Halbinsel Eiderstedt: Wat(t) für alle Sinne

Mitten im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer liegt die Halbinsel Eiderstedt – und lädt ein, zum 20-jährigen Bestehen des größten Naturparks zwischen Nordkap und Sizilien Wat(t) mit allen Sinnen zu erleben.

Große Nagelrochen schweben majestätisch durch das Wasser. Wenig weiter gräbt sich ein Sternrochen zur Tarnung in den Sand ein. Perfekt tarnen kann sich auch der Stechrochen, der von Tönninger Krabbenfischern an der Eidermündung gefangen und nun im Multimar Wattforum eine neue Heimat gefunden hat.

Neben Rochen lassen sich in den 17 Aquarien des zentralen Infozentrums für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer auch Katzenhaie, Dorsche, Quallen und Seepferdchen entdecken – mehr als 250 Arten von Fischen, Muscheln, Krebsen und Schnecken zeigt die Erlebnisausstellung, die 1999 in Tönning eröffnete.

Eiderstedt: Großes Staunen garantiert: Der Blick durch das Mikroskop offenbart Kindern Dinge, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind. Foto: Hilke Maunder
Großes Staunen garantiert: Der Blick durch das Mikroskop offenbart Kindern Dinge, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind. Foto: Hilke Maunder

Wat(t) erleben ist ihr Motto – und so dürfen große wie kleine Besucher aktiv werden und experimentieren. Im Brandungsbecken können sie mit einer Kurbel Wellen erzeugen, mit einer Unterwasserkamera eine Miesmuschelbank erforschen, mit Seesternen auf Tuchfühlung gehen oder mit Mikroskopen Kleinstlebewesen im Wasser entdecken.

Höhepunkt im Walhaus mit der Dauerausstellung „Wale, Watt, und Weltmeere“ ist das fast 18 Meter langen Skelett eines Pottwales. Rund um den Riesensäuger präsentieren zehn Kammern vor allem seine kleineren – und einzigen – Verwandten, die im Nationalpark Wattenmeer leben: die von der Ausrottung bedrohten Schweinswale.

Eiderstedt: Kinder lieben es, dass sie im Multimar Wattforum so viele Exponate selbst ausprobieren und erleben können – selbst durch die Barten eins Wals können sie klettern! Foto: Hilke Maunder
Kinder lieben es, dass sie im Multimar Wattforum so viele Exponate selbst ausprobieren und erleben können – selbst durch die Barten eins Wals können sie klettern! Foto: Hilke Maunder

Am Tönninger Binnenhafen starten von April bis Oktober ornithologische Schiffsreisen mit Seefischfang. Mit an Bord der „Adler II“ sind neben Kapitän Joachim Ziegert (37) und seinen beiden Matrosen stets Ranger von der Nationalparkverwaltung.

Zwei Stunden lang geht es in langsamer Fahrt die Eider hinauf. Nonnengänse, Stockenten, Austernfischer und Kormorane schwimmen auf den silbrig schimmernden Fluten; kleine Knutts und andere Zugvögel schwirren dicht am Deck vorbei. Kapitän Ziegert drosselt die Fahrt, lässt ein Netz ins Wasser gleiten und holt es zehn Minuten später wieder auf.

Eiderstedt: der Hafenkanal von Tönning
Der Hafenkanal von Tönning. Foto: Hilke Maunder

Auf einem großen Tisch am Obertisch wird der Fang entleert. Stichlinge, Schollen und andere Plattfische liegen zwischen glasig grauen Garnelen. Strandkrabben krabbeln kreuz und quer. Einige Kinder versuchen, sie mit den Händen zu fangen.

Erschrocken lassen sie los: Sind die Scheren scharf! Aus leeren Schneckenhäusern schauen Einsiedlerkrebse heraus. Die schwarze Schale der Miesmuscheln ist mit kalkigen Noppen und Kratern bedeckt – Seepocken.

Daneben leuchten Seesterne in fahlem Gelb. Ihre Unterseite bedecken Tausende Füßchen. „Das Wattenmeer ist die Kinderstube der Fische“, sagt der Ranger und greift einen länglichen Mini-Fisch heraus. „Das es jetzt wieder junge Heringe gibt, ist ein gutes Zeichen!“

Mit großem Schwung wirft er den Fang zurück ins Meer. Kreischend stürzen sich die Möwen darauf. Nach zwei Stunden ist der Außenhafen des Eidersperrwerks erreicht. Dort wartet bereits die nächste Gruppe auf den Natur-Törn zurück nach Tönning.

