Riesengebirge: Unterwegs in Rübezahls Reichs

Früher machte es dem Schwarzwald als beliebteste Landschaft Konkurrenz: das Riesengebirge. Goethe biwakierte auf dem höchsten Gipfel, der Romantiker David Friedrich malte Rübezahls Reich in vielen Variationen, und Theodor Fontane schrieb begeistert “Die Welt ist aus dem Engen heraus, und man hat keine andere Heimath mehr als die Erde…”

Heute ist das kleine Grenzgebirge zwischen Tschechien und Polen nicht nur das größte zusammenhängende, sondern auch das meistbesuchte Naturschutzgebiet Europas. Bestehend aus dem Schlesischen Kamm, auch Grenzkamm genannt, dem Böhmischen oder Inneren Kamm und den Gebirgstälern Elb- und Weihwassergrund wurde das Riesengebirge im polnischen Teil 1958 Nationalpark. Tschechien zog 1963 nach. 1992 wurden beide Nationalparke mit einer Gesamtgröße von 430 Quadratkilometern von der UNESCO in die Liste der Biosphärenreservate aufgenommen.

Unterwegs im Riesengebirge: Aufstieg zur Schneekoppe
Unterwegs im Riesengebirge: Aufstieg zur Schneekoppe

Im westlichen Zipfel liegt Harrachsdorf (Harrachov), das lange vor der Ära der Skiflieger durch die Glasherstellung weit über die Grenzen Böhmens hinaus Weltruf gewonnen hatte. So kann heute die Glasfabrik Novosad & syn als älteste Schleiferei der Welt im Museum kostbare Trinkgläser, Kronleuchter, Glocken und andere Objekte aus Glas präsentieren.

Kaum ein Besucher verlässt Harrachsdorf ohne eine Wanderung ins Mummel (Mumlava)-Tal. Mit ungeheurer Kraft strömt die Mummel oberhalb der Stadt zu Tal. Ihr Bachbett: eine glatte Granitsohle. Durch enorme Kraft des Wassers entstanden nicht nur ein Wasserfall und Kaskaden, sondern auch gewaltige “Teufelsaugen” – Strudeltöpfe, die zu den größten und tiefsten Tschechiens zählen.

In der Kleinstadt Rochlitz/Iser (Rokytnice nad Jizerou) begann einst der Böhmische Weg, der vorbei an den Elbwiesen nach Schlesien führte. Am 19. September 1684 stieg dort der Zug des Königgrätzer Bischofs Christoph von Talenburg zur Elbwiese empor, um die Elbquelle zu weihen.

Riesengebirge/Elbe: der Quellgrund der Elbe
Die Elbwiesen: der Quellgrund der Elbe

Das Kamel, das die Requisiten des Bischofs trug, soll, so die Legende, genau an der Stelle vor Erschöpfung zusammengebrochen sein, wo heute die alte Bergbaude Dvoracky mit deftiger Hausmannskost und Selbstgebackenem 365 Tage im Jahr zur Rast einlädt.

Mit fast 9000 Gästebetten ist Spindlermühle (Spindleruv Mlyn) das touristische Zentrum in Rübezahls Reich. Rund um den Luftkurort, 800 Meter hoch am Zusammenfluss von Elbe (Labe) und Dolsky Potok gelegen, erschließen 180 Kilometer markierter Wanderwege das Gebiet der sieben Täler (Sedmidoli). Körperbehinderten Gästen kommt Spindlermühle mit einem eigenen Wanderweg entgegen – dem ersten und bislang einzigen Tschechiens.

Špindlerův Mlýn (Spindlermühle) im Riesengebirge: Brücke über die junge Elbe
Špindlerův Mlýn (Spindlermühle): Brücke über die junge Elbe

Binnen Minuten schwebt der Sessellift hinauf zum Medvedin (1235 Meter). Hier beginnt der neun Kilometer lange Wanderweg zu einem “Wallfahrtsort”: zur Quelle der Elbe (Pramen Labe). Jedes Jahr pilgern Tausende Touristen zu dem unscheinbaren Granitring, aus dessen Mitte der große Strom in kleinen Blasen heraus sickert.

