Meine ganze Kindheit und Jugend war 40 km östlich die Welt zu Ende. Der einzige Korridor weiter gen Osten war das Asphaltband der Transitstrecke F5. Erst 1982 wurde die Transitstrecke von Lauenburg über Boizenburg und Perleberg nach Westberlin von einer Autobahn abgelöst, auf der ein Intershop Einblicke in die mir völlig fremde Lebenswelt der DDR erschloss. 1989 öffnete sich der Schlagbaum in Schlutup. Und ich ging in den Osten. Erst nach Mecklenburg, dann von den FNL (Fünf Neuen Ländern) immer weiter. Als auch im Baltikum der Ruf nach Glasnost erklang, die russischen OMON-Truppen durch die Straßen von Riga rollten, war ich dort, schrieb, arbeitete, sah. Lernte, unsichtbar zu werden.
So kam ich 1991 nach Litauen. Verschanzte mich mit Vytautas Landsbergis hinter Sandsäcken, schlief mit den Soldaten im Parlament auf Feldbecken und Schlafsäcken, die wir Journalisten aus aller Welt in Ecken ausrollten, die uns sicher erschienen. Das Volk stieß Stalin vom Sockel. Lenin wankte. Litauen war, vielleicht noch stärker als Estland und Lettland, das Land, das die Freiheit, das Ende der russischen Oppression, am stärksten forderte. Und, wegen der Gas- und Industrieanlagen, am härtesten die Antwort aus Moskau spürte.
Auf jenen Tagen stammen diese Bilder. Zurückgekehrt bin ich nach 1993 nicht mehr ins Baltikum. Ich habe in jenen Jahren so tiefe, berührende Menschen, Landschaften und Begegnungen erlebt, die unverfälscht in mir erhalten bleiben sollen. Authentisch. Unverändert. Und nicht verwestlicht, aktualisiert, überlagert vom Heute.
Impressionen aus Riga und Lettland
Andris Slapiņš war ein lettischer Dokumentarfilmer und Freiheitskämpfer. Er starb auf tragische Weise am 21. Januar 1991. Während der Dreharbeiten zu einen Follow-up von „Homeland“ von Juris Podnieks kam wurde sein Filmteam von russischer Scharfschützen der OMON-Truppen beschossen. Unter den Opfern der Barrikaden von Riga, gegen die Russland mit extremer Härte vorging, war auch ein Schüler: Edijs Riekstiņš. Er starb bereits am 20. Januar 1991. Die dunklen Stunden vom 20. auf den 21. Januar wurden zur Blutnacht der Barrikaden.
Impressionen aus Vilnius und Litauen