanische Weine und Billets für den Blue Train.
Besuch vom Blue Train
Mehrmals pro Woche macht der nostalgische Zug in Matjiesfontein Station. Die Abfertigung verläuft vollautomatisch – der „neue“ Bahnhof, im Dezember 1890 eröffnet, beherbergt heute ein Konferenzzentrum und zwei Museen. Ein Stück Eisenbahngeschichte wird im Transnet Museum lebendig.
Es liegt gleich neben dem alten Stellwerk, wo einst die Weichen per Hand umgelegt wurden. Mit dem Marie Rawdon Museum hat zudem eine der größten Privatsammlungen des Landes, die öffentlich zugänglich ist, hier ihre Heimat gefunden.
Der Kaufmannsladen, Logans einstiger General Store, serviert heute als gemütliches Coffee House hausgemachte Kuchen und kleine Gerichte; „Jimmy’s Tavern“ afrikanische Klassiker wie Steaks vom Springbock oder Strauß in rustikalem Ambiente.
Noch eine Vision sind weitere Unterkünfte. Bis zu 70 Betten will das Nest, seit 1975 als National Monument staatlich geschützt, künftig anbieten können. Als erstes verwandelten sich die Zellen der alten Polizeistation zu geräumigen Zimmern mit Bad. Und mitten im Ort lockt das Matjies Motel.
Dieser Beitrag ist auf Spiegel Online erschienen.