Im Phewa-See spiegeln sich das Massiv des Machhapuchhare und des Annapurna Himal. Am Ufer blühen Jacaranda- und Papayabäume: Pokhara, der alte Handelsplatz 200 Kilometer westlich von Nepals Hauptstadt Kathamandu, ist Start und Ziel zahlreicher Trekkingtouren auf dem Dach der Welt.
Gebrauchte Rucksäcke, Schlafsäcke, Wanderschuhe, Eispickel und Seile säumen die kleinen Shops entlang der Hauptstraße. Tibetaner die im Flüchtlingslager am Nordrand der Stadt leben, tauschen Schmuck und Kunsthandwerk gegen alles, was als Markenware aus dem Westen kommt: CDs, Jeans, Sneakers.
Herbergen mit himmlischen Namen wie „Jesus Lodge“ oder „Lodge des strahlenden Lichtes“ wetteifern um die Gunst der Gäste. „Wir bieten Toilette“, locken sie auf Hand gedruckten Visitenkarten, und „wir können bedienen mit Träger für Trekking.“
Die Trekking-Town
Denn wer nach Pokhara kommt, hat als Tourist nur eines im Sinn: Trekking. Die schnell wachsende Stadt, die trotz 180.000 Einwohnern dörflich und beschaulich wirkt, ist im Frühjahr und Herbst End- und Ausgangspunkt für Bergwanderungen jeglicher Schwierigkeitsgrade – von einfachen Höhenrouten bis zu Expeditionen zu den Bergriesen ringsum.
Morgens früh um sechs taucht die Sonne die Gipfelkette in Gold. Bei klarer Sicht grüßen acht Bergrieisen (von links nach rechts): Dhaulagiri (8.167 Meter), Annapurna Süd (7.219 Meter), Annapurna I ( 8.091 Meter), der „Fischschwanzberg“ Machhapuchhare (6.997 Meter), Annapurna III (7.555 Meter), Annapurna IV (7.525 Meter), Annapurna II (7.937 Meter) und Lampjung Himal (6.983 Meter).
Mein Sherpa
Pasan ist 19. Für 225 Rupien am Tag trägt der hoch aufgeschossene Gurung-Mann den Rucksack, maximal jedoch 30 Kilo. Mahlzeiten und Unterkunft sind im Preis für meinen Sherpa eingeschlossen, ebenso Englisch-Kenntnisse für die Basis-Kommunikation. Woche für Woche begleitet Pasan Touristen aus aller Welt auf der Standardroute für „Einsteiger“, einer Kombination aus Jomson- und Annapurna Sancutary Trek auf 2.000 bis 4.000 Meter Höhe.
Portugiesische Missionare waren 1624 die ersten Europäer, die im Himalaya auf Wanderschaft gingen. 200 Jahre später kamen die Briten, bauten Gasthäuser und legten den Grundstein für den Trekking-Tourismus.
Nur mit Permit
Wie dabei Natur und Kultur im Einklang mit Bewohnern und Touristen bewahrt werden kann, beweist das Annapurna Conservation Area Project (ACAP). Jeder, der von Pokhara aus in die Bergwelt startet, muss für 650 nepalesische Rupien (rund zehn Euro) einen offiziellen Trekking Permit erwerben, der Route und Dauer festlegt. Wer im hochalpinen Terrain unterwegs ist, muss zudem die Kosten der Luftrettung per Helikopter über eine Kreditkarte absichern. Aus den Gebühren und Spenden finanziert ACAP neben Natur- und Umweltschutzprojekten den behutsamen Ausbau der Infrastruktur. Besonders begehrt bei der Bergbevölkerung: Solarduschen und Strom.
Auf der Ladefläche eines Lasters, voll beladen mit Sand für den Straßenbau, geht es in engen Kehren hinauf bis nach Lumle. Vor einem verwitterten Holzschild stoppt der Wagen. Ein Dutzend Wanderer ist froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Auf einem schmalen Saumpfad folgen sie dem Lauf des Modi-Khola-Flusses nach Chandrakhot.
Ein ausgedehntes Wegenetz verbindet die Dörfer. Meist sind die Wege schmal, steil, gepflastert mit rutschigen Schieferplatten und Steinen. Direkt und ohne Umwege führen sie zum Ziel: bergauf, bergab, ohne sanfte Serpentinen. Zwischen Tirkedungha und Ulleri überbrücken 3.700 Stufen 800 Höhenmeter auf zwei Kilometern. Während den Trekkern auf dem Kali Gandeki-Trek der Schweiß von der Stirn läuft, sausen alte Trägerinnen scheinbar mühelos über die Treppen.
Reis. Tagein. Tagaus
Mittagsrast. Pasan setzt sich zu den anderen Trägern, isst wie sie tagein, tagaus „Dhalbat“ – Reis mit Linsen. Den Touristen wird stets eine Speisekarte präsentiert: Omelette, Pancake, Porridge? Tibetan Bread und Tee gehört immer dazu.
Die Tage sind kurz, so auch die Pausen. Pasan drängt zum Aufbruch. Erst säumen Kartoffelfelder den Weg, dann ein Eichenwäldchen. Überall gurgelt und gluckert es. Dichtes Moos überzieht dunkle Felsen, riesige Farne bedecken den Boden. Nach Regengüssen warten Heerscharen von Blutegeln auf die Wanderer. Mit Salz und einer geschickten Drehung drückt Pasan die Tiere aus der Wade.
Stunden später sind die Füße bleischwer, die Beine kaum noch zu spüren, hangelt sich der Blick von einem Zielpunkt zum nächsten. Nur noch diese Biegung, nur noch bis Banthani, nur bis zum Bett in der Indra Lodge. Die Nach ist kurz und kühl, der Komfort karg: eine Holzpritsche, eine Wolldecke, ein Kissen und eine Kerze.
Rauhreif bedeckt Bänke und Tische am Morgen. In der Dämmerung beginnt der Aufstieg zum Deorali-Pass. Hier kontrolliert ein Polizeiposten den Trekking-Permit, registriert die Wanderer, setzt den begehrten Souvenirstempel in den Ausweis und wünscht alles Gute für den Weg nach Ghorepani. Der Name – ghore -Pferd, pani-Wasser – verrät, wie wichtig der Ort für die durchziehenden Karawanen war: Hier konnten Tiere getränkt, Vorräte aufgefüllt werden. Heute ist Ghorepani ein wichtiger Kreuzungspunkt diverser Trekkingrouten im Annapurna-Gebiet mit dem wohl schönsten Ausblick auf die imposante Gruppe.
Nur gemeinsam
Mensch und Maultier teilen sich in 3.200 Meter Höhe den Panoramraweg nach Ghandrung. Das weit verstreute Dorf der Gurung ist Hauptsitz von ACAP. Videos und Ausstellung verdeutlichen hier, wie die entlegene Bergregion gemeinsam mit der Bevölkerung geschützt und weiter entwickelt werden soll.
Die Bewohner der Dörfer sind in Arbeitsgruppen und Komitees organisiert; auch die Betreiber der Lodges und Restaurants haben sich zusammen geschossen. Gemeinsam entscheiden sie, wie sich ihr Lebensraum verändern soll. Für die Vorschläge der Gäste hängt ein Briefkasten an der Wand.
Dieser Beitrag ist 2001 auf Spiegel Online erschienen.
Ein Gedanke zu „Nepal: Solo mit Sherpa“