Zwei Autostunden südwestlich von Oslo liegt Norwegens Winterwunderland: ein Bergwelt der Stille, unberührt und weit – und garantiert schneesicher. Die Region Telemark ist Norwegens Heimat des Skisports.
Seit mehr als 4.000 Jahren nutzen die Norweger Ski zur Fortbewegung im Schnee, sagt Tarjei Gjelstad. Mein ungläubiges Staunen quittiert der Leiter des Norwegischen Skimuseums von Morgedal mit einem Fingerzeig auf eine Zeichnung, die auf der nordnorwegischen Insel Rødøy in der Steinzeit in den Fels gehämmert worden ist: Was da die Menschen bei der Jagd an den Füßen tragen, sind eindeutig Ski.
Ski ist ein altnorwegisches Wort und bedeutet schlicht „gespaltenes Holz“. Wie sie einst aus Kiefernholz gezimmert wurden, zeigt Tarjej jeden Winter Skifans aus aller Welt in seiner Werkstatt. Asiaten, Amerikaner und skibegeisterte Europäer lernen hier, mit Holzkeilen dicke Kiefernstämme zu spalten, mit der Axt Platten heraus zu schlagen und sie in Form zu hobeln. Dann werden die Spitzen in Form geschnitten, im Dampf eines Wasserkessels aufgeweicht und in einem Holzkorsett in Form gespannt. Für den typischen dunklen Ton traditioneller Holzski sorgt Holzteer, für flottes Schwingen eine Batterie von dicken Wachsrollen, die Unkundige verzweifeln lässt: Für jede Schneeart, jeden Kältegrad, jeden Fahrstil gibt es ein spezielles Gleitmittel.
Zum Sportgerät wurden die Bretter erst durch einen Tagelöhner, der geradezu besessen war vom Skifahren: Sondre Norheim. Er wurde 1825 in einer winzigen Häuslerstube oberhalb von Morgedal geboren. Lernen oder Arbeiten waren für ihn Dinge, vor denen er, so bald er nur konnte, flüchtete – auf die Ski. Vom Dach aus übten Sondre und sein Bruder mit selbst gebauten Ski weite Sprünge in den Schnee, mit Freunden lieferte er sich später Wettrennen durch die schneebedeckte Flur.
Besessen feilte Sondre Norheim nicht nur an seinem Fahrkönnen, sondern optimierte auch seine Ski. Damit er leichter Felsbrocken und Bäumen ausweichen konnte, schlang Norheim die Weidenseile nicht nur wie bisher über die Spitze, sondern um den gesamten Schuh – und erfand so die erste moderne Seilzugbindung. Um besser drehen zu können, kürzte er die traditionell rund zweieinhalb Meter Ski ein, taillierte sie in der Mitte und versah sie mit Stahlkanten. Bei der Jungfernfahrt erkannte Norheim: Besonders gut ließen sich seine neuen „Holz-Carver“ steuern, wenn er beim Schwingen stets ein Bein beugte – und wedelte fortan nur noch mit tiefen Knicks durch den Tiefschnee.
1868 demonstrierte Sondre Norheim erstmals außerhalb seiner Heimat seinen „Telemarkschwung“. Die 200 Kilometer Anreise nach Christiania, wie Oslo einst hieß, bewältigte er auf Skiern, die Pension in der Hauptstadt stundete dem verarmten Holzarbeiter die Übernachtung. Was keiner erwartet hatte: Sondre gewann den Wettbewerb um den königlichen Cup, brillierte mit seinem Stil – und wurde als Vater des modernen Skisports weltberühmt.
Heute liegt Telemarken wieder voll im Trend, messen sich die besten Telemark-Fahrer der Welt alljährlich in Gaustablikk, wo traditionell der Startschuss für die neue Skisaison fällt. Bereits Anfang Dezember erschließen hier sechs Schlepplifte und ein Vierersessel 21 Abfahrten zwischen 960 m und 1.250 m Höhe, die zwar kürzer als in den Alpen, aber nicht minder knackig sind. Auf ihnen rasen vom 4. bis 7. März 2009 wieder Cracks wie Sigrid Rykhus und Katinka Knudsen beim FIS Telemark World Cup zu Tal; 2011 werden in Gaustablikk die World Championships ausgetragen.
Im sanften Orange leuchten hohe Strahler den gesamten Tag über die Abfahrtspiste aus. Aus der Ferne wirken sie wie Juwelen einer Kette, die sich um den Berg gelegt hat. An der Talstation spannt eine junge Frau ein einem sparsam bestickten Lodenmantel ihre Stute Veslemor zur Kanefart an. Auf dem Rücken des stämmigen Fjordpferdes bimmelt ein kleiner Schellenbaum; an der nostalgischen Kutsche brennen zwei Fackeln. Auf dem Kutschbock sitzt Mie Sibbesen, eine junge Dänin, die im Urlaub spontan ihr Leben änderte – und nicht mehr in Kruså alte Menschen pflegt, sondern seit dieser Saison mit „Upski“ ihren Unterhalt verdient, Schlittenfahrten im Schnee. Leise knirschen die Kufen, weichen die Lichter der Hütten einer weißen Weite, erstarrt in eisiger Kälte. Im Frostgewand werden die Tannen zu buckligen Trollen, Gräser und Sträucher zu filigranen Kunstwerken.
