Thy im Herbst: Saison für Aktive

Im Herbst und Winter verwandelt sich die sommerlich-turbulente Nordseeküste von Thy im Nordwesten Jütlands in eine Oase der Ruhe. Abschalten, auftanken und entdecken hat jetzt Saison – Wellness, Sightseeing und sanfter Sport prägen nun den Rhythmus der Halbinsel.

Die goldgelben Strände sind menschenleer. Einzig die Surfer tanzen noch auf den hohen Wellen, die an den Strand branden. Möwen gellen im Wind, stürzen sich nach Futter in die Fluten. Laut knirscht der kalte Sand beim Spazieren gehen unter den Füßen. Weit gleitet der Blick über die Bucht.

Jeder Atemzug vitalisiert, versorgt den Körper mit Jod, Salz, Brom, Aerosolen und Mineralien. Das Reizklima der Nordsee wirkt wie ein Jungbrunnen – vor allem im Herbst und Winter. Besonders gesund ist ein Spaziergang direkt am Brandungssaum: Bereits in zehn Metern Entfernung sind nur noch die Hälfte der gesundheitsfördernden Aerosolen in der salzigen Nordseeluft enthalten.

Würzige Kiefernluft liegt über den „Klitplantagen“, die vor mehr als 100 Jahren hinter den Dünen angepflanzt wurden, um der drohenden Versandung der Halbinsel Einhalt zu gebieten.

Und nirgendwo ein Mensch. Die Küste von Thy. Foto: Hilke Maunder
Und nirgendwo ein Mensch. Die Nordseeküste von Thy. Foto: Hilke Maunder

Farbige Pfeiler auf Holzpfählen erschließen die ein bis zehn Kilometer langen Rundrouten durch die Küstenschutzforste, in denen längst Eichen und Buchen den eilends gepflanzten Kiefern und Fichten Gesellschaft leisten. Im Herbst gehört ein möglichst flacher, grober Korb zur Wanderung im Wald dazu: Im Unterholz wachsen Steinpilze und Pfifferlinge!

Die längste Strecke für Strandläufer und Genusswanderer beginnt ganz im Süden von Thy, wo eine Sturmflut 1825 den Landriegel zum Limfjord durchbrach: der Vestkyststien (Westküstenweg).

Während die Wanderroute – mit weißem Schiff auf grünem Grund markiert – auf dem alten Rettungsweg des Küstenschutzes verläuft, säumt das blau-weiße Streckenschild für Radler Waldwege und kleine Landstraßen. Wer ihnen von Nord nach Süd folgt, kann die Radtour mit Rückenwind genießen.

Wilde, weite Urlandschaft: der Vogelfelsen Bulbjerg. Foto: Hilke Maunder
Wilde, weite Urlandschaft: der Vogelfelsen Bulbjerg. Foto: Hilke Maunder

Von Agger, in dessen Sorte Huse (Die Schwarzen Häuser) eine Ausstellung daran erinnert, wie hier einst unzählige Betonelemente für die Küstensicherung gegossen und auf Schienen zu den Buhnen transportiert wurden, führt die 80 km lange Route vorbei an Steilküsten und Kalkseen und durch Dünenheiden und Küstenforste zu Dänemarks einzigem Vogelfelsen, dem 47 m hohen Bulbjerg.

Seine erodierten Sandsteinhänge sind mit Feuersteinen durchsetzt, sein „Gipfel“ überzogen mit Bunkerresten des Atlantikwalls der deutschen Wehrmacht aus dem 2. Weltkrieg. Mit Kamera und Fernglas stemmen sich die Ausflügler gegen den steten Wind, blicken zu den Überresten des einst 16 m hohen Skarreklits, das 1978 bei Sturm im Meer versank, und suchen die Nester der Dreizehenmöwe, die hier brütet – und gierig beim Picknick in windgeschützten Dünen-Kuhlen nach Hering, Käse und Co. schnappt.

Umgebung Thy: m Vogelbeobachtungshaus von Vejlerne am Limfjord. Foto: HIlke Maunder
Im Vogelbeobachtungshaus von Vejlerne am Limfjord. Foto: HIlke Maunder

Im Herbst ist auch Hochsaison in Vejlerne. Die 6.000 Hektar große Wildnis aus Salzwiesen, Schilfsümpfen und seichten Seen, die um 1860 in fruchtbares Ackerland verwandelt werden sollte, bildet seit 1960 zwischen Thisted und Fjerritslev Skandinaviens größtes Vogelschutzgebiet.

Zu den 1.400 Graugans-Paaren, den Rohrdommeln, Knäkenten, Säbelschnablern, Löfflern und Zwergmöwen gesellen sich ab September auch Kraniche und andere Zugvögel, die hier auf ihrem Weg ins Winterquartier rasten. Im Naturcenter auf dem Bygholm-Deich direkt an der A11 lassen sich die gefiederten Gäste kostenlos mit starken Ferngläsern beobachten.

