Istanbul und die Ägäisküste sind Urlaubsklassiker. Doch es gibt viel mehr zu entdecken in der Türkei: Küstenberge mit sattgrünen Almen und ewigem Schnee, Welterbe-Städte aus 1001 Nacht – und tanzende Derwische. Entdeckt acht unbekannte Reiseperlen!
Unbekannte Städteperlen
Mardin
Glockentürme und Minarette, Orientflair und Konzeptkunst: Mardin ist eine faszinierende Mixtur aus Islam und Christentum, altem Erbe und Avantgarde.
Malerisch schmiegen sich sandfarbene Natursteinhäuser im arabischen Stil den Hang hinauf, Kirchtürme und Minarette lugen aus dem verschachtelten Häusermeer unterhalb des Burgberges heraus, der die mesopotamische Tiefebene überblickt. Heiß sticht die Sonne vom Himmel, und doch ist es im biblischen Gewirr aus engen Gassen und Treppen, die sich kreuz und quer den Berg auf und ab erstrecken, angenehm schattig.
Blumen schmücken Erker und Winkel, ein Mann führt seinen beladenen Esel hinauf zur wuchtigen Zitadelle. Von oben kann man an klaren Tagen das nur 30 km entfernte Syrien sehen. Mit den ersten „Külliyes“ von Anatolien – Moscheen mit Koranschule (Medrese), Bibliothek, Armenhaus und Lazarett – und seinem geschlossenen Stadtbild des 12. bis 16. Jahrhundert ist Mardin ein Juwel aus 1001 Nacht, das Welterbe werden will.
Und dabei völlig arty und trendy ist: als Location einer Biennale, die seit 2010 Kunst auf die Straße bringt. Und ins Yeni-Hotel, einer Absteige fahrender Händler im großen Basar. Im Foyer steht eine bunte Couch – das Werk der US-Künstlerin Pae White wurde nach der Kunstschau 2012 Teil des Inventars.
- Mardin ist für ungewöhnlichen Naturseifen berühmt – im Basar gibt es sie mit Ziegenmilch und Knoblauch.
- In der aufwändig restaurierten Karawanserei Artuklu Kervansaray war Prinz Charles schon zu Gast (Birinci Caddesi 70, 47100 Mardin, +90 482 213 73 53, www.artuklu.com, DZ ab zirka 80 Euro).
- Die Schlemmeradresse von Mardin heißt Cercis Murat Konağı und residiert in einem wunderschönen Konak mit aussichtsreichen Terrassen. Typische für seine Küche sind Gerichte mit Pflaumen und „Domates Tatlısı“, süße Tomaten zum Dessert (Birinci Caddesi 517, Tel. +90 482 213 68 41, www.cercismurat.com). Der schattige Garten der Kebapçı Yusuf Usta’nın Yeri ist erfüllt vom Duft der Kebaps auf dem Holzgrill (Birinci Caddesi, Tel. + 90 482 212 79 85).
Safranbolu
Ein Tag in Safranbolu ist eine Reise in die Glanzzeit der Sultane und der Seidenstraße, auf der Karawanen auch kostbarste Blütenfäden transportieren: Safran.
Wenn es im Frühjahr lila leuchtete, wussten die Menschen von Safranbolu: Es wird ein gutes Jahr. Denn die Blütenfäden des Safrankrokusses waren in aller Welt begeht. Und sorgten Jahrhunderte lang für Wohlstand. In engen Gassen errichtete man Konaks, kunstvolle Holzständerbauten mit rechteckigen Wasserbecken (havuz) im Haus, zwei Moscheen, großem Hamam und Karawanserei als Herberge für die Händler – heute das luxuriöseste Hotel im Kleinod der osmanischen Baukunst, das die Unesco als Welterbe anerkannt hat.
Im Basarviertel steht mit Hüseyin Şahin ein preisgekrönter Schmied am Amboss und formt aus glühendem Eisen Türklinken, Schlösser und Messer mit osmanischen Motiven. Wenig weiter näht ein Schumacher hohe Stiefel, bezieht ein Sattelmacher ein Holzgestell mit Filz. Weinreben ranken zwischen den Werkstätten und Läden, in denen Safran Lokum verkauft wird – kleine, süße Geleewürfel mit Safrangeschmack. Safranbolu, ein begehbares Museum, eine Stadt, in der Vergangenes lebt.
- Die Händler der Seidenstraße schliefen im Cinci Han, der wehrhaften Karawanserei von 1645 (Cesme Mah. Eski Carsi Sok, 78600 Safranbolu, Tel. +90 370 712 0680, www.cincihan.com, DZ ab zirka 75 Euro).
