2017 feiert Kanada 150 Jahre der Konföderation. Montreal kann da nur charmant lächeln: Die Vorzeigestadt der Provinz Québec lässt in diesem Jahr ihr 375-jähriges Bestehen hochleben. Nach Jahren der Krise boomt die zweitgrößte französischsprachige Stadt der Welt wieder und macht Vancouver als eine der lebenswertesten Städte der Welt Konkurrenz.
Kalt ist die Luft, frisch und würzig. Bereits hinter der Hoteltür steigt das Terrain leicht an. Höhenmeter um Höhenmeter erklimmt die Straße, weicht einem Kiesweg. Die ersten Sonnenstrahlen scheinen durch die Wipfel und verwandeln die Blätter in ein Kaleidoskop leuchtender Farben. Nach drei Kilometern ist der Mont-Royal erreicht. Im Uhrzeigersinn führt die GPS-markierte Joggingroute um das Hochplateau hin zum Belvédère du Châlet – was für eine Aussicht über die Vier-Millionen-Metropole Montreal!
Gegründet wurde sie 1642 auf einer 50 km langen Insel im Sankt-Lorenz-Strom. Sechs Jahrzehnte bekämpften die französischen Siedler die Irokesen; erst 1701 wurde Frieden geschlossen. Montreal blühte als Pelzhandelsstation und letzter Hafen am Strom auf. Oberhalb behinderten Stromschnellen den Schiffsverkehr. Sie heißen bis heute Lachine – Kanada-Entdecker Jacques Cartier war fest überzeug, dass hinter ihnen China läge. In den 1960er-Jahren wurde ein neuer Binnenhafen errichtet – heute der wichtigste Getreide-Umschlagsplatz in Nordamerika. Mehr noch: mit einem Umschlag von mehr als 30 Millionen Tonnen gehört der Port of Montreal heute zu den größten der Welt.
Alles ist vernetzt
Der alte Hafen (Vieux Port) wurde 1992 für den Tourismus revitalisiert. Heute ist er der wichtigster touristischer Hotspot der Metropole und Bühne von Mega-Events wie dem Festival International de Jazz de Montréal, dem größten Jazzfest der Welt. Sechs Millionen Besucher bummeln hier jährlich in der Rue de la Commerce vorbei an klassizistischem Prunk und denkmalgeschützten Kolonialbauten zur Place Jacques Cartier mit ihren Terrassencafés, Straßenkünstlern, Open-Air-Galeristen und Kunsthandwerkern. In den Hafenbecken rasen sie mit Jet-Skis um Mega-Jachten, im Hafenspeicher sorgt ein Irrgarten, an der Kaikante ein Kletterpark für Kicks – die Zip Line saust über das Wasser!
Wer tiefer in die Geschichte des Alten Hafens einsteigen will, lädt sich kostenfrei im städtischen WLAN-Netz die fiktive Familiengeschichte des Hafenarbeiters Rob Bordeleau mit zwölf zwei- bis dreiminütigen Videoclips aufs Handy. Immer und überall online gehört zu den Visionen Montreals, die Denis Coderre seit 2011 mit dem Smart and Digital City Action Plan voran treibt. „Der nachhaltige Umbau von Montreal berührt alle Lebensbereiche und alle Generationen“, betont der Bürgermeister.
Öffentliches WLAN, intelligente Mobilität und digitale öffentliche Dienste sind nur einige der 70 städtischen Projekte in sechs Handlungsfeldern, die das Bureau de la ville intelligente et numérique (BVIN) bis 2019 umsetzen soll. 23 Millionen kanadische Dollar werden investiert, rund 15,6 Millionen Euro. „All diese Dinge greifen ineinander und machen Montreal zu einem der größten digitalen Ökosysteme“, sagt Harout Chitilian, verantwortlich für den intelligenten Umbau der Stadt.
Viertwichtigsten Standort der Luftfahrtindustrie
Die Arbeitslosenquote, die im Zuge der Finanzkrise auf 8,5 Prozent hochgeschnellt war, ist bereits wieder auf 7,1 Prozent gesunken, und auch die Industrie hat wieder an Fahrt aufgenommen: Bombardier, Bell Helicopter, Pratt & Whitney und rund 200 Zulieferer machen Montreal zum viertwichtigsten Standort der Luftfahrtindustrie. Papier und Pharma, Erdöl, Holz und Erze prägen die Produktion. Rio Tinto ist mit der Aluminiumherstellung ein Schwergewicht. Dennoch nimmt die Industrie nur noch 26 Prozent im Branchenmix ein – 72 Prozent decken Dienstleistung und Handel ab, gerade mal zwei Prozent auf den landwirtschaftlichen Sektor.
