Sol y Nieve: Sonne und Schnee in der Sierra

Etwas irritiert blicken die Badegäste am Pool, als wir mit Daunenjacken und Skisäcken an ihnen vorbei ziehen. Mandelbäume blühen rechts und links der Autobahn. Das Thermometer zeigt frühlingswarme 20 Grad. Doch hinter Granada schwinden die Zweifel: Erst dreckig graue, dann strahlend weiße Schneewände säumen die Schnellstraße, die sich in engen Kehren die schroffe Bergwelt empor windet.

Nach 30 Kilometern endet sie an Europas größter Tiefgarage. Nur, wer ein Hotel oder Apartment gebucht hat, darf zum Entladen weiter fahren. Allen anderen weisen heftig pfeifende und gestikulierende Polizisten rigoros den Weg in den Untergrund. Mehr als 3.000 Stellplätze verbergen sich unter der Plaza de Andalucía. Oberhalb schlägt das Herz von Pradollano – dem Eingangstor zu „Sol y Nieve“, zu Sonne und Schnee.

Europas südlichste Skistation ist ein Retortendorf, das Anfang der 60er Jahre als Milliardeninvestition auf einem Hochplateau der Sierra Nevada in 2.100 Meter Höhe erwuchs. Ihr klangvoller Name sollte darüber hinweg täuschen, dass Spaniens größtes Skigebiet generalstabsmäßig auf dem Reißbrett entworfen worden war – inmitten einer unberührten Bergregion, die im Januar 1999 von der UNESCO als Biosphärenreservat unter Schutz gestellt wurde. Doch anders als in den französischen Alpen entstand keine Hochhausstadt im Hochgebirge, sondern eine Kleinstadt, die trotz einiger holzverkleideter Stapelbauten aus Beton durchaus Charme besitzt. Selbst eine Kirche fehlt nicht.

Rund um die zentrale Plaza gruppieren sich Skischulen, Souvenirläden, Sport-Shops und ein kleiner Supermarkt, verbunden mit einer Galerie aus dunklem Holz. Dort, wo sich die Plaza wie ein Balkon über die Schlucht erhebt, sind die blau bespannten Sessel und Liegestühle des „El Bistro“ bis auf den letzten Platz belegt. Bei Croissant und Cortado, dem kleinen Koffeinkick mit Milch, beobachten wir die Fahrkünste an den Hängen der Hausberge.

Die breite, baumfreie Flanke der Veleta (3.398m) verspricht Tiefschneefreuden. Daneben, zur Rechten, folgt das Höchste, was Spanien zu bieten hat: der 3.482 Meter hohe Mulhacén. Die wuchtige Alcazaba (3.366m) macht das Winter-Trio perfekt. Und spielt das Wetter mal nicht so mit, treten die kleinen schwarzen Punkte in Aktion: 280 Schneekanonen garantieren 22 perfekte Pisten.

10 Uhr. Zeit, sich aufzuschwingen. Direkt an der Plaza starten die Lifte: die Großkabinenbahn „Al Andalus“ mit einer Kapazität von je 14 Personen, eine Vierer- und Dreiergondel sowie eine Vierersesselbahn Doch niemand ist zu sehen. Ob sie noch geschlossen sind? Wir fragen und lernen: Beim Paso Doble auf der Piste pulsiert ein anderer Rhythmus. Der Skibetrieb startet halb zehn, doch bis mittags sind die Hänge menschenleer.

Nur wenige Snowboarder und Skischulgruppen tummeln sich auf den breiten Pisten. Erst, wenn die Sonne ihren Zenit erreicht hat, füllen sich die Lifte – doch Wartezeiten sind ein Fremdwort, die Kapazität von 31.000 Skiläufern pro Stunde auch am Wochenende ausreichend. Jeder Skipass hilft der Natur: Drei Prozent der Einnahmen fließen in die Renaturierung des baumlosen Gebietes, in dem noch Geier und Königsadler heimisch sind.

Das Skigebiet von Pradollano in der spanischen Sierra Nevada
Die Bergstation des Skigebietes

Die Bahnen führen hinauf zur Bergstation Borreguiles in 2.665 Meter, dem turbulenten Eingangstor zu 3.500 Hektar Schneevergnügen. Skischulen vermitteln auf Spanisch, Englisch, Portugiesisch und Französisch die Grundbegriffe des Gleitens; für Behinderte werden besondere Kurse angeboten. Unweit toben Dreijährige, kaum größer als die Ausrüstung, im Skikindergarten. Langläufer drehen auf zwei kurzen Kursen ihre Runden. Rings um die riesige Schüssel einer Satellitenantenne rasten Boarder. Andere schwingen und springen im Snow Park über Rips und Half Pipes. Auf den Terrassen der beiden Restaurants sonnt sich Spanien im Pelz.

Gute Skifahrer zieht es gleich weiter zum Gipfel. Je höher der Sessellift empor schwebt, desto grandioser wird die Aussicht: Erst ziehen die Pisten Zorro und Tubo de Borreguiles breit und flach unter uns vorbei, dann öffnet sich der Blick auf ein atemberaubendes Panorama: In hellen Zacken leuchten die schneeglitzernden Gipfel der Sierra vor dem Blau des Mittelmeers. In der Ferne taucht als schmaler schwarzer Streifen die Küste Afrikas auf.

