Den Gamle By: Zeitreise für alle Sinne

Kopfsteingassen und Fachwerkhöfe, historische Interieurs und traditionelle Werkstätten, romantische Gärten, Gaststuben und nostalgische Geschäfte: Den Gamle By im südländischen Aarhus gilt in ganz Europa als größtes und bestes Freilichtmuseum für die Stadtkultur des 16. bis 19. Jahrhundert.

Aus allen Teilen des Königreiches Dänemark stammen die 75 historischen Häuser der Jahre 1530 bis 1930, die im Südteil des Botanischen Gartens von Aarhus originalgetreu wieder aufgebaut wurden. Die alte Stadt ist jedoch kein steriles Museum, sondern eine lebendige Kleinstadt mit Pferdekutschen, Handwerkern und Wohnhäusern.

Die Idee zu der in Europa einzigartigen Anlage lieferte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Mitarbeiter des Museums von Aarhus: Peter Holm. Während andere Freilichtmuseen eine Sammlung ländlicher Gebäude darstellen und eine Bauernkultur für die Nachwelt erhalten, wurde Aarhus erstmals die bürgerliche Kultur einer Stadt rekonstruiert und mit Leben erfüllt.

Fachwerk in vielen Farben und Formen: Den Gamle By.
Fachwerk in vielen Farben und Formen: Den Gamle By.

Den ersten Anfang machte 1914 ein Gebäude von Aarhus, das vom Abriss bedroht war: der Borgmestergaarden,  den Nils Skriver 1597 im Zentrum der Stadt errichtet hatte. Als das Museum im gleichen Jahr eröffnete, nannte es sich daher “Alter Bürgermeister-Hof”, denn außer diesem Hof ,einem weiteren Fachwerkhaus und einem Gartenpavillon aus Aarhus gab es nur noch ein Bohlenhaus aus der Nähe von Kolding.

1923 sollte ein großer Kaufmannshof in Aalborg abgerissen werden. Mit viel Begeisterung gelang es Peter Holm, die notwendigen Mittel für die Zerlegung und den Wiederaufbau des Gebäudekomplexes – acht Häuser aus verschiedenen Epochen – aufzubringen. Nach drei Jahren waren fünf Gebäude restauriert – und das Museum erhielt seinen heutigen Namen: “Den Gamle By”.

 Auch schnatternde Gänse und Enten beleben Den Gamle By. Foto: Hilke Maunder
Auch schnatternde Gänse und Enten beleben Den Gamle By. Foto: Hilke Maunder

Heute sind in der alten Stadt historische Gebäude aus 20 dänischen Städten und Kleinstädten vertreten.  Im Freilichtmuseum wird derzeit auch das Haus fertig gestellt, in dem Hans Christian Andersen als Kind vor 200 Jahren verkehrte. Ursprünglich stammt der in der Munkemøllestraede in Odense gegenüber vom Elternhaus des Dichters.

Das Gebäude gehört zu mehreren kleinen Häusern, die in den 1970er-Jahren als “Eilschous”-Wohnungen  Pfarrerswitwen und bürgerlichen Jungfrauen eine kostenlose Bleibe boten. Eine der Wohnungen bewohnte die Pfarrerswitwe Bunkeflod.

Dort, so berichtet Andersen im “Märchen meines Lebens” erlebte er zum ersten Mal, wie jemand das Wort “Dichter” mit großer Ehrfurcht aussprach. Drei weitere Häuser liegen in der alten Stadt noch auf Lager das Posthaus vom Hof der Hempels aus Odense eine Renaissance Haus aus Randers und das Armenhaus von Sorø.

Wie in Großmutters Zeiten: Den Gamle By. Foot: Hilke Maunder
Wie in Großmutters Zeiten: Den Gamle By. Foot: Hilke Maunder

Den Sommer über, während der dänischen Schulferien und in der Weihnachtszeit erwacht die alte Stadt zum Leben. In historischen Kostümen erledigen die Stadtbewohner ihren Alltag. Dder Leierkastenmann singt auf dem Marktplatz zur Drehorgel. Ein Trommler verkündet aktuelle Nachrichten. Die Schusters Frau bringt die neusten Gerüchte unter das Volk.

Die Geschäfte haben ihre Ladentür geöffnet und laden zum Stöbern und Kaufen. Der Buchhandel aus der Zeit des Ersten Weltkriegs verkauft neben Lebenswerten auch Papier. In der Bäckerei gibt es Zuckerkringel, Haferkekse Lebkuchen, Brot und Brötchen frisch aus dem Backofen. Topfpflanzen, Kräuter und nostalgische Übertöpfe bietet die Blomstergartneriet rechts vom Museumseingang.

In drei Holzbuden (boder), nach alten Vorlagen neu errichtet, warten Tonwaren, Holzspielzeug und altmodische Süßigkeiten wie Bismarckklumpen oder englische Lakritze auf LKufer. Zollamt, Postamt, Schule und Brauerei laden zur Besichtigung. Töpferei und Postamt bei laufendem Betrieb. Auch eine Apotheke mit Giftschrank und Kräutergarten fehlt nicht.

Das ehemalige Stadttheater von Helsingør unterhält am Sommerabenden mit Opern und klassischen Konzerten. Der Theaterbau ist in seiner Art landesweit einzigartig. Im Gegensatz zu den Adligen und königlichen Theater in seiner Zeit wurde er 1817 von den Einwohnern der Stadt selbst errichtet.