Izmir
In Izmir trifft man sich am Uhrturm. Der 25 m hohe Marmorturm (1901) am Hafen ist das Wahrzeichen der weltoffenen Metropole an der Ägäis.
Die moderne 3,6-Millionen-City wird zu Unrecht oft nur als Sprungbrett nach Çesme und anderen berühmten Badeorten gesehen. Bleiben Sie lieber ein wenig, und bummeln Sie ganz entspannt durch das Labyrinth des Kemeralti-Basars mit seinen kleinen Läden, die Lederwaren, Kelim-Teppiche, Gewürze und Messingwaren anbieten, oder entdecken Sie in der Konak Pier oder im Bornova Centre türkische In-Labels.
Fußmüde? In der „fayton“, einer nostalgischen Pferdekutsche, geht’s gemütlich auf der breiten „Kordon“-Promenade erst am Wasser entlang, dann hinauf zur Kadifekale, der Zitadelle auf dem Pagos-Berg. Zum Sunset saust man im Jugendstilaufzug „Asansör“ zum gleichnamigen Restaurant hinauf und genießt beim Aperitif Traumblicke auf ein Häusermeer, dessen Lichter wie Diamanten funkeln.
In Alsancak probiert man in kleinen Straßen mit osmanischen Häusern Lammspießchen, Köfte mit Kreuzkümmelsoße oder zieht in loungigen Sesseln zum Çay-Tee an der Shisha, der Wasserpfeife. Das macht fit für das Nachtleben des Szeneviertels, in dem mit dem „Velox“ (Sehitler Caddesi) auch der beste Club von Izmir zu finden ist. Mit Techno, House, und Türken-Sound heizen DJs der begeisterten Menge auf der Tanzfläche bis vier Uhr früh ein.
- Osmanischer Schlemmertraum: Eine schier unglaubliche Auswahl an Meze-Vorspeisen, verführerisch duftenden Braten und Baklava, die träumen lässt: Meşhur Tavacı Recep Usta ist berühmte für seine türkische Küche, die im Sommer im großen Garten serviert wird (Atatürk Caddesi No. 364 Kordon, Alsancak, Tel. +90 232 463 87 97, tavacirecepusta.com).
- Im Herzen von Alaçatı wurde ein Jahrhunderte altes Steinhaus mit viel Herzblut in das charmante Hotel MaSaLa verwandelt, das in sechs Zimmern trendigen Shabby-Chic mit türkischem Erbe verbindet (Tokoglu Mah. 1020 Sok. No. 4, 35950 Izmir, Tel. +90 232 716 05 78, masala.com.tr/masala-hotel; DZ ab zirka 100 Euro).
- Direkt am Kordon und fußläufig zu allen Sehenswürdigkeiten liegt das mit dem Green Globe als besonders umweltfreundlich zertifizierte Mövenpick Hotel (Kültür Mh., Cumhuriyet Blv No:138, 35210 Izmir, Tel. +90 232 488 14 14), DZ ab zirka 115 Euro).
Konya
Von rechts nach links ums Herz herum, die eine Hand zum Himmel gereckt, die andere Hand gen Boden gehalten: So tanzen sich in Konya die Derwische in Trance.
Im Tanz werden wir eins mit dem Göttlichen, sind die Männer mit den weiten weißen Roben und hohen Filzkappen überzeugt. Immer schneller drehen sie sich um die eigene Achse, geraten ins Taumeln, ja, sogar in Ekstase, bis sie Visionen sehen. So wie „Mevlâna“, ihr Meister, der mit bürgerlichem Namen Celaladdin Rumi hieß und im 13. Jahrhundert den Sufismus begründete – in Konya, fast genau in der Mitte Anatoliens.
Die Kuppeln seines Mausoleums sind heute Wahrzeichen der siebtgrößten Stadt der Türkei, sein Grab ist ein Pilgerziel – und nach dem Topkapi-Palast die meistbesuchte Attraktion der Türkei. Besonders am 17.Dezember, wenn unter der größten Öllampe der Welt beim Mevlâna-Festival die Derwische den Todestag ihres Meisters als Hochzeit mit Allah feiern, und vor einem Millionenpublikum furios umher wirbeln, immer und immer wieder.