Der Sessellift Veleta II bringt uns bis auf 3.300 Meter Höhe hinauf. Rund ein Dutzend Abfahrten starten hier. Insgesamt stehen 103 Pisten mit einer Gesamtlänge von 95 Kilometern zur Wahl: 16 grüne und 35 blaue für Anfänger, 43 rote für Fortgeschrittene sowie neun schwarze Pisten. Mutige stürzen sich die Olimpíca-Abfahrt hinab.

Der einzige wirkliche Steilhang des Skigebietes fordert einiges an Können – und wo das fehlt, entdeckt der Spanier den Torero in sich: Mutig stürzen sie sich hinunter, fallen, stehen wieder auf, lachen und palavern lange am Pistenrand, woran es wohl gelegen haben mag. Ein wenig Show, und sehr viel Zeit: Ski in der Sierra hat für die meisten wenig mit Sport zu tun. Ski ist vielmehr – das seltene Lebensgefühl von Winter.

Uns lockt die Laguna de la Yeguas mit der Skiroute Tajos de la Virgen, unpräpariert und so früh am Tage mit tatsächlich noch sprichwörtlich jungfräulichem Schnee. Später starten wir erneut auf der La Laguna, biegen dann aber in Liftnähe auf die Águila-Piste ab, der mittelschweren Tal-Abfahrt für Konditionsstarke. Auf den 5,9 Kilometern hinunter nach Pradollano überwindet sie einen Höhenunterschied von 1.150 Metern. Schnee pur bieten die Varianten „Barranco de San Juan“ und „Ventisquero del Móron“. Kurz, aber knackig, ist die Skiroute „Ascensor“. Richtig schwierig wird es nur im unteren Teil des Skigebietes bei Loma Dilar, wo die Piste über eine Felsflanke direkt auf Pradollano zuführt. Die Geschwindigkeit berauscht.

Plötzlich stoppt José, unser Skiführer. Nevasol! Die Terrasse der Berghütte an der Mittelstation gleicht einem riesigen Solarium. Dicht an dicht drängeln sich die Spanier um die Sonnenplätze, die kühle Cervezza in der Hand. Einige knabbern Migas, in Knoblauch gerösteten Schinken mit Crostinos. Wenn gegen vier die Lifte und Hütten schließen, verlagert sich die Szene ins Tal, wird die Plaza zum Solarium. Bis sechs Uhr reicht ein T-Shirt in der warmen Sonne – schließlich liegt das Skigebiet auf der Höhe Tunesiens. In den dunklen Sonnenbrillen spiegeln sich schneebedeckte Gipfel. Ski und Stöcke nehmen abschließbare Stellboxen auf.

Das Skigebiet von Pradollano in der spanischen Sierra Nevada
E/Andalusien/Sierra Nevada/Pradollano: Talabfahrt

Eine Stunde später leert sich der Ort schlagartig: Auf den beiden Flutlichtpisten El Rió und El Slalom – den einzigen in Spanien – tummeln sich nur wenige Skiläufer. Vermutlich sind es Gäste aus dem Norden…Der Spanier braucht zwischen Alpin- und Après-Ski seine Siesta. Wer nicht im Sportclub Montebajo schwitzt oder schwimmt, entschwebt. Der „Parador“, ein zweisitziger Sessellift, bringt ihn zurück zum Hotel oder Apartment. Gegen zehn Uhr abends kehrt er ebenso zurück – schick gestylt für die lange Nacht.

Auf der Iberischen Halbinsel ist Pradollanos Nachtleben berühmt. Selbst der spanische König Juan Carlos tobte sich hier gerne mal aus: erst auf der Piste, dann bei der Party. Die richtige Grundlage für die lange Nacht für die einen ein edles Mahl im Restaurant „La Ruta de Veleta“, für die anderen das in Andalusien überall zelebrierte „Tapeo“.

In kleinen Gruppen ziehen die Spanier von Kneipe zu Kneipe, knabbern hier frittierte Sardinen, dort Kartoffeln in Knoblauch, dann etwas Serrano-Schinken, Sobrasada-Paste oder Salami, und spülen die Häppchen mit Bier oder Rotwein nach. Gegen Mitternacht drängen sie zur Disko Nevada 53, dem größten Tanztempel in der Höhenluft. Rock und Reggae dröhnen aus dem La Chimenea.

Wir wählen das El Jalea. Hier wird Flamenco getanzt – ursprünglich, andalusisch, wohltuend anders als bei Touristenvorführungen. Erst am Morgen endet die Fiesta. Müde, verschwitzt und den Kaffee in der Hand, warten die Party People vor dem Parador: Er bringt sie minutenschnell heim ins Bett. Auf den Pisten sind wir nahezu unter uns.

Sol y Neve in der Sierra: Info

Hinkommen

Flug bis Malaga, Almeria oder Granada per Linie (Lufthansa, Spanair) oder Charter (Condor, TUIfly, Air Berlin, Germanwings). Ab Malaga: mautfreie Autobahn (zirka zwei Stunden) bis Granada, weiter auf gut ausgebauter Schnellstraße nach Pradollano (32 km).

Unterkunft

Meliá Sierra Nevada

Plaza de Pradollano, Tel.  +34 958 480400, Fax +34 958 481204, E-Mail: melia.sierra.nevada@solmelia.com, www.solmelia.com
Vier-Sterne-Haus, 152 DZ, vier Suiten. Wellness-/ Fitnessbereich mit Türkischem Bad, Sauna, Solarium, Massage. Disco „Nevada 53“. Nur 100 Meter von den Skiliften entfernt.

Hotel Kenia Nevada

Virgen de la Nievas 