Der Himmel über Montreal riecht jedoch noch immer nach Hopfen und Malz. Und erinnert daran, dass Kanadas größte und älteste Brauerei ihr Bier seit 1800 am gleichen Standort am Ufer des Sankt-Lorenz-Stromes braut.
Luxus – über und unter der Erde
Überall in Montreal wird gebaut und gebuddelt. Einbahnstraßen, Busspuren, Fahrradwege und verkehrsberuhigte Gebiete drängen den Individualverkehr immer stärker zurück – und verbessern die einst chronisch schlechte Luft. Dafür sorgen auch grüne Wände und Dachgärten, auf denen Technobauern mit High-Tech-Wissen und altem Saatgut mitten in der Stadt frisches Obst und gesundes Gemüse anbauen. Das freut auch die Gastronomen: Sie stellen immer mehr Stühle und Tische auf die Gehwege. Bunt, vielfältig und mutig ist die Restaurantszene in den letzten Jahren geworden – besonders am Boulevard Saint-Laurent, rund um die McGill-Universität und im Mont-Royal-Viertel, wo kreative Köche wie David Ferguson in kleinen Bistros wie dem Gus französische Kochkunst kanadisch kreativ neu interpretieren. Mit Austern von der Île-du-Prince-Édouard, Tartar vom Pferd, Lamm und Kalb.
40 grüne Stadtentwicklungsprojekte setzt Montreal mitten im Jubiläumsjahr um, gestaltet Wohnviertel nachhaltig, begrünt Promenaden und Ortseingänge und legt neue Parks an. Immer grüner sind auch die Hochhaustürme mit Glas und Stahl, die in Montreal in den Himmel wachsen. Doch keiner darf, das schreibt die Bauordnung der Stadt vor, den stadtbildprägenden Mont-Royal (233 Meter) übertreffen.
Investiert wird daher am liebsten in der Innenstadt und rund um den alten Hafen, den Vieux Port. Seit Ende der Finanzkrise ist Montreal besonders in den Fokus von Hotelketten aus den USA geraten. Bislang dominierten dort neben großen kanadische Ketten inhabergeführten Häuser. Bereits in diesem Sommer will direkt neben dem Kongresszentrum in einem 20 Stockwerke hohen Turm das Hôtel Monville mit 269 Zimmern eröffnen. Spätsommer 2017 lautet die Zielgerade von Jason Pomeranc, Michael Pomeranc und Lawrence Pomeranc. Die Gründer der Luxuskette SIXTY wollen dann ihr erstes edles Lifestyle-Boutiquehotel außerhalb der Vereinigten Staaten in Montreal eröffnen – mit 120 Zimmer, 70 Residenzen und Dachpool im innerstädtischen Kulturviertel „Quartier des Spectacles“.
Ende 2017 soll das erste AC Marriott auf kanadischem Boden mit 166 Zimmern folgen. Der Hotel wird die untersten zwölf Etagen eines 37-stöckigen neuen Büroturmes am Boulevard René-Lévesque, Ecke Rue Jeanne-Mance, einnehmen. Und auch an der Rue Ste-Catherine, wo die Birks Group Inc. ab 1894 edle Juwelen in blauen Boxen verkaufte, eröffnet 2018 eine luxuriöses Lifestyle-Herberge: das Birks, ein Boutique-Hotel im wortwörtlichen Sinne. Denn das Schmuckgeschäft wird, wie auch ein Bistro, in das 120-Zimmer-Hotel integriert. „Das Birks wird die neue Adresse für Luxus und Kunst“, sagt Eigentümer und CEO Jean Salette, der in Montreal bereits das Hôtel Le Saint-Martin betreibt.