Riesengebirge/Elbe: die Elbquelle
Die Quelle der Elbe

Sie betrachten die Wappen von 26 Städten, die der Strom auf seiner 1200 Kilometer lange Reise zur Nordsee durchfließt, und wandern weiter zur Labska bouda, einer monströsen Berghütte aus Beton oberhalb des 40 Meter hohen Elbwasserfalls.

Der Abstieg folgt dem Flusslauf. Kinder baden in der jungen Elbe, Ältere sonnen sich auf flachen Granitfelsen im Fluss. Zitronenfalter und Admiral tanzen über die Bergwiesen, auf denen Enzian und Küchenschelle blühen. Zwischen Krüppelkiefern pflücken Wanderer Blaubeeren. Vereinzelt leuchten rote Moltebeeren, die sonst nur in Nordeuropa zu finden sind.

Unterwegs im Riesengebirge: oberhalb des Elbwasserfalls
Oberhalb des Elbwasserfalls

An der Vrbatova bouda (1.383 Meter) rasten Mountain Biker. In Spindlermühle, das sich als Austragungsort der MTB-Weltcups 2003 beworben hat, wurden mehr als 100 Kilometer markierte Bergstraßen für den Radsport geöffnet. Off-Road über Stock und Stein ist im Nationalpark tabu. Für waghalsige Sprünge und Stunts wurde daher der Bike-Park von St. Peter eingerichtet.

Unterhalb von Spindlermühle staut eine Talsperre die junge Elbe zu einem See. Wer abgehärtet ist, kann hier baden; wärme Badefreuden bietet das neue Aquazentrum mit 50 Meter-Becken, Whirlpool, Sauna und großer Rutsche. Neben dem Hotel Harmony, in dessen unterirdischen Bunker sich einst die KP im Fall eines Atomkriegs verschanzen wollte, lädt Tschechiens erste ganzjährig geöffnete Rodelbahn zur Fahrt durch 22 Kurven, drei Tunnel und fünf Jumps.

Unterwegs im Riesengebirge: der Wanderweg zur Elbquelle
Der Wanderweg zur Elbquelle

Bei schönem Wetter schweben über Spindlermühle unzählige farbige Gleitschirme. Während des Sommers können Urlauber in fünf oder sieben Tagen die Grundlagen des Paragliding lernen – oder bei einem Tandemflug sicher und sanft zu Tal gleiten. Rundflüge über das Riesengebirge starten vom Sportfliegerplatz im rund 20 Kilometer entfernten Hohenelbe (Vrchlabi) mit seinem sehenswerten Riesengebirgsmuseum.

Hinter Svaty Petr erhebt sich die scharfe Kante des Ziegenrückens (Kozí hrbety). Versteckt unter winderzerzausten Knieholzsträuchern krabbeln Dammläufer. “Oh, mein liebes Riesengebirge, wo die Elbe so heimlich rinnt, wo Rübezahl mit seinen Zwergen heute noch Sagen und Märchen spinnt…” durchbricht es plötzlich die Stille. Dann taucht eine Seniorengruppe hinter den Kiefern auf – strammen Schritts, das Riesengebirgslied von Hampel & Fibinger auf den Lippen.

Wie eine dreiseitige Pyramide erhebt sich die Schneekoppe (Snezka) mit ihren schroffen Flanken über der einstigen Bergbausiedlung Petzer (Pec pod Snezkou), heute das östliche Ferienzentrum des Riesengebirges. Hinauf zum höchsten Berg Tschechiens geht es mit einem Zweier-Sessellift, der nostalgische Gefühle weckt. Seit 1949 in Betrieb, schwingt er sich in 24 Minuten von der Talstation in 890 Meter Höhe vorbei an der Mittelstation Rosenberg hinauf zum 1.602 Meter hohen Gipfel.