Einblicke in das Arbeitsleben vergangener Zeiten geben die Werkstätten von Kerzengießern, Hutmachern, Webern, Böttchern und Buchmachern sowie eine Seilerei und eine Mühle. Das Uhrenmuseum, in dessen Werkstätten Uhrmacher ihrer Arbeit nachgehen, birgt die größte dänische Sammlung in- und ausländischer Uhren –  von den ersten Stundengläsern bis zu dem Standuhren der berühmten Uhrmacher Dynastie Jürgensen.

Wie Spielzeug als Erziehungsmittel ein eingesetzt wurde, erzählt im alten Packhaus aus Nastved Dänemarks größte Spielzeugmuseum mit 6.000 Exponaten vom Anfang des 19- Jahrhunderts bis 1930. Warum Gardinen in die Wohnstuben einzogen, und wann ist die ersten Sofakissen gab, verrät das Textilmuseum. Seine umfangreiche Trachtensammlung erhält derzeit eine 300 Quadratmeter große neue Ausstellungsfläche.

Die Silberausstellung der alten Stadt zeigt Arbeiten von 310 Goldschmieden aus den Jahren 1637 bis 1918. Die Steingut-Ausstellung präsentiert eine Auswahl von Thomson. 1722 hatte in Kopenhagen die erste Steingutfabrik Dänemarks eröffnet. Erst im 19. Jahrhundert verdrängte englisches Steinzeug und echtes dänisches Porzellan die helle Keramik.

Aus dem Kaufmannshof von 1864 dringt der Duft frischen Kaffees, der über dem offenen Feuer aufgebrüht wurde. Wer mittags kommt, kann Kohlsuppe oder eine Kaltschale mit frischer Buttermilch probieren. Für Brennholz sorgt der Knecht. Das Wasser holt die Küchenmagd von der Pumpe im Hof.

Auch in einem Fachwerkhaus in der Havbogarde ist Probieren erlaubt. Hier steht die Hausherren selbst am schmiedeeisernen hier und brutzelt Bauchfleisch mit Petersiliensoße, ein dänischer Klassiker. Manchmal dringt lautes Wiehern von den Ställen im Hof herauf Mitanni. Mit einigen Huftritten verjagen die Kutschpferde die Katzen, die sich auf ihr Heu gesetzt hatten.

Am Hühnerstall lehnen Stelzen, wie andere alte Spielgeräte der Stadt frei zum Testen. Zum kleinen Spielplatz mit einer alten Holzschaukel sind es nur wenige Schritte. Laut schnattern flüchten die Gänse vor den Kindern zu den Enten auf dem Teich.

Eine typische Gasse in Den Gamle By. Foto: Hilke Maunder
Eine typische Gasse in Den Gamle By. Foto: Hilke Maunder

Mit seinen Geräuschen, Gerüchen und lebendigen Gestalten regt ein Bummel durch die Gassen alle Sinne  an und lädt ein, Geschichte nicht nur anhand von Gebäuden und Gegenständen zu betrachten, sondern ganzheitlich zu erleben – zu hören, fühlen, sehen und schmecken.

Wer beim Probieren in den historischen Küchen Appetit bekommen hat, kann seinen Hunger stilgerecht vor Ort stellen. Das Gartenlokal Simonens Have serviert von April bis September die dänische Spezialität Smørrebrød in vielen Varianten. An  Sommersonntagen erklingen dazu von 14 Uhr bis 16 Uhr Promenadenkonzerte.

Im Madkassen (Brotkasten) lässt sich mitgebrachtes Essen in gemütlicher Umgebung genießen. Der Bierkeller Ølkaelderen erfrischt mit frisch gezapften Gerstensaft, Wein oder Brause drinnen oder draußen im Biergarten.  Das Gourmet-Restaurant Prins Ferdinand gehört zu den besten Gaststätten Dänemarks. Chefkoch Per Brun und seine Frau Lotte Norrig verwöhnen gleich neben dem Eingang zum Museum ganzjährig mit dänischen Regionalgericht denn, die mit den Küchen der Welt flirten.

Detail eines Brunnens in den Gamle By. Foto: Hilke Maunder
Detail eines Brunnens in den Gamle By. Foto: Hilke Maunder

So ruht der Hummer nach Thai Art neben Zitronengras, gesellt sich zum Kalbsfilet der Hokkaido-Kürbis, kommt die Vorspeise als japanisches Bento daher. Exzellent wie die Weinkarte ist auch die Käseauswahl. Besonders die schmackhaften Sorten örtlicher Kleinbauern sind eine Entdeckung wert.

Mit ihrem einzigartigen Konzept hat die alte Stadt von Aarhus wesentlich dazu beigetragen, dass Stadtgeschichte heute in vielen  Freilichtmuseen Europas vertreten ist. So inspirierte die Anlage ainb Aarhus die Gründung der Museen Gamle Bergen in Norwegen sowie des Hantvaerkmuseet Klosterbacken im finnischen Åbo. Die beste Nachricht jedoch zum Schluss. Ein bisschen wie in Den Gamle By sieht es noch heute in den Zentren vieler  dänischer Kleinstädte aus.

Dieser Beitrag war eine Auftragsarbeit für den Reportagedienst von Visit Denmark. Er wurde am 10. Mai 2006 versandt und von zahlreichen deutschsprachigen Medien veröffentlicht. 

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Den Gamle By: Wassermühle und Fachwerkbauten am Wasser. Foto: Hilke Maunder
Wassermühle und Fachwerkbauten am Wasser. Foto: Hilke Maunder

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