Kiel und seine Förde: Aufbruch an der Waterkant

Sailing City Kiel: In der Landeshauptstadt dreht sich alles um große und kleine Pötte. Auf ihrer Förde schippern riesige Fähren gegen Skandinavien, messen sich Segel-Cracks aus aller Welt bei der Kieler Woche, werden am Ufer Visionen für neues Wohnen und (Er-) Leben Wirklichkeit. Auf dem Nord-Ostsee-Kanal gleiten Container-Riesen und Luxusliner durch ein sanft gewelltes Hinterland, das mit drei Naturparks lockt.

Die Vision ist klar: Kiel soll eine soziale, kinderfreundliche, kreative und innovative Klimaschutzstadt sein. Mit dem Integrierte Stadtentwicklungskonzept Kiel (INSEKK) als Leitlinie der künftigen Stadtentwicklung gaben die Ratsherren im Februar 2011 den Stadtschuss zu einem Strukturwandel, der die Landeshauptstadt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten völlig verändern wird.

Innenstadt am Wasser

Überall wird gebaut und gebaggert, um die in die Jahre gekommene Innenstadt aufzuwerten und stärker an die Förde anzubinden. Am Schlossplatz wird der Konzertsaal fit gemacht für die Zukunft, an der Förde das Schifffahrtsmuseum um- und ausgebaut, die Laufstrecke Holstenplatz – Holstenstraße aufgehübscht.

Doch das Schönste der gelifteten Innenstadt wird eine maritime Oase sein, die sich die selbst ernannte Sailing City Kiel schenkt: der Kleine Kiel Kanal, eine neue, 200 m lange Wasserverbindung zwischen dem Kleinen Kiel und dem Bootshafen – mit Treppen zum Sitzen für Sehleute, die die ersten Segelversuche vom Nachwuchs im Opti verfolgen, während Kreuzfahrtschiffe und Skandinavienfähren auf der Förde vorbei ziehen.

Die Kieler Innenstadt erstreckt sich auf dem Westufer der Förde. Ans Ostufer verirrte sich Jahrzehnte lang kaum ein Passant. Dort lagen die Werften, brummte der Hafen, arbeiteten Industriebetriebe.

Nun hat auch dieses Gebiet ein globaler Trend erfasst, der in den 1980er-Jahren begann, Hamburg die HafenCity bescherte, Lübeck auf ein neues Leben auf der Wallhalbinsel hoffen lässt und in Kiel Kai-City heißt: Waterfront Development – die Revitalisierung ehemaliger Hafen- und Industrieflächen für Gewerbe, Arbeit und Freizeit.

Saniert und erschlossen sind die 25 Hektar am Germania-Hafenbecken der Innenförde bereits seit Jahren, und zur Jahrtausendwende glaubten sich die Wirtschaftsförderer bereits am Ziel. Doch dann überraschte sie die Finanzkrise, und sicher geglaubte Projekte platzten.

Heute hat die Neuentwicklung an der Hörn wieder Fahrt aufgenommen, schließen sich die Baulücken zusehends. Für maritimes Flair im neuen Viertel sorgen ein Museumshafen, in dem alte Schiffe instandgesetzt werden, und sanierte Hafengebäude wie die Halle 400, die die Howaldts Werke Deutsche Werft (HDW) 1838/39 für ihre Kupferschmiede, Zinnerei sowie Kompressor- und Motoren-Werkstätten für den Schiffsbedarf mit einem Eisenbetonskelett errichtete, damals eine Innovation.

Umgebaut und saniert, ist die Halle, in der bis 1989 auch U-Boote vom Stapel liefen, seit 2002 ein Veranstaltungszentrum, in dem die Tattoo Convention Kunst zeigt, die unter die Haut geht, Firmen bei „Gans & Tanz“ mit ihren Mitarbeitern Weihnachten feiern, Comedians wie Atze Schröder das Publikum begeistern und Fachschaften der Uni ausgelassen bei Semester Opening Partys abhotten.

Sonntags pilgert Kiel von 11.00 – 14.00 Uhr zum Brunch ins Fuego del Sur. Das argentinische Restaurant der Halle 400 besitzt die zweitgrößte Außengastronomie der Stadt mit traumhaftem Blick auf die Hörn. Seit 1997 verbindet dort die zierliche Hörnbrücke für Fußgänger, die sich bei Schiffsverkehr faltet, das Hafenviertel mit der Innenstadt.

Etwas länger, aber nicht minder schön ist der Weg auf der neuen Uferpromenade um die Hörn. Nördlich des Germaniahafens sollen in den nächsten Jahren Wohnungen und Läden gebaut werden in Höfen, die sich zum Wasser öffnen. Auch weiter die Förde hinauf ist Kiel vom Wertewandel an der Waterkant erfasst.

