Der Krieg zog an Hanstholm vorbei

Eine Kleinstadt am Skagerrak: Hellblaue dänische Fischkutter sind am Kai vertäut, auf einem Steilufer ducken sich rote Backsteinbauten unter dem hohen Himmel. Ein steifer Wind weht durch die Dünen. Zwischen Krüppelkiefern, Heidekraut und  hellen Birken blitzt grauer Beton: Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg bildete der jütländische Fischereihafen Hanstholm das Herzstück des Atlantikwalls.

Die Küstenbefestigung entlang der gesamten Atlantikküste – eine 5.000 km lange Bunkerkette von Kirkenæs in Nordnorwegen bis zu den spanischen Pyrenäen – sollte die befürchtete Invasion der alliierten Truppen verhindern oder zumindest erschweren.

Binnen kürzester Zeit, von 1942 bis 1944, wurden 455 Wehrmachtsbunker in den Dünen rund um Hanstholm sprichwörtlich auf Sand gesetzt und dabei auf neun Quadratkilometern für die Batterien Hanstholm I und II insgesamt 188.000 Kubikmeter Stahlbeton verbaut. Bestückt mit gewaltigen 38 cm Geschützen, bildete die Batterie Hanstholm den dänischen Part des Kattegat-Sperrwerks.

Zusammen mit der deutschen Batterie in Kristianssand/Südnorwegen hatte sie die Aufgabe, den Zugang zum Kattegat zu schützen und das Endringen fremder Schiffe in die Ostsee zu verhindern. Da die Meeresenge hier jedoch 130 km breit war, die Kanonen je nach Gewicht der Granaten nur 42 – 55 km weit reichten, wurde in der Mitte des Kattegats zusätzlich eine 50 km breite Minensperre angelegt.

Helsingør: Schloss Kronburg. Foto: Hilke Maunder
Helsingør: Schloss Kronburg. Foto: Hilke Maunder

Ein ähnliches Seesperrwerk gab es bereits im Mittelalter: Mit den Festungen Kronborg im dänischen Helsingør und Kärnan im schwedischen Helsingborg konnte Erich von Pommern ab 1428 den Øresund schließen, falls sich Kapitäne am Øresundzoll vorbei schleichen wollten – bis 1857 ein einträgliches Geschäft.

Kronborg gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe, die Kanonenbatterie von Hanstholm zu den Top-Attraktionen Jütlands. Mehr als 60.000 Besucher, davon ein Fünftel aus Deutschland, entdecken im 2002 eingerichteten MuseumsCenter , das sich heute Bunkermuseum Hanstholm nennt, mit riesigen Bunkern, Feldbahn und Dokumentationscenter die Geschichte des deutschen Bollwerks in Dänemark.

Das Museum erstreckt sich auf dem Westteil der einstigen Batterie Hanstholm II. Nach Kriegsende blieb sie für fünf bis sechs Jahre unbenutzt, ehe die Kanonen abmontiert wurde und der dänische Staat begann, Tannen zu pflanzen, um die Stadt Hanstholm vor dem rauen Wind der Westküste zu schützen.

1971 entdeckte der Film die Festung, die von der Bevölkerung zunehmend als Teilelager für eigene Bauprojekte genutzt wurde, und dreht hier Szenen des Kultfilms „Die Olsenbande fährt nach Jütland“.  Seit 1979 ist Hanstholm II der Öffentlichkeit zugänglich.

Der Munitionszug von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder
Der Munitionszug von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder

„Ich habe mich bislang nicht für Militärgeschichte und die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs interessiert“, erzählt Martina aus Sachsen, „doch hier wird alles so lebendig, dass es ich das Gefühl habe, all dies ist nicht vor mehr als 60 Jahren, sondern gerade erst gestern passiert“, sagt sie begeistert und setzt sich auf den Sockel der vor dem Eingang aufgestellten, deutschen 10,5 cm Luftabwehrrakete.

Vor der an der Ostfront erbeuteten russische, 12,2 cm Feldkanone,  die anschließend in einer der Küstenbatterien der Nordsee genutzt wurde, hat eine Familie ihre Wolldecke ausgebreitet und picknickt. Auch im Innern des Dokumentationscenter sind Alltag und Kriegsgeschehen eng miteinander verwoben. Im Kinosaal laufen Originalausschnitte alter Wochenschauen und anderer Filme, die mit dem Geschen in Hanstholm in Verbindung stehen. Bis zu 4.000 Wehrmachtsoldaten lebten und arbeiteten hier; allein im Festungswerk 600 Männer.

Trotz aller Entbehrungen waren die meisten von ihnen wohl froh, hier Dienst zu tun: Der Krieg spielte sich anderenorts ab. Die Batterie Hanstholm gab ihren ersten und letzten „ernst gemeinten“ Schuss im Mai 1941 ab – als Warnschuss auf einen dänischen Fischkutter. Nicht ohne Grund wurde der Bereich um Hanstholm  daher gerne von Spöttern als „Sahnefront“ bezeichnet – so gut war die Versorgung. Anfangs. Doch auch hier machte Verlauf des Krieges der Mangel an Ressourcen bemerkbar.