Neben einem Holzschild, auf dem in roter Schrift „Sondre Løypa“ eingeschnitzt ist, serviert die Endzwanzigerin Gløgg, einen heißen Punsch, und selbst gebackene Kekse. Unten im tief eingeschnittenen Tal leuchtet Rjukan. Ganz weit hinten am Talschluss, wo eine Hängebrücke zwei schroffe Berghänge verbindet und sich des Sommers Bungee-Jumper 80 m tief in eine enge Schlucht stürzen, spielte sich eine der berühmtesten Sabotage-Operationen des 20. Jahrhunderts ab. 1911 hatte Norsk Hydro in dem unzugänglichen Gelände das weltgrößte Wasserkraftwerk eröffnet, in dem nicht nur Strom erzeugt wurde, sondern aus Wasserstoff und Stickstoff auch Ammoniak produziert wurde. Als Nebenprodukt fiel dabei „schweres Wasser“ an. Dieses Wasser, das eine zehn Prozent größere Dichte als gewöhnliches Wasser besitzt, benötigte der deutsche Physiker Werner Heisenberg damals dringend, um die Spaltung von Atomkernen zu bremsen – und eine Atombombe zu bauen.
Als Deutschland ab 1940 ungeheure Mengen schweren Wassers bestellte, wurden die Alliierten misstrauisch. Ein Wettlauf um die Kontrolle der Anlage begann. Im April 1940 besetzten die Deutschen Norwegen, und ließen die Produktion des schweren Wassers verzehnfachen. Dass die gefährliche Flüssigkeit dennoch nie Deutschland erreichte, haben 1943 die Helden der Telemark verhindert.
Ihre Geschichte wurde 1965 mit Kirk Douglas verfilmt. Gedoubelt wurde der Hollywoodstar vom „Gaustakongen“ Olav Svartdal. Olav aus dem schwarzen Tal, der in den USA als Skilehrer ein Vermögen angehäuft hatte, setzte nicht nur die Verfolgungsjagden telegen in Szene, sondern baute auch Gaustablikk auf dem Nichts auf. Über dem 1971 angelegten Hüttendorf rund um das komfortable Gaustablikk Høyfjellshotell thront majestätisch der weiße Gipfel des Gaustoppen (1.883 m).
In den kommenden Jahren soll der höchste Berg der Telemark, der lange ein militärisches Sperrgebiet war, nun in das Skigebiet eingebunden werden. Bereits zur Saison 2009/10 soll ein 2,3 km langer Sessellift das jetzige Skisenter Gaustablikk mit dem Gausta-Gipfel verbinden und mit künftig insgesamt 14 Liften und 30 Abfahrten nach Trysil und Hemsedal Norwegens drittgrößtes Skigebiet schaffen. Hinter dem Milliardenprojekt stehen der örtliche Bau-Multi Jostein Haugen und Ole-Kristian Furuseth.
Der norwegische Rennläufer, der sechs Skiweltcups für sich entschied und mit der Furuseth Alpin Lodge in Kvitfjell bereits Erfahrungen als Hotelier gewonnen hat, plant am Gaustatoppen bis zu 600 neue Chalets und Ferienapartments. Bereits im Bau ist die luxuriöse Gaustatoppen Lodge mit 40 Ferienwohnungen in 1.000 m Höhe. Die Skischule wird ein zweiter norwegischer Skirennstar betreiben: Kjetil André Aamodt, der als einziger Norweger bisher vier alpine olympische Goldmedaillen gewinnen konnte und 2007 verletzungsbedingt seine Karriere beendete. Das Duo ist überzeugt: Schon in wenigen Jahren wird das schneesichere Gausta in der Telemark zu den europäischen Topadressen des Skisports gehören.
Telemark: Info
Hinkommen
Mit Lufthansa, SAS (ab 99 Euro) oder dem Billig-Carrier Norwegian (ab 35 Euro) nach Oslo, weiter per Leihwagen.
Schlafen & schlemmen
Gaustablikk Høyfjellshotell
N-3660 Rjukan, Tel. +47 35 09 14 22, Fax +47 35 09 19 75, www.gaustablikk.no, DZ ab 800 NOK (80 Euro), Skipass: 7 Tage 1445 NOK (145 Euro)
Ansehen
Norsk Skieventyr (Norwegisches Skimuseum)
3850 Kviteseid, N-3848 Morgedal, Tel. +47 35 05 42 50, www.morgedal.com
Norsk Industriarbeidermuseum
Vemork, N-3660 Rjukan, Tel. +47 35 09 90 00, www.visitvemork.com
Informieren
Innovation Norway
Postfach 11 33 17, 20433 Hamburg, Tel. 0180/ 500 15 48, www.visitnorway.de
Aktuelle Schneeberichte: www.skiinfo.no