Ende 2018 will auch die kanadische Hotelkette Four Seasons nach Montreal zurückkehren – mit 163 Zimmern ab 600 CA$ pro Nacht – rund 407 Euro – und Ballsaal für 400 Gäste an der Einkaufsmeile Rue Sainte-Catherine mit ihren 1200 Händlern. Mit 18 Stockwerken dockt die neue Four Seasons-Nobelherberge an das traditionsreichste Luxuskaufhaus von Montreal an, die Maison Ogilvy. Auch unterhalb der Erde ist das Shoppingangebot nahezu grenzenlos: in der Ville Souterraine, die sich mit 32 Kilometern Gängen voller Einkaufspassagen und 2000 Läden, hunderten Restaurants und Cafes, 40 Kinos, Theater und Konzertsälen und anderen Freizeiteinrichtungen zwischen den Metrostationen Peel, McGill und Bonaventure erstreckt.
Mehr als nur ein Hotel
Neue Hotelangebote sind dringend notwendig, sagt Immobilien-Entwickler COGIR. „Die Stadt hat in den letzten fünf Jahren wegen Schließungen und Umbauten Tausende Betten verloren!“ betont ihr Präsident Mathieu Duguay. Fast 320.000 Betten waren es noch 2012; nur 231.790 Betten zählte die Stadt am 31.12.2016.
Gemeinsam mit dem FTQ, der Immobiliensparte des Fonds de Solidarité FTQ, errichtet COGIR bis 2019 am Gelenk zwischen Altstadt und Innenstadt für 200 Mio. CA$ ein „für Kanada einmaliges Projekt“: einen 39 Stockwerke hohen Komplex mit 200 Hotelzimmern, 140 Condos, 335 Mietwohnungen, 70.000 qm Bürofläche, 20.000 qm Einzelhandel, Tiefgarage, eCar-Sharing und Swimmingpool. Als Humaniti will der ungewöhnliche Multifunktionskomplex zwischen den Straßen Viger, de Bleury, de la Gauchetière und Hermine Street im Frühjahr 2020 eröffnen.
10,2 Millionen Menschen besuchten Montreal 2016 – und spülten 3,3 Mio. CA$ (ca. 2,24 Mio. Euro) in die Kassen der Boomtown. Inländische Besucher (6,5 Mio.) dominieren. Noch. Doch der schwache Dollar lockt immer mehr Amerikaner nach Kanada, die froh sind, dass in Montreal auch Englisch verstanden wird. Sie stellten 2016 bereits ein Fünftel der Besucher (1,9 Mio.).
Geradezu explodiert ist seit der Aufnahme der Flugverbindung Montreal – Peking mit Air China am 29. September 2015 die Zahl der Gäste aus Fernost (2016: +204,5%). In Europa ist Deutschland (+18,2 %) der am stärksten wachsende Quellmarkt vor Spanien (+ 16,9 %) und den französischsprachigen Zonen in Frankreich, Belgien und der Schweiz- (+ 8,8 %).
Wachstum in allen Bereichen
Die Übernachtungszahlen stiegen im vergangenen Jahr um +3,5 Prozent, und das trotz gestiegener Zimmerpreise (+7,8 %). Zur Hochsaison im Juni klettern sie auf durchschnittlich 194,40 CA$ (131,60 Euro) – im Januar erreichen sie ihren Tiefstand mit 139,65 CA$ (94,50).
Analog verläuft die Auslastung. Von Juli bis September ist Montreal nahezu ausgebucht (88 – 90 %), im Januar sind die Häuser halbleer (51 %). Im Jahresdurchschnitt liegt die Bettenauslastung in Montreal mit 74,31 Prozent dennoch deutlich über Hamburg (2016: 60,2%), Berlin (2016: 61,0 %) und dem deutschen Bundesdurchschnitt von knapp 70 Prozent.
Von Rekord zu Rekord entwickelt sich in Montreal der MICE-Bereich. Seit sechs Jahren ist die Metropole die unangefochtene Nummer eins in Nordamerika. Montreal schlägt New York bei internationalen Events und Kongressen New York um 43 Prozent, Washington sogar um 59 Prozent, so das Jahrbuch 2016 der Union des Associations Internationales (UAI). Allein der Palais de Congrès ist 2017 Gastgeber von 210 MICE-Events mit mehr als 750.000 Teilnehmern.