Eiderstedt: Das Eidersperrwerk. Foto: HIlke Maunder
Das Eidersperrwerk. Foto: Hilke Maunder

Sportlich geht es am Nachmittag in St. Peter-Ording zu, als die Ebbe den Meeresboden freilegt. Ausgerüstet mit GPS, wandert Georg-Werner Jensen mit einer kleinen durch eine sonst verborgene Welt. Im weichen Schlickwatt sinken die Beine bis zu den Knien ein.

Jensen reicht die Grabegabel: „Daran können Sie sich wieder herausziehen!“ Auf dem harten Sandwatt kitzeln schlanke Spaghetti aus Sand die Sohlen – die Stränge der Wattwürmer. Kleine Rippen verwandeln das Watt in ein Waschbrett. Dann spiegeln sich die Wolkenberge des Himmels in der weiten Fläche, tanzt die Sonne in tausend Strahlen in Wasserlöchern und Rinnsalen. Still ist es.

Eiderstedt, Morgens im Wattenmeer. Foto: Hilke Maunder
Morgens im Wattenmeer. Foto: Hilke Maunder

Der Alltag entschwindet, die Gedanken gehen auf die Reise, der Geist beginnt zu fliegen. Zeit ist grenzenlos – bis zur nächsten Flut, die mit astronomischer Präzision pünktlich nach sechs Stunden und 12 Minuten eintrifft. Pro Minute bedeckt sie 100 Watt-Meter – wer da nicht schnell genug an Land kommt, schwebt in Lebensgefahr.

„Autsch“. Das war eine Muschel. Die scharfe Kante schneidet die Haut in Sekunden auf. Barfuß laufen, das sehen die Wattführer gar nicht gerne. Auch Gummistiefel sind untauglich. „Am besten alte Turnschule anziehen“, rät Jensen, im Hauptberuf Lehrer.

Stilecht endet der Erlebnistag ums Watt am Abend im Tönninger Packhaus. Einmal im Monat führt hier Heidi Levi während der Saison in die Kunst des Krabbenpulens ein „Einfach ein, zwei Ringe nach dem Kopf den Panzer der Krabbe drehend brechen und abziehen“, sagt die 62-Jährige; und fast 200 Urlauber staunen, wie fix es gehen kann.

Eiderstedt: Krabben pulen? Mit etwas Übung kinderleicht! Foto: Hilke Maunder
Krabben pulen? Mit etwas Übung kinderleicht! Foto: Hilke Maunder

“Ihgitt, den Wurm ess’ ich nicht“, protestiert ein Steppke, als ihm die Eiderstedterin in alter Tracht eine frisch gepulte Krabbe reicht. „Ist doch nichts dran“, entgegnet diese – „keine Knochen, keine Gräten, reines Muskelfleisch!“ und schiebt sich den rosa Winzling genüsslich in den Mund.

Während die Hände Krabbe um Krabbe vom Panzer befreien, erzählt sie von Meisterschaften im Krabbenpulen mit unglaublichen Rekorden und lässt die Vergangenheit lebendig werden. Mit Korbnetzen, rechts und links um den Bauch gebunden, gingen die Frauen früher auf Fang, wateten stundenlang im kühlen Wasser, bis die Körbe gefüllt waren.

„Da haben wir es doch heute Abend gemütlicher!“ Der Shanty-Chor „Tönniger Eiderenten“ beginnt zu singen. Und unbemerkt steckt sich der Steppke die Krabbe nun doch in den Mund.

Eiderstedt: Im Tönninger Hafen.. Foto: Hilke Maunder
Im Tönninger Hafen.. Foto: Hilke Maunder

Halbinsel Eiderstedt: Info

Reiseziel

Die Halbinsel Eiderstedt erstreckt zwischen Tönning im Süden und Husum im Norden gen Westen in die Nordsee.

Auskunft

Tourismuszentrale Eiderstedt e.V.

Am Markt 26, 25836 Garding, Tel. 0 48 62/4 69, www.tz-eiderstedt.de

Ansehen

Multimar-Wattforum Tönning

Am Robbenberg, 25832 Tönning, Tel. 0 48 61/96 20 0, www.multimar-wattforum.de

Dieser Beitrag ist am 23. April 2005 im Weserkurier erschienen. 

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