- Erstes Haus am Platze ist das 30-stöckige Rixos-Hotel mit 278 im klassisch-modernen Viersternestandard, das – anders als im religiös-konservativ geprägten Konya sonst üblich – in Restaurant und Bar auch Alkohol ausschenkt (Ardıçlı Mh., Yeni İstanbul Cd No:231, 42250 Konya, Tel. +90 332 221 50 00, rixos.com, DZ ab zirka 70 Euro).
Unbekannte Landschaftsperlen
Amasra & Schwarzmeerküste
Das „Auge zur Welt“ nannte Sultan Mehmet seine riesige Festung, die er vor 600 Jahren auf den steilen Bakacak-Hügel setzte und von dort oben immer wieder die Schönheit des antiken Sesamos bestaunte: Auf zwei Landzungen, eingerahmt von imposanter Felsküste, drängen sich um einen kleinen Hafen weiße Häuser mit Tondächern. Auf dem Bazar wird laut gefeilscht, im Hamam nach Geschlechtern getrennt geschwitzt.
Hinter tiefgrünen Zypressen und meterhohen Rhododendren verstecken sich einsame Naturstrände wie Bozköy plajı und der östlich liegende Strand von Cakraz, wo einfache Lokale Skorpionfisch auf Holzkohle grillen und zum fruchtigen Roten servieren, der im Hinterland gedeiht.
Amasra gilt als Perle der reich bewaldeten, vom Massentourismus noch unberührten Schwarzmeerküste. Wer Abwechslung vom Strandleben von Şile, Sinop, Inebolue oder Akçakoca sucht, zieht mit dem Rucksack die Berge hinauf zu Almhütten, byzantinischen Kirchen und georgischen Klöstern.
Oder nach Baksi, wo Hüsamettin Kocan, Maler und Professor aus Istanbul, ein Museum für moderne und traditionelle Kunst in die archaische Landschaft gesetzt hat, das 2014 vom Europarat preisgekrönt wurde.
- Ein beliebtes Ausflugsziel ist der „weinende Baum“ Ağlayan Ağaç bei Amasra – im April / Mai lässt die 350 Jahre alte Zypresse aus ihren Nadel „Tränen“ kullern. Gleich daneben: das Café eines Teeimporteurs mit Traumblick auf die Kanincheninsel.
- 30 rustikale Bungalows mit viel Holz und türkischen Kelims, ein großzügiger Bucht und ein Paradeblick auf die Schwarzmeerküste beim Schlemmen open-air: Das Grand Kirazlar Hotel ist zwar etwas außerhalb gelegen, punktet aber mit atemberaubender Lage und toller Küche (Bakacak mevkii, 74100 Amasra, Tel. +90 378 315 39 81, kirazlarotel.com.tr, DZ ab zirka 90 Euro).
Rize & Kaçkar-Gebirge
Im Osten der Schwarzmeerküste geht’s hoch hinaus: Kaçkar heißen die türkischen Alpen mit ihren Regenwäldern, Gletscherseen und Hochalmen. Wie riesige Geister huschen Nebelschwaden um die bis zu 4000 Meter hohen Gipfel, umhüllen urige Holzhäuser und spitze Minarette, steinerne Bogenbrücken der Seldschuken und riesige Haselnuss-Haine.
An die steilen Hänge klammern sich kleine, sattgrüne Sträucher, deren Blätter das liefern, was die Türken literweise trinken: Çay (Schwarztee). Wie er angebaut und verarbeitet wird, verrät das Tee-Museum in Rize. In den Dörfern verläuft das Leben gemächlich wie einst. Die Männer spielen Tavla, auf den Kopftüchern der Frauen findet sich die Farbenpracht der wilden Blüten wider.
Wer wandert, durchquert Buchen- und Tannenwälder, hört das Rauschen von Wasserfällen und das Heulen wilder Wölfe, badet in Ayder in der Thermalquelle und entdeckt unterwegs malerische Dörfer wie Uzungöl mit Alpenromantik direkt am Meer. Tief im Wald klebt das Kloster Sumela mit Kapelle und Mönceszellen seit 1500 Jahren am Fels. Vor 100 Jahren fast zerstört, ist es heute wieder eine Attraktion. Das liegt vor allem auch an Bürgermeister von Maçka, Ertuğrul Genc, der es zu einer gemeinsamen Andachtsstätte von Muslimen und Christen gemacht hat.
- Filmtipp: In dem Dorf seiner Großeltern soll an der Schwarzmeerküste eine Mülldeponie gebaut werden. Mit seinem Dokumentarfilm Müll im Garten Eden kämpfte Fatih Akin 2012 dagegen. Trotz des traurigen Themas gibt es viel zu lachen.
