Mit einem stumpfen Nagel drückt Günter Schade in das Reifenventil seines allradgetriebenen Geländewagens. Vierzig Sekunden lang entwicht zischend Luft aus dem Hanauer Pneu, bis der Reifendruck von 2,0 auf 1,2 Bar gesunken ist. So ungefähr, denn die Feinheiten erledigt Mechaniker Achim Weitzel mit dem Messgerät. Auf dem tückischen Flugsand am Wood Cape zu fahren, dabei gelbe Luftballons mit dem rechten Vorderrad zum Platzen zu bleiben und nicht stecken zu bleiben, fordert selbst alten Hasen wie der teilnehmenden Rallye-Damenweltmeisterin Isolde Holderied (34) einiges an Können und Geschicklichkeit ab.
„Hier brauchst du Bodenhaftung, und die verbessert sich durch die größere Bodenaufstandsfläche!“ erklärt der 37-jährige Maschinentechniker aus Münchehoff bei Seesen und zeigt auf die windige Wüste, die sich hier – südlich von Port Elisabeth – über mehrere Hundert Kilometer bis zu 250 Meter Höhe erstreckt. In der größten Dünenlandschaft der südlichen Hemisphäre absolviert der Niedersachse mit 29 anderen Rallyefahrer, darunter vier Frauen, eine der sechs Prüfungen, mit denen während der Rallye die Finalisten ihr Fahrkönnen beweisen sollen.
Auch Schaugewerbegestalterin Tanja Schrader (25) aus Hamburg ist stolz, im September auf dem brandenburgischen Militärflughafen Groß Dölln die Qualifizierung bestanden zu haben. Nur 30 von 11.000 Bewerbern erhalten jährlich das begehrte Ticket zur Endausscheidung des Dunlop Drivers Cup (DDC).
Offroad durch Südafrika
Letztes Jahr fuhren die Finalisten im Südwesten der USA, davor quer durch Patagonien, in diesem Jahr entlang der Ostküste von Südafrika: 2.200 Kilometer von Durban nach Kapstadt – vorbei an den Rundhütten der Xhosa im einstigen Homeland Transkei, der zerklüfteten Küsten der Wild Coast, der weiten Wildnis der einsamen Wüste Karoo.
Mit Geländewagen, Limousine, Quad, kleinem vierrädrigen Motorrad, und Tourenwagen mussten die Finalisten um den Cup am Kap beweisen, dass sie statt Bleifuß und Geschwindigkeitsrausch ein sensibles Gefühl für Gas und Bremse und genau jene Langsamkeit zur rechten Zeit besitzen, die sicheres Fahren in Grenzsituationen erfordert.
Zehn Minuten später zeigt sich, wie sinnvoll die „Radentlüftung“ war. Günter und Co-Pilot Walter Hoffmann (42) aus Grevenbroich rollen über knallende Luftballons wie auf Schienen durch das mit Flatterband abgestreckte Quadrat. Das Areal wurde von der Umweltbehörde für eine Tide freigegeben – so spült die nächste Flut sämtliche Spuren im Sand fort. Fahren in den Dünen ist tabu – darüber wacht der Ranger, der den Wettkampf durch die Windschutzscheibe seines Wagens genauestens verfolgt.
Steile Nervenkitzel
Dass bei dieser sanften Rallye trotzdem „das Blut in Wallung gerät und der Adrenalinspiegel kritische Werte erreicht“, wie Günter etwas außer Atem bekennt, wundert niemand, der bei der nächsten Off-Road Sektion. Die Teams erklimmen mit ihren 15 Geländewagen einen lehmig-steinigen Berghang im Kariega Game Reserve, die „selbst Fußgänger erblassen lässt“, wie Veronika Plaschke (40) aus Bremen meint.
40 Grad Steigung? 45? „Diff Lock (Differenzialsperre) rein! 4 low einschalten und nicht anhalten!“ ruft Instructor Herbert Eilers (47) seinen Schützlingen zu. Die Kürzel der Codes versteht jeder, in den täglichen Briefings am Büffet werden die physikalischen Eigenschaften von Schaltung und Getriebe erklärt, vor möglichen Gefahren eindringlich gewarnt.
Off Road ist nicht Alternative, sondern Alltag in vielen Gebieten von Südafrika. Hunderte Kilometer Schlaglochpisten aus Sand oder Schotter durchziehen das Land. Fast eine Stunde braucht Norbert Wulf (41) für die Strecke von Butterworth nach Mazeppa Bay. Die Tachonadel pendelt zwischen 30 bis 40 Kilometer in der Stunde.
Überholt ein Einheimischer den kaufmännischen Angestellten aus Bönningstedt, nimmt eine dichte Staubwolke für Minuten die Sicht. Dann öffnet sich wieder der Blick, reicht in der klaren Luft unendlich weit über das „Land der 1000 Hügel“. Kinder, Männer und Frauen winken am Wegesrand; Ziegen, Schafe und Kühe kreuzen die Straße.
„Stand up for your rights“, schallt es aus den Lautsprecherboxen eines Plattenladens in Umtata (Mthatha) . Zu den Klängen rockiger Afro-Musik schwingen Kirchgänger in der schwülen Mittagshitze, vor den knallbunten Läden in Rot, Gelb, Grün oder Pink entlang der Hauptstraße werden kleine Bananen, Rolexuhren, Plastiklatschen und Tomaten angeboten.
Wolfram Jäkel (38) aus Hanau hält, parkt den Wagen in der Nähe der Tankstelle, sicherheitshalber, die Warnungen aus der Heimat im Hinterkopf. „Rallye ist ja schön und gut, aber nicht um einfach durchzubrettern, um nur fünf Minuten früher anzukommen.“ Den Cup hat er so nicht mit nach Hause genommen, viele neue Eindrücke hingegen schon. „Das war eine Erfahrung fürs Leben.“
Dieser Beitrag ist 2001 in jeweils leicht veränderter Form auf Spiegel Online, in den Lübecker Nachrichten, im Toyota-Magazin und im Ahrensburger Markt erschienen.