Manchmal trennen nur wenige Zentimeter die wippenden Füße von den Knieholzbüschen, dann wieder schwingt sich die Bahn schwindelerregend steil hoch in der Luft die Hänge hinauf. Zu Fuß wurde die Schneekoppe erstmals im 13. Jahrhundert bezwungen. Führte der Weg früher von Böhmen her über den Riesengrund (Obri dul), folgt heute der beliebteste Aufstieg als schmaler Steig vom Rosenberg dem Verlauf der Bahn. Mit einer Steigung von 230 Metern wird der letzte Kilometer zum Kraftakt.

Unterwegs im Riesengebirge: der Gipfel der Schneekoppe
Auf dem Gipfel der Schneekoppe

Oben angekommen, lassen sich fast eine Million Menschen jährlich vor dem Gipfelkreuz ablichten, blicken kurz in der St. Laurentiuskapelle, klimmen auf die Aussichtsbalkone der Wetterwarte und genießen an klaren Tagen eine Panorama-Fernsicht: Im Westen ist der mit 1547 Meter zweithöchste Gipfel Lucni hora zu sehen, im Osten säumt das Adlergebirge (Orlicke hory) den Horizont, im Süden erhebt sich der Cerna hora (1299 Meter), im polnischen Norden duckt sich das Gebirge und öffnet sich zur schlesischen Ebene.

“Das ist mein Reich”, sagt plötzlich ein zerzauster Rübezahl, hebt sich die zottelige Kopfmaske ab und lacht. Zum Vorschein kommt ein junger Mann. Während der Semesterferien verdient er sich als lebende Legende ein Zubrot zum Stipendium: ein wahrlich sagenhafter Sommer-Job.

Riesengebirge/Elbe: der Stausee der Elbe
Der Stausee der Elbe 

RIESENGEBIRGE: INFORMATIONEN

REISEZIEL

Das Riesengebirge (Krkonose) liegt im Nordwesten Tschechiens an der Grenze zu Polen, rund eine Autostunde vom deutschen Grenzübergang bei Zittau entfernt.

DOKUMENTE

Zur Einreise genügt ein mindestens noch sechs Monate gültiger Reisepass. Kinder benötigen einen eigenen Reisepass mit Lichtbild.

UNTERWEGS

Auf den Autobahnen herrscht Vignettenpflicht. Eine Zehn-Tages-Vignette kostet 100 Kronen.

KLIMA UND REISEZEIT

Die Sommersaison läuft von Ostern bis Ende Oktober.

WÄHRUNG

Tschechische Krone (Kc.) 1 Euro = 2,850 Kc.

UNTERKUNFT

Das Angebot ist vielfältig – Preise und Qualität sind sehr unterschiedlich. Allereinfachste Zimmer werden pro Nacht ab zehn Euro angeboten; Übernachtungen auf den Bauden (Berghütten) kosten zwischen 15 und 50 Euro, Dreisternehotels zwischen 40 und 90 Euro. Achtung: Preisaushänge in den Zimmern gelten nur für Einheimische, Ausländer zahlen bis zu 50 Prozent mehr.

INFORMATIONEN

In Deutschland erteilt die Tschechische Zentrale für Tourismus Auskünfte über das Riesengebirge: Friedrichstrasse 206 
10969 Berlin-Kreuzberg, Tel./Fax 030/2 04 47 70, www.czechtourism.com.

Vor Ort informieren das Informationszentrum Trutnov, Krakonosovo nam. 72, 54101 Trutnov, Tel./Fax 0 04 20 (4 39) 64 26, und das Informationszentrum Vrchlabi, Krkonosskà 8, 54301 Vrchlabi, Tel. 0 04 20 (4 38) 42 21 36, Fax 0 04 20 (4 38) 42 11 21, E-Mail jipp@jipp.cz

Dieser Beitrag wurde im März 2003 vom gms-Themendienst verbreitet und von zahlreichen deutschsprachigen Medien, darunter auch Spiegel Online, publiziert.

Unterwegs im Riesengebirge: Aussicht von der Schneekoppe (Snezkou)
Schneekoppe: Blick auf die Berge der Umgebung

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