Dort, wo die Schwentine in die Förde mündet, wurden die historischen Brücken wieder Schmuckstücke, wandelte sich der schmuddelige Lunaplatz zum grünen Balkon, die Uferstraßen zu Wanderwegen mit Weitblick. Und auch für die von der Bundesmarine verlassenen Areale gibt es nicht nur Pläne und Projekte, sondern auch erste Erfolge.

Wie in Wik und Holtenau, wo in ehemaligen Mariengebäuden nachbarschaftliches Wohnen einzog und das ehemalige Marinelazarett als Atelierhaus im Anscharpark heute freischaffenden Künstlern 13 Ateliers und Ausstellungsräume bietet.

Möglich werden die Infrastruktur- und Bauprojekte durch den Boom der Ostseeregion, der mit dem Fall des eisernen Vorhanges begann und durch die EU-Beitritte von Polen und der baltischen Länder sowie der Mitgliedschaft Russlands in der World Trade Organisation neue Impulse erhalten hat.

Die politischen Veränderungen gaben Kiel – wie auch Lübeck – einen Wirtschaftsraum zurück, mit dem beide Städten seit Jahrhunderten nicht nur gehandelt, sondern sich auch kulturell ausgetauscht und befruchtet haben. 1994 bis 2008 agierte Kiel als Wirtschaftsstandort dort nicht mehr allein, sondern hatte sich mit den Kreisen Rendsburg-Eckernförde und Plön und der kreisfreien Stadt Neumünster zur Technologie-Region K.E.R.N. zusammengeschlossen. Mit 700.000 Einwohner war sie Heimat eines Viertels der Bevölkerung des nördlichsten Bundeslandes.

Schiffe auf der grünen Wiese

Kiel ist der nordöstliche Endpunkt des Nord-Ostsee-Kanals, der seit Juni 1895 Kreuzfahrtlinern, Containerriesen, Schuten und Segelbooten den 900 km längeren Weg um Jütland erspart. Rund 40.000 Schiffe passieren jedes Jahr in sieben bis neun Stunden die nur ein Zehntel so lange Abkürzung.

Rund um die Uhr gleiten sie durch die beiden Doppelschleusen, die bei Kiel-Holtenau und Brunsbüttel an der Elbmündung den Tidenhub von fünf Metern ausgleichen. Als ihre Schleusenwärter 2013 streikten, legten sie mit einem Schlag die Wirtschaft von zwei Bundesländern lahm – denn jeder dritte Container, der in Hamburg abgeladen wird, reist auf kleinen Feeder-Schiffen durch den Kanal weiter nach Osteuropa.

Ihr Streik jedoch erzielte die gewünschte Wirkung: Seitdem werden die Schleusen am Kanal bei laufendem Betrieb saniert. 375 Millionen Euro ließ der Bund für eine große fünfte Schleusenkammer bei Brunsbüttel springen, durch die ab 2020/21 die großen Pötte passieren können, damit danach die alten Doppelschleusen ganz in Ruhe saniert werden können. Bei der nicht ganz ungefährlichen Passage durch den Kanal hilft Hightech.

Die Kapitäne aus aller Welt berechnen die optimale Route längst am Rechner und lassen ihren Kahn von Computer und GPS steuern. Nähern sich zwei Riesen, wartet ein Schiff in einer der Parkbuchten am Kanal. Am Ufer folgt die NOK-Radroute als Teil der 250 km langen deutschen Fährstraße von Kiel bis nach Bremervörde an der Oste der Parade der schwimmenden Giganten.

43 km hinter Kiel erreichen sie in Rendsburg ein Wahrzeichen, das 2013 sein 100-jähriges Bestehen feierte: die Rendsburger Hochbrücke, eine imposante eiserne Lady, 42 m hoch und 16.700 Tonnen schwer. Unter ihr hängt an langen Stahlseilen eine kleine, weiße Schwebefähre, die seit 1913 zwischen Rendsburg und dem südlichen Oberrönfeld hin- und her pendelt.

Berge mit Knick

Während die Radroute entlang des Kanals sich familienfreundlich flach zeigt, ist nur wenige Kilometer nördlich vom Kanal im Naturpark Hüttener Berge Kondition gefragt. Fast 106 m hoch schwingt sich der Scheelsberg dort auf  – und macht die Hüttener Berge zu Deutschlands nördlichsten Höhenzug über 100 Meter.

Berühmter ist jedoch die Nummer drei dieser Minibergwelt zwischen Kiel-Kanal und Eckernförde: der Aschberg, der von seinem 97 m hohen Gipfel Ausblicke auf eine Landschaft voller Knicks eröffnet, Wallhecken, die mehre Meter hoch die Felder vor äolischer Erosion schützen.