- Giresun ist die Hauptstadt der Haselnuss. Im Fabrikshop der „Fiskobirlik“ gibt es sie geröstet, gemahlen oder roh, als Krokant, Knabberei oder Crème fürs Brot oder Müsli; findikciyiz.com
- Gut, günstig und gemütlich wohnt man im Waldhaus Ayder Ahşap Otel (Yukarı Ambarlık Mevki, Çamlıhemşin, 53750 Ayder, Tel. +90 464 657 21 62, ayderahsapotel.com, DZ ab zirka 60 Euro).
Van-See & Ararat
Er ist siebenmal so groß wie der Bodensee, karibisch blau und umringt von Viertausendern: der Van-See im äußersten Osten Anatoliens, der auch im Winter bei minus 20 Grad nie zufriert. Schuld daran ist sein Salzgehalt. Er sorgt auch dafür, dass nur ein den Anglern hier an den Haken geht: der Karpfen – zugleich die Spezialität der Lokale von Van, der modernen Hauptstadt am 120 km langen, 80 km breiten und 457 m tiefen See.
Vom Anleger schippern Boote zu Inseln mit uralten Kirchen wie der Surp Haç Kilisesi auf Akdamar. Im 9. Jahrhundert vor Christus war Van Zentrum des mächtigen Königreiches der Urartu, die riesige Festungen hinterließen – in Van wie in Çavuştepe, wo neben steinernen Weinpressen sogar eine Königs-Toilette erhalten ist.
Drei kurvige Stunden durchs karge Gebirge und Lavafelder entfernt, soll Noahs Arche gestrandet sein: auf dem 5.137 m hohen Gipfel des Ararat, dessen Schneespitzen im Licht der aufgehenden Sonne funkeln. Wer die höchste Spitze der Türkei erklimmen will, kann sich in Doğubeyazıt einer Gruppe anschließen. Für Einzelwanderer ist der Berg tabu.
- Sauber, zentral und günstig ist das Büyük Asur Hotel (Şerefiye Mh., Turizm Sk, 65100 Van, Tel. +90 432 216 87 92, buyukasur.com, DZ ab zirka 50 Euro).
- Van ist berühmt für sein herzhaftes Frühstück „kahvaltı“ – bei Sütçü Kenan wird es bis nachmittags serviert (Cumhuriyet Caddesi, Kahvaltıcılar Sok. No: 7, Tel. +90 432 216 84 99, kein www.)
Hattuša & Steppenland
Viele Völker sind über die kargen Ebenen Zentralanatoliens gezogen: Phryger, Lyder, Perser, Römer, Byzantiner und Osmanen. Doch zu den ersten gehörten die Hethiter, die rätselhafte Keilschriften hinterließen und mächtige Felsblöcke für ihre Hauptstadt Hattuša auftürmten. Zu dicken Stadtmauern, dem mächtigen Löwentor und Tempeln und Häusern einer gut einen Quadratkilometer großen Megacity der Antike.
Seit 1986 sind ihre Ruinen, die der deutsche Archäologe Hugo Winckler 1834 beim Dörfchen Boğazkale entdeckte, als Weltkulturerbe die größte Attraktion im Boğazköy-Alacahöyük-Nationalpark. Inmitten einer kargen, baumlosen und steinigen Steppe entführen sie ins Jahr 3000 v. Chr, als die Hethiter die dritte Großmacht neben Ägypten und Assyrien waren.
Ihre berühmte Sphinx, lange Stolz des Museums für Vorderasiatische Kunst in Berlin, kehrte 2011 wieder in die Türkei zurück. Welche Götter sie verehrten, verrät das Felsheiligtum Yazılıkaya. Links und rechts der schmalen Schlucht ziehen die männlichen und weiblichen Gottheiten entlang – mit Spitzmütze, Schnabelschuh und strengem Blick. So, als hätten sie auch noch heute alles unter Kontrolle. Das ZDF hat die Stätte hier vorgestellt.
- Von Ankara starten täglich diverse Tagestouren nach Hattuša. Wer bleiben will: Das Hotel Aşıkoğlu überzeugt mit sauberen Zimmer, Osmanen-Küche zur Live-Musik und tollen Aussichten von der Dachterrasse (Sungurlu Asfalt Caddesi, 19310 Boğazkale/Çorum,Tel. +90 364 452 20 04, hattusas.com, DZ ab zirka 45 Euro).
Dieser Beitrag erschien im September 2014 in einem Türkei-Beileger von Lonely Planet Traveller und Food and Travel.