Die Karriere der Kakao-Bohnen

“Langsam auf der Zunge zergehen lassen und bitte nicht beißen”, rät die “Maitresse Chocolatiere”. Kühl und glatt gleitet die Schokolade auf die Zunge. Ein paar Sekunden nur, dann beginnt das Stück zu schmelzen und gibt im Mund einen Strauß voller Aromen frei. Keine klebrige Süße, sondern einen Hauch von Vanille, Malz und roten Beeren. Der zarte Schmelz kleidet den Gaumen wie Samt und Seide aus.

Der Geschmack hält auch dann noch an, wenn der Mund längst wieder leer ist. Zur Degustation wird Wasser gereicht. Und danach ein Täfelchen Porcelana. Trotz 70 Prozent Kakaoanteil ist die Tafel fast so hell wie Milchschokolade. Die Geschmacksknospen melden weiße Blüten, Edelhölzer, Oliven, geröstete Mandeln. Und dies alles in einem Stück Schokolade.

Die Welt auserlesener Schokoladen findet sich im kleinen toskanischen Städtchen Pontedera. Im Hinterland von Pisa entsteht eine der besten Schokoladen weltweit. Cecilia Tessieri gehört zu der jungen Chocolatier-Generation, die von der Massenware zum edlen Luxusprodukt zurückgekehrt sind.

“Alles, was wir heute wissen, mussten wir uns selbst beibringen”, erzählt die 41-Jährige. Sie eignete sich die Technik an, ihr Bruder Alessio begann nach Pflanzungen zu suchen, in denen nach Qualität und nicht Quantität produziert wird. Die Suche nach den feinsten Kakao-Bohnen führte das kleine Familienunternehmen bis ans andere Ende der Welt: in das kleine Dorf Chuao in Venezuela. Dort wächst die Criollo, eine der seltensten und teuersten Kakao-Bohnen.

“Wir arbeiten wie die toskanischen Winzer, sagt Alessio, der die Firme Amedei mit aufgebaut hat. “Der Kakao ist wie eine Weintraube, eine eigene Plantage ist wie ein eigener Weinberg.” Die Berufung zum Dolce Vita liegt in der Familie.  Vater Tessieri belieferte als Großhändler für Süßwaren die Feinbäckereien mit kandierten Früchten und Mandeln aus Sizilien und mit Haselnüssen aus dem Piemont.

Von Großmutter Vendica Amedei, mittlerweile 88, stammt die Leidenschaft für Edles. Sie ließ sich jahrzehntelang die besten Tafeln und Pralinen aus Belgien, Frankreich und der Schweiz schicken. Ausgerechnet in Italien, wo im 18. Jahrhundert die ersten Kakao-Trinkstuben eröffnet wurden, lag die Schokoladenkultur am Boden. Die pompöse Verpackung war das Wichtigste, der Inhalt minderwertig, erinnern sich die Geschwister mit Grausen an billige Industrieschokolade und drittklassige Pralinen. Aber das musste ja nicht so bleiben.

Die Geschwister hängten ihr Wirtschafts- und Jurastudium an den Nagel und widmeten sich dem Geheimnis der Schokoladenmanufaktur. 1990 entdeckten sie eine ehemalige Eisengießerei in La Rotta, einem Flecken bei Pontedera. Dort entstand der Firmensitz der Manufaktur Amedei.

Fünf Jahre lang rührte Cecilia, verkostete, entwarf, mischte neu – bis die erste Schokolade in den Verkauf kam: Toscana Black, ihre erstes Meisterstück aus Criollo-Bohnen, die als feinste Edelbitterschokolade ausgezeichnet wurde.

Dieser Beitrag wurde in Nr. 44/2010 des Rheinischen Merkurs in der Rubrik “Hin und Weg” des Ressorts “Lebensart” veröffentlicht.

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