Angelegt wurden die Knicks als natürlicher Windschutz immer nach dem kleinen Bauprinzip: Ein kleiner, rund ein Meter hoher Wall aus Feldsteinen und Erde wurde mit Haselnuss, Birke, Schwarzerle und anderen strauchartigen Gehölzen bepflanzt, der restliche Bewuchs dem Samenflug der Natur überlassen.

Um die Höhe der Hecken zu begrenzen, wurden Äste, Sträucher und junge Bäume regelmäßig geknickt – daher der Name. Damit  Rehe, Schafe, Kühe oder anderes Vieh nicht die grüne Wand abfraßen, pflanzten die findigen Bauern Dorniges hinein – Heckenrosen, Brombeeren und Schlehdorn.

Von den 80.000 Kilometern Knick, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Schleswig-Holstein vorhanden waren, sind heute nur noch rund 46.000 Kilometer erhalten. Flurbereinigung, Industrialisierung und größeres landwirtschaftliches Gerät haben die Knicks so stark dezimiert, das inzwischen ein Umdenken eingesetzt hat. In Gegenden, wo Knicks landschaftsprägend sind, schreibt das Landesnaturschutzgesetz heute eine Knickdichte von 60 laufenden Metern je Hektar vor.

Die Tierwelt atmet auf, leben doch auf einem Kilometer Knick rund 1.800 Arten. Besonders Neuntöter, Dorngrasmücke und Goldammer haben in Knicks ihre Heimat – ihre anderen natürlichen Lebensräume sind längst meist zerstört.

Das härteste Ruder-Rennen der Welt

Jedes Jahr im September trifft sich die internationale Elite des Rudersports zum härtesten und längsten Ruderrennen der Welt in Rendsburg. Austragungsort ist die meist befahrene Schifffahrtsstraße der Welt: der Nord-Ostsee-Kanal.

Seit der Jahrtausendwende endet dort die Rudersaison mit einem sportlichen Großereignis, das Achter-Teams aus aller Welt und Hunderttausende Zuschauer an den Kiel Canal, wie der Nord-Ostsee-Kanal international genannt wird, lockt: der Hanse Cup. Gerudert wird über eine Distanz von 12,7 Kilometer.

Der Startschuss fällt in Breiholz. Vorbei an der Lotsenstation Rüsterbergen und der Weiche Schülp wird von Kilometer 50 bis 60,725 gerudert, so schnell es geht – mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 20 Kilometern pro Stunde. Ziel ist die Eisenbahnhochbrücke in Rendsburg. 2013 siegte mit einer Zeit von 36:34,31 ein Team, das seit zehn Jahren die begehrte Trophäe ergattert.

Der Deutschland-Achter mit Steuermann Martin Sauer glitt vor den National-Achtern aus den USA, Großbritannien und Polen über die Ziellinie. Beim größten Rudersportfest in Deutschlands sind nicht nur spannende Wettkämpfe garantiert, sondern auch gute Unterhaltung.

Auf der Bühne unterhalb der Rendsburger Hochbrücke sorgen norddeutsche Bands und Gastmusiker für beste Partystimmung, auf der Hafenmeile wird open-air geschlemmt und geschwoft, während im Rendsburger Kreishafen längst ein zweiter Wettbewerb begonnen hat: der Drachenboot Fun Cup.

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DMBA-Ostsee-Schleswig-HolsteinDuMont-Bildatlas Ostseeküste Schleswig-Hostein

Deutschland hat viele reizvolle Landschaften. Eine besonders schöne versteckt sich im hohen Norden. Wer Sonne und Meerluft genießen möchte, wer Gefallen findet an endlosen Stränden und hübschen Promenaden, und wem auch gelegentlich schlechtes Wetter nichts ausmacht, der hier an der Ostsee genau richtig aufgehoben.

An Regentagen kommt keine Langeweile auf, denn auch die Städte haben viel zu bieten: interessante Museen, schöne Lokale, Flair und historische Bauten – allein in Lübeck stehen mehr als 3000 Bürgerhäuser. Die Altstadt ist Weltkulturerbe.

Die Bilder der Fotografin Sabine Lubenow zeigen faszinierende Panoramen und ungewöhnliche Nahaufnahmen. Ich gebe in sechs Kapitel, gegliedert nach regionalen Gesichtspunkten, einen Überblick über die maritime Region. Zu jedem Kapitel gehören Hintergrundreportagen, Aktivtipps und Specials, die aktuelle und interessante Themen aufgreifen. Wer mag, kann mein Werk hier* online bestellen.

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