Kriegsgerät aus dem Zweiten Weltkrieg, ausgestellt im Bunkermuseum von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder
Kriegsgerät aus dem Zweiten Weltkrieg, ausgestellt im Bunkermuseum von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder

Eine Vitrine zeigt erbeute Waffen, die vom Heer genutzt wurden, ein anderer Schaukasten eine Uniform, 1945 von einem 16-jährigen Soldaten in seiner Not selbst geschneidert. Durch große Panoramascheiben fällt das Licht auf Großexponate, die als Leihgaben des Tøjhusmuseum/Kopenhagen, Bangsbomuseum/Frederikshavn, Vendsyssel historiske Museum/Hjørring und des Museet for Thy og Vester Hanherred/Thisted jetzt in Hanstholm zu sehen sind: eine 2 cm Oerlikon Flak, eine 2 cm Vierligflak, ein Maschinengranatwerfer M 19, ein Flugzeugpropeller von einem B-17-Bomber, ein Wrackstück von einem Lockheed Hudson Bomber sowie mehrere Panzerabwehrkanonen (Pak) aus deutscher und russischer Produktion.

Eine schräge Ebene führt vom DokumentationsCenter in den unterirdischen Museumsbunker. Mit einer Grundfläche von 3.000 Quadratmetern gehört er zu den größten Bunkern, die die Wehrmacht in Dänemark gebaut hat.

Die Geschützstellung mit 3,5 m dicken Wänden besteht aus drei Bereichen: der kreisrunden Kesselbettung, den zentralen Munitionsräumen sowie den Mannschafts- und Technikräumen, die den militärischen Kern nach außen in U-Form umschlossen. Zwar fehlt die Kanone, doch eine Vielzahl von Räumen wurde bereits restauriert  und mit originalem Gerät wieder eingerichtet.

Die Mannschaftsräume im Bunker von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder
Die Mannschaftsräume im Bunker von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder

Im Mannschaftsraum liegen graue Wolldecken auf den Metallbetten, die tagsüber gegen die Wand geklappt werden konnten. Im Lüftungsraum wirft ein Junge mit beiden Händen am Hebel die „Klimaanlage“ an. Nach einigen Umdrehungen verrät ein dumpfes Dröhnen und Rattern, das frische Luft von außen nach innen gepumpt wird.

Im Sanitärtrakt sind noch die Pissoirs und alten Duschfliesen erhalten, an den Wänden weist verwitterte schwarze Schrift den Weg – und warnt im Technikraum, dass der Missbrauch der Anlage mit der Todesstrafe geahndet werden kann.

Durch Gasschleusen geht es hinaus in die Kesselbettung, das Drehkreuz des Geschützraums „A“ (Anton) mit einem Radius von 30 Metern. Angeliefert wurde die Munition von der Heeresfeldbahn, die eine Diesellok zog. Heute nimmt Lokführer Peter Bend Petersen die Besucher mit auf einen ein Kilometer langen, restaurierten Rundkurs. Mit lautem Geratter fährt die Schmalspurbahn in den ersten Bunker ein.

Die Luft riecht nach Diesel, schützend legen die Besucher ihre Hände auf die Ohren. Dunkel ist es. Petersen stoppt. „An diesem Kran wurde die Munition abgeladen“. An Ketten befestigt, wurden die Granaten hinten an die Schotte gebracht. Standardgranaten mit einer Reichweite von 42 km wogen 800 kg, „leichte“ Granaten, die auf 55 km Entfernung zielgenau trafen, 495 kg.

In der Kesselbettung angelangt, wurde die Munition per Lift in das Innere des 540 Tonnen schweren Geschützturms gebracht. Das Ganze geschah blitzschnell: Alle anderthalb Minuten konnte ein Schuss abgefeuert werden.

Zum MuseumsCenter Hanstholm gehört auch das Freilichtmuseum „Batterie Hanstholm I“ in den Dünen südlich der Stadt. Ihr Bau wurde bereits am 12. April 1940 begonnen – die Küstenbatterie aus19 großen Bunkern ist damit die älteste feste Anlage der Wehrmacht in Hanstholm.

Der Leuchtturm von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder
Der Leuchtturm von Hanstholm. Foto: Hilke Maunder

Gut zu wissen

MuseumsCenter Hanstholm

Molevej 29, DK – 7730 Hanstholm, Tel. +45 97 96 17 36, www.museumscenterhanstholm.dkApr. – Okt. 10.00 – 16.00 Uhr, Jun./Aug. bis 17.00 Uhr

Der alte Munitionszug fährt täglich vom 1.Mai bis 31. August sowie in Woche 42.

Weblink zum Atlantikwall: www.deutschesatlantikwallarchiv.de

Schlafen

Hotel Hanstholm

Chr. Hansensvej 2
, DK – 7730 Hanstholm
, Tel. +45 97 96 10 44, www.hotelhanstholm.dk

Dieser Beitrag ist am 28. März 2009 im Weserkurier erschienen.

Hanstholm - ein Beitrag von Hilke Maunder im WeserkurierWeiterlesen

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