Im „Lebenden Glaswerk“ der Manufaktur Holmegaard auf Seeland können die Besucher nicht nur eine Zeitreise durch 6000 Jahre Glasgeschichte antreten und bei der Produktion der Pretiosen zusehen, sondern auch selbst Glas blasen und schleifen wie die Profis.
„Pust selv“ steht in großen Lettern auf dem Brennofen, in dem eine flüssige Masse rotglühend wabert. In der Gemengekammer waren zuvor die Rohstoffe für die Glasmasse gemischt worden: 56,3 Prozent Quarzsand, 14,6 Prozent Soda und 5,9 Prozent Dolomit, ferner 10,1 Prozent Schwerspat (Baryt) und 5 Prozent Pottasche. Metalloxide geben dem Glas die Farbe, „Holmegaards Geheimnis“ – 8,1 Prozent – sorgt für die berühmte Brillanz und Transparenz des Glases.
Heiß ist die Luft, trotz der geöffneten Fenster und Türen der alten Fabrik. Immer wieder füllen die Glasbläser ihre Flaschen an den allerorts angebrachten Wasserhähnen auf – und leeren sie in wenigen Schlucken, ehe sie mit ihrer „Pfeife“ wieder ein Klumpen Glas aus dem 1400° C heißen Ofen holen und das Mundstück des Blasrohres dem Besucher reichen. „Ganz ruhig und stetig blasen“.
Langsam verwandelt sich der rotglühende Klumpen über eine gallertartige Blase in einen durchsichtigen, feinwandigen Ballon. Fertig! Ein Foto – und peng! Mit einem Knall zerschlägt der Glasbläser den Versuchsballon, kehrt die Scherben zurück in den Ofen und lädt den nächsten Besucher zum kostenlosen Selbstversuch.
Wer sein Kunstwerk mit nach Haus nehmen möchte, kann zwischen fünf Vasenformen wählen. Wieder wird ein glühender Glasklumpen aus dem Ofen geholt. Doch jetzt wird er nicht mitten in den Raum gehalten, sondern in eine feuchte Hohlform am Boden gesteckt, während des Blasens hin- und hergerollt, die Spitze mit einer Gerbaudmaschine vom Blasrohr geschnitten, das inzwischen zähe Werkstück erneut erhitzt und dann der Rand geformt. Mit einer Nummer versehen, verschwindet die Vase für zwei Stunden in der Kühlbahn. Bei 500 – 600 ° C beginnt sie dort langsam zu erstarren und wird fest.
Nur in der kurzen Zeitspanne zwischen flüssiger und fester Form kann der Glasmacher das Glas formen und ihm seine ganz besondere Note verleihen. „Wir hauchen dem Glas bei unserer Arbeit unsere Seele ein“, ist Glasbläser Erik Engelbrechtsen (54) daher überzeugt.
Nach den Entwürfen der 24 Produktdesigner der Manufaktur fertigt er seit 40 Jahren von früh bis spät Schüsseln und Schalen, Weihnachts- und Osterschmuck, Trinkgläser und Tischleuchten wie die minimalistisch-transparente „One“ von Maria Berntsen, deren Form die Quintessenz einer Leuchte widerspiegelt.
Begonnen hatte die Glasherstellung in Fensmark jedoch mit einfachen Flaschen – und einer Frau: Gräfin Henriette Danneskiold-Samsøe. 1823 hatte ihr Gatte Christian Danneskiold-Samsøe den dänischen König um eine Erlaubnis für den Bau einer Glasbläserei in Holmegaard Mose ersucht. Der Graf jedoch verstarb noch im gleichen Jahr, ohne die Einwilligung des Königs erhalten zu haben. Als die königliche Erlaubnis kam, setzte seine Witwe sein Vorhaben in die Tat um und ließ die Glashütte in der Nähe des Holmegaard Hochmoors errichten, da es dort genügen Brennstoff – Torf – gab, um die Schmelzöfen dauerhaft beheizen zu können.
1825 begann die Glasproduktion in Holmegaard. Am Anfang stellten die vier Glasmacher vor allem Flaschen und Gläser aus Grünglas her. 1839 – 14 Jahre später – waren bereits 150 Glasmacher bei Holmegaard tätig, die auf Wunsch der Gräfin Henriette jetzt auch Klarglas nach böhmischem Vorbild produzierten. Längst ähnelte die Glashütte einem eigenem Gemeinwesen: Es gab Arbeiterwohnungen, eine firmeninterne Landwirtschaft und eine eigene Schule.
Mit dem 20. Jahrhundert erhielt eine neue Firmenphilosophie Einzug bei Holmegaard: Die Überhöhung des Alltags durch Design prägt seitdem das Schaffen. 1906 wurde als erstes Designobjekt die Weinglasserie „Margarethe“ von Svend Hammershøi auf den Markt gebracht – und blieb 40 Jahre lang ein Bestseller. 1923 holte Holmegaard Jacob Eiler Bang als ersten Designer fest ins Haus.
Zu den großen Meistern jener Zeit gehörten auch Oluf Jensen und Orla Juuhl Nielsen. Heute geben Per Lütken, Torben Jørgensen, Verner Panton, Michael Bang und Rikke Hansen dem Holmegaard Glas seine unverwechselbare Handschrift. Ihre schönsten Stücke stehen neben den Exponaten der mehr als 180-jährigen Firmengeschichte im Glasmuseum, das sich an die Besichtigung der Produktion anschließt.
Ausgestellt ist hier auch die einstige Hochzeitkapelle der böhmischen Glasbläser, die, da sie anders als die Dänen katholisch waren, auf Holmegard ihre eigene St. Franziskuskapelle für ihre Trauungen erhalten hatten.
Ein abgedunkeltes, fantasievolles Glaslabyrinth beendet den Rundgang durch das 15.000 qm große Erlebnismuseum von Holmegaard, das seit Juni 2007 auch den Durst der Besucher stilgerecht stillen kann: im Holmegaard Bryghaus, einer gemütlichen Hausbrauerei in einer alten Schmiede von 1885. In ihren glänzenden Kupferkesseln kann Peer Holgersen in einem Durchgang 1000 l Bier brauen – das goldene Holmegaard Lager, das mahagonifarbene Holmegaard 1825 Classic und ein kühles, leichtes Summer Ale.
Gezapft wird der Gerstensaft ins „Det Danske Ølglas“, das Holmegaard im Jahr 2004 in Zusammenarbeit mit der Foreningen Danske Ølentusiaster auf den Markt gebracht hatte – in Erinnerung an das berühmte Bierglas „Hogla“ (1923) von Jacob E. Bang.
Dieser Beitrag wurde im Herbst 2007 als Auftragsarbeit für den Reportagedienst von Visit Denmark verfasst und von zahlreichen Medien im deutschsprachigen Raum abgedruckt.
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