Holmsland Klit: Die Kinderküste

Westjütland ist Familienland – das zeigt sich jeden Sommer. Vollbeladen mit Fahrrad, Futterkisten, Koffern und Körben, zieht sich die Urlauberkolonne zum Holmsland Klit hinauf. Ein Ritual bringt Ferien-Feeling: Fenster runter, Nase raus und frische Seeluft einatmen. Links versteckt sich die Nordsee hinter hohen Dünen, rechts glitzert der Ringkøbing Fjord im Sonnenlicht.

Jedes Jahr beginnt der Sommerurlaub mit der gleichen Frage: „Wo gibt’s das erste Eis?“ Papa will bis zum Einkauf in Søndervig warten, Mama hätte lieber einen Kaffee, aber die Kinder auf der Rückbank übertönen alle: Jetzt sofort. In Hvide Sande. Erdbeer und Schokolade in einer frisch gebackenen Riesen-Waffel – und obendrauf noch rosa Fløde, Schlagsahne mit Marmelade.

Minuten später stürmt die Rasselbande ins Ferien-, pardon, -haus ? Fast unmerklich schaukelt es im Tysker Havn am Steg – Goliath, das landesweit erste Gäste-Domizil auf dem Wasser. Lara indes ist nach oben gestiegen und ungewohnt leise: Voller Stolz hockt sie in ihrem Reich, einer kleinen Kammer mit Schrank, Stuhl, Kippfenster – und Vorhang. Auf, zu, auf, zu – immer wieder spielt Lara verstecken mit den Passanten, die den Steg entlang laufen und die neuen Wohnboote betrachten. „Wo ist Lara? Lara weg!“ brüllt sie begeistert.

Hvide Sande: Ferienhäuser auf dem Wasser. Foto: Hilke Maunder
Hvide Sande: die Ferien-Hausboote im Gammel Havn. Foto: Hilke Maunder

Niemand will sofort ans Meer. Papa inspiziert ausgiebig die Technik der Ferienbleibe, Mama prüft den Haushalt: Mülltüten, Kaffeefilter, Waschpulver – alles da. Eine Stunde später hockt die Familie einträglich vereint in den Dünen. Ein Sonnenuntergang, wie er kitschiger auf keiner Postkarte zu finden ist, entschädigt für die Anstrengungen der Anfahrt.

Jeden Tag geht es an den Strand. Stundenlang wird durch den weichen, weißen Sand gestapft, immer auf der Suche nach einer idyllischen Stelle, einsam, windgeschützt und doch nah am Wasser. Am Fuß der Dünen werden die Strandlaken ausgebreitet, mit Steinen beschwert, der Schirm aufgespannt. Feinster Sand fliegt beim Lesen zwischen die Buchseiten. Am blauen Himmel treiben kleine Schäfchenwolken.

Barrierefrei auf breiten Holzbohlenwegen zu erreichen: die Nordsee. Foto: Hilke Maunder
Dünen, Strand, Nordsee: Holmsland Klit. Foto: Hilke Maunder

Mit Begeisterung buddelt der Nachwuchs im Sand, baut Burgen und Kanäle, die das Meer flutet. Lara hat unter kleinen Kieseln Einsiedlerkrebse entdeckt. Fasziniert schaut sie zu, wie die Krabbeltiere seitwärts über den Sand sausen. Wenige Meter weiter stürzen sich zwei Mädchen mit lautem Lachen in die Brandung, tauchen auf den Meeresgrund und werfen sich gegen die Wellen.

Sonntag Punkt zwölf geht es zum Begrüßungstreffen in der Beach Bowl von Søndervig – der Ferienort ist wie das nahe Vedersø Klit einer der 14 landesweiten Standorte im EU-Programm „Treffpunkt“. Seit dem Jahr 2000 werden mit EU-Geldern Konzepte für Urlaubskinder finanziert.

Holmsland Klit, Søndervig: der Kinderspielplatz. Foto: Hilke Maunder
Søndervig: der Kinderspielplatz. Foto: Hilke Maunder

Im Juli und August sowie in den dänischen Herbstferien Mitte Oktober lockt täglich ein wechselndes Programm mit pädagogischer Betreuung: Kinder-Olympiade und Kerzen ziehen, Mini-Fußball, Schatzsuche, Bowling, Windsurfing, Angeltörns auf einem Kutter und anderen Ausflüge.

