Groß Raden: So lebten die alten Slawen!

1973 bei Sternberg. Auf der Halbinsel am Großen Binnensee verraten nur noch die Umrisse eines stark verflachten Walls, dass hier Menschen gelebt haben. Waren es Slawen?

Sieben Jahre später erlebte die Archäologie eine ihrer seltenen Sternstunden: Vom Moorboden befreit, erhebt sich vor dem Schweriner Archäologen Professor Ewald Schuldt ein slawischer Tempelplatz aus dem 9./10. Jahrhundert.

Heute ein Archäologisches Freilichtmuseum, lädt das Mecklenburger Landesmuseum Groß Raden bei Sternberg das ganze Jahre hindurch ein, die Welt der Slawen zu entdecken – beim Schauen und spielen, Spinnen, Backen oder Weben.

In der Anlage im Sternberger Ortsteil Groß Raden, bereits 1842 durch den Altertumsforscher Friedrich List beschrieben, sicherten Schuldt und seine Mitarbeiter des Museums für Ur- und Frühgeschichte bei ihren Arbeiten mehr als 50.000 Einzelfunde.

Hervorragend erhaltene Eichenhölzer einer befestigten Anlage kamen zum Vorschein. Flechtwandhäuser, dichtgedrängt und klein, boten rund 200 Menschen Schutz vor Wind und Wetter. Ein Einbaum, vermutlich zum Fischfang genutzt. Geschnitzte Löffel, Schalen, Schuhe und Schafscheren.

Unter den zahlreichen Gegenständen aus Holz wurden auch Ölpressen und Hirsestampfen gefunden. Eine Novität ist ein hölzerner Schildbuckel, aber auch Radnaben, Schlitten und Hechtstülpe waren bisher bei Ausgrabungen westslawischer Siedlungen noch nicht aufgefunden worden.

Das archäologische Freilichtmuseum Groß Raden konnte 1992 fast fertiggestellt werden. Erstmalig wurde in Norddeutschland der Versuch unternommen, Rekonstruktionen zu einem frühmittelalterlichen slawischen Fundplatz im Maßstab 1:1 aufzubauen. Die Aufbauarbeiten stützen sich auf Forschungsergebnisse zur slawischen Siedlung vom 7. bis 12. Jahrhundert.

Die Anlage besteht aus einer älteren und einer jüngeren slawischen Siedlung und dem kreisrunden Burgbereich auf einer Insel im Binnensee. Vom Festland her schützen ein Zangentor mit anschließender Palisade und ein Wassergraben Siedlung und Burg.

Die ältesten Spuren der slawischen Siedlung finden sich entlang des Hauptweges. 29 von vermutlich insgesamt 40 Flechtwerk-Bauten konnten im Grundriss nachgewiesen waren.

Die Hütten, nur vier mal fünf Meter groß, waren mit Rohr gedeckt. Linker Hand sind die Grundrisse nur angedeutet – rechts wurde einige Bauten wieder aufgebaut. Später säumten Blockhäuser die Magistrale – kleine Hütten mit nur einem Raum und geräumige Wohnhäuser mit zwei Zimmern.

Heute stehen sie in zweiter Reihe. Aufgebaut wurden auch der Backofen – ab Ostern wird hier regelmäßig gebacken. Ein Mahlhaus und eine Schmiede aus dem 10. Jahrhundert ergänzen den Wirtschaftsbereich der Siedlung.

Ein rund 100 Meter langer Bohlenweg führt, vorbei an einem kleinen Kontrollhäuschen in Blockbauweise mit Schilfdach, zur Burg auf der Insel im See. Der Zugang erfolgte durch einen hohen dreistöckigen Holzturm aus dicken Rundhölzern, Wach-, Wehr- und Kontrollturm zugleich.

Eine beachtliche Bauleistung stellt der Burgwall im See dar. Etwa 12.000 Kubikmeter Erde wurden vom Ufer des Sees hierher verschifft und zu einem acht Meter hohen, kreisrunden Wall aufgeschüttet. Unzählige Stämme Eichenholz wurden auf kleinen Booten hinüber transportiert und von Menschenhand in den Boden gerammt, bis der Palisadenzaun und die Burg aufgebaut waren. Im Innern des künstlichen Burgwalles wurden sogar Kasematten angelegt – als Vorrats- und Waffenlager der Burg.

Sahen so die heiligen Stätten der Slawen aus, von denen Saxo Grammaticus und Helmold von Bosau erzählt hatten? Vollzog hier der Priester seine Rituale? Beteten hier die Menschen vor tausend Jahren zur ihrer Gottheit?

Stand hier das Standbild, in der Vertiefung in der Mitte der Burg? Vermutlich, war es doch auf der Insel im See besser geschützt als im ersten Tempel, der sich noch in der Siedlung auf der Halbinsel befand.

Ähnliche Tempelburgen legten die Slawen auch im sagenumwobenen Rethra oder Swante Wastrow, der heiligen Insel, an. Sie waren die geistig-kulturellen Zentren des Landes. Die Groß Radener Tempelburg der Warnower, auch Warnaben genannt, wurde vermutlich um 1000 nach Christus aufgegeben oder zerstört. Siedlung und Tempel des nordwestslawischen Stammes, zur Gruppe der Obotriten gehörig, wurden ab 1984 als Freilichtmuseum aufgebaut.

Eine rühriger Förderverein sorgt mit einem umfangreichen Veranstaltungskalender von Ostern bis Herbst für ein „lebendiges Museum“. Unter dem Motto „Leben wie im frühen Mittelalter“ können beim Familientag im Frühling Techniken der Textil- und Lederverarbeitung nachempfunden werden.

Töpfer- und Korbflechten runden das Programm des Tages ab. Zur Stärkung gibt es – stilgerecht – Schwein am Spieß. Mitten im Sommer steigt die Museumswoche.

Folkloregruppen treten auf, Freunde und Förderer des Freilichtmuseums zeigen handwerkliche Tätigkeiten: Bronzeguss und Eisenschmelzen gehören dazu. Ansehen und Mitmachen ist gefragt. Und wen der Durst plagt, der greife zum Honigwein.

Dieser Beitrag ist 1991 in “1000 Ausflugsziele in Mecklenburg-Vorpommern” erschienen. 

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