Insgesamt legte Montreal beim Business Travel um 10,5 Prozent im vergangenen Jahr zu. Als eine der wichtigsten Wirtschaftssäulen der Stadt sichert der Tourismus rund 38.600 Vollzeit und 1,4 Mio. Teilzeitarbeitsplätze. Eine starke US-Wirtschaft, ein schwacher Kanada-Dollar, solides Wirtschaftswachstum und vergleichbar günstige Lebenshaltungskosten: „Montreals Aufstieg hat gerade erst begonnen“, ist sich Bürgermeister Coderre sicher. Und Analysten wie Joëlle Noreau von Desjardins bestätigen seinen Optimismus mit immer neuen, positiven Zahlen.
Montreal: Daten und Fakten
Visum
Kanada fordert seit Sommer 2016 für die Einreise eine Eletronic Travel Authority (eTA), die online gegen Zahlung von 7 CA$ auf www.cic.gc.ca/english/visit/eta.asp beantragt werden kann – die Erteilung erfolgt meist nach wenigen Minuten. Über Zoll-Freimengen für Privatreisende und Erleichterungen im geschäftlichen Warenverkehr dank des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) informiert das Bundesamt für Finanzen auf www.zoll.de.
Reisen nach Montreal
Der Montréal Pierre Elliott Trudeau International Airport (YUL; www.admtl.com) liegt rund 20 km westlich des Stadtzentrums. Er ist mit fast 13 Millionen Passagieren der wichtigste Flughafen der Provinz Québec, Nummer drei in Kanada sowie zentrales Drehkreuz von Kanadas größter Fluggesellschaft Air Canada, die hier ihren Hauptsitz hat. Montreal wird mehrmals täglich u. a. von Lufthansa/Air Canada, British Airways, Air France/KLM, Swiss, United und Delta angeflogen.
Reisen vor Ort
Die schnellste Verbindung in die City bietet 24/7 der Flughafen Express Bus 747, der wie das U-Bahn-Netz, die Busse und die Sammeltaxis (taxis collectifs) von der Société de transport de Montréal (STM; www.stm.info) betrieben wird. Airport-Shuttle und Off-Peak-Tageskarten (ab 10 Uhr) kosten 10 CA$ (6,80 Euro), ein Einzelticket 3,25 CA$ (2,20). Das Metronetz umfasst vier Linien mit 68 Stationen und wird bis 2020 ausgebaut. Sämtliche ÖPNV-Infos bündelt die App „Métro Montreal“. Taxifahrer nutzen die mangelnde Ortskenntnis ihrer Gäste gerne für Umwege, um die Einnahmen zu steigern. Die offiziellen Tarife gibt es hier: http://ville.montreal.qc.ca. Die Fahrt vom Airport in die City ist auf 40 CA$ /27 Euro) festgelegt, zwischen Airport und Kreuzfahrtterminal auf 53 CA$ (36 Euro). BIXI (https://montreal.bixi.com) ist mit 5.200 Rädern und 460 Stationen Nordamerikas größtes Bike-Sharing-System. Autofahren empfiehlt sich nicht, der Straßenzustand ist schlecht, Baustellen, gesperrte Straßen (routes barrées) und Einbahnstraßen gibt es zuhauf, Parkplätze sind selten und teuer.
Black-out Dates
Am 24. Juni feiert Québec seinen Nationalfeiertag, am 1. Juli folgt Kanada. Den Tag der Arbeit begeht das ganze Land am 4. September. Ab Ende Juni feiert Montreal jährlich zwei Wochen lang das weltgrößte Jazzfestival mit mehr als 3.000 Künstlern (www.montrealjazzfest.com). Alle Termine und Events zum Stadtjubiläum gibt es auf www.375mtl.com.
Sicherheit
Im Sommer ist die Stadt bei 25 bis 28°C ein schwül-warmer Backofen, im Winter versinkt sie bei bis zu -35°C im Schnee. Akkurate Infos gibt die App des Weather Channel. Montreal gilt als sichere Großstadt; nachts sollte man jedoch man Notre Dame Quest, Verduns Wellington Street, Charlevoix und Montreals Norden meiden.
Steuern/Trinkgelder
In Québec sind alle Preise netto. Hinzu kommen 6% Bundes-Mehrwertsteuer (TPS) sowie 7.5% Mehrwertsteuer der Provinz (TVQ). In Restaurants und Bars, beim Frisör und der Taxifahrt sind 15 Prozent Trinkgeld üblich – und werden erwartet.
Dieser Beitrag ist im September 2017 im HRS-Kundenmagazin “Der Hotelexperte” erschienen.