Lara möchte einen Bauernhof mit Mutterkühen, Ziegen und Schafen in Husby besuchen, Timo will unbedingt einen Wikingertag in Bork Havn erleben, Niklas bei der Fischauktion in Hvide Sande zuschauen. „Das verpennst Du“, grinst Timo. „6 Uhr aufstehen – das schaffst Du Schlafmütze doch nie…!“

Mama hört weg und bucht die Touren. Bezahlt werden müssen nur Extrakosten wie Eintritt, Material oder Fahrkosten – die Grundgebühr von 40 DKK übernehmen meist die Ferienhausvermittler, Campingplatzbesitzer und Hoteliers.

Holmsland Klit: Der Hafen von Ringkøbing. Foto: Hilke Maunder
Der Hafen von Ringkøbing. Foto: Hilke Maunder

In der zweiten Woche hat sich die Kinderschar merklich vergrößert. Neben dem eigenen Trio fällt jetzt gleich ein hungriges Dutzend über die Reiswaffeln, Kekse und Trinkflaschen in der Strandtasche her. Ebenso schnell sind alle wieder verschwunden.

Als ein paar Tage lang der Wind mit Windstärke sechs über den Strand bläst, bleibt Zeit für Ausflüge. In der alten Handelsstadt Ringkøbing verrät das Heimatmuseum, mit welch einfacher Ausrüstung der Polarforscher Mylius Erichsen um 1900 Nordost-Grönland erforschte – und am Fjord 79 spurlos verschwand. Auf der Wendeltreppe des Leuchtturms von Nørre Lyngvig klettert Lara in die Fensterscharten, und Mama wird kreidebleich.

Holmsland Klit: Blick vom Leuchtturm Lyngvig Fyr. Foto: Hilke Maunder
Blick vom Leuchtturm Lyngvig Fyr. Foto: Hilke Maunder

Am nächsten Tag will Papa die Bunkerreste des Atlantikwalls sich näher ansehen. Dicht an dicht säumen sie am Blåvandshuk die Dünen. Die mächtigen Bollwerke, die mit 110 Tonnen schweren Kanonen die Zufahrt zum Hafen von Esbjerg sichern sollten, kamen nie zum Einsatz – der Zweite Weltkrieg endete, bevor der Bau vollendet war. Am südöstlichen Strand verwandelte Bill Woodrow vier Bunker zu sinnfälligen Skulpturen.

Als riesige Mulis streben sie dem Wasser zu. Auf dem Heimweg lockt ein Gipfelstopp: Mit 64 Meter Höhe ist der Blåbjerg die höchste Düne weit und breit. Papa zückt den Fotoapparat. „Können wir jetzt wieder an den Strand?“ quengelt der Nachwuchs.

Vejers: Strand. Sandburg am Brandungssaum.
Die Brandung wechselt, das Programm bleibt gleich: Burgenbauen. Foto: Hilke Maunder

Gebückte Gestalten in Gummistiefeln wandern die Flutkante entlang. „Mama, was machen die ?“ fragt Lara. Ein Blick in die Eimer verrät: Bernstein suchen. Sofort durchwühlen auch Jan und Niklas den nassen Sand. Ihr Fund: eine große längliche Hornplatte. „Die ist bestimmt vom Hai!“ sagt Timo.

Nachtrag: Dass Legoland nicht einmal zwei Stunden vom Ferienhaus entfernt war, hat der Nachwuchs erst bei der Heimfahrt bemerkt – ein Werbeschild war schuld. „Mama, da fahren wir aber nächstes Jahr hin!“

Dieser Beitrag war eine Auftragsarbeit für Visit Denmark. Er wurde am 16. Mai 2006 versandt und von zahlreichen deutschsprachigen Medien abgedruckt. 

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Holmsland Klit: Am Nordsee- Strand be Hovvig. Foto: Hilke Maunder
Am Nordsee- Strand be Hovvig. Foto: Hilke Maunder

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