Ebenfalls einen guten Überblick über das nicht zugängliche Reservat bieten die Vogeltürme auf dem alten Bahndamm zwischen Vust und Frøstrup.

Thy: Wohnhaus und Atelier von Kirsten Kjær sind heute ein Museum. Foto: Hilke Maunder
Thy: Wohnhaus und Atelier von Kirsten Kjær sind heute ein Museum. Foto: Hilke Maunder

Ein für viele Dänen wahrhaft „schräger Vogel“ war Kirsten Kjær (1893 – 1985), die nach ersten Versuchen auf der Bühne und Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik erst in den USA ihre Befreiung als Malerin erlebte – und in mehr als 200 Bildern und Zeichnungen Wegbegleiter und Freunde portraitierte. Zwei von ihnen – John Anderson und Harald Fuglsang – schufen in einem Nachbarhaus ihrer „Sommerresidenz“ mit ihrem Lebenswerk ein Kunstmuseum, das ebenso einmalig wie ungewöhnlich ist.

Dicht an dicht hängen die Bilder in einem Labyrinth aus Galerien und Kammern, in denen neben Kjaer auch Sonderausstellungen dänischer und ausländischer Künstler zu sehen sind. Durch die offenen Türen dringen Vogelstimmen, der Museumshund hat sich vor das Klavier geflackt, auf dem im Sommer konzertiert wird, gegen eine Spende gibt es Kuchen, Saft und Kaffee: Der kurze Kunstgenuss wird zum Besuch bei Freunden.

Viel mehr Zeit zum Schauen bleibt im Herbst auch in Hanstholm, wo von 1942- 1945 Nordeuropas größte Festungsanlage als Teil des Atlantikwalls errichtet wurde – und die Egon, Kjeld und Benny 1971 den Kultfilm „Die Olsen-Bande fährt nach Jütland“ gedreht haben.

Der Museumsbunker von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder
Der Museumsbunker von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder

Während sich im Sommer die Besucher im Museumsbunker am Molevej drängen, hat Guide Poul (36) jetzt mehr Zeit zum Erzählen, lässt seine Gäste die Lüftungspumpe im Mannschaftsraum anwerfen und fährt mit ihnen auf der alten Feldbahn, mit der einst Munition und Mannschaften transportiert wurden, durch das Batteriegelände und zwei große Bunker.

Unterhalb des Festungsplateaus sind Hunderte hellblauer dänischer Fischkutter am Trawlerkai vertäut. Obgleich erst 1967 eingeweiht, ist Hanstholm heute Dänemarks größter Hafen für Konsumfischerei. Die traditionelle Strandfischerei verliert hingegen an Bedeutung. In Klitmøller sind die an Strahltrossen den Strand hinaufgezogenen Schiffe heute nur noch Kulisse.

Norre Vorupør/Umgebung: die Fischerboote von Klitmøller mit ihren Wimpeln. Foto: Hilke Maunder
Die Fischerboote von Klitmøller mit ihren Wimpeln. Foto: Hilke Maunder

Der Landungsplatz Ørhage lockt heute vor allem Feinschmecker, die hier bei frisch geräuchertem Butterfisch aus der Røgeri den Surfern zuschauen. Fünf Meter hoch türmen sich die Wellen, wenn im Herbst ein steifer Nordwest mit acht Beaufort bläst – und sich nur noch die Cracks der Szene begeistert auf die Wasserberge stürzen.

Am Tag darauf marschiert ein Band gebückter Gestalten den Flutsaum entlang, einen Eimer in der Hand: Jetzt sind die Chancen am besten, neben Muscheln auch das Gold des Meeres zu finden: Bernstein. Peitscht der Sturm zu stark aus Nordwest, bleibt Zeit für ein typisch dänisches Vergnüge: einmal selbst Kerzen zu ziehen.

In der „Lysstøberi“ von Klitmøller gibt Gunnar singend den Takt für das Eintauchen der Dochte vor. Und mit den eigenhändig gefärbten Kerzen wird der Urlaubsabend im Ferienhaus so richtig „hyggelig“, ganz besonders gemütlich.

Dieser Beitrag wurde im Herbst 2007 als Auftragsarbeit für den Reportagedienst von Visit Denmark erstellt und wurde von zahlreichen deutschen Medien veröffentlicht, auch vom Online-Reisemagazin Schwarzaufweiss.de.

Die Hütten der Fischer von Thy - hier in Klitmøller. Foto: Hilke Maunder
Die Hütten der Fischer von Thy – hier in Klitmøller. Foto: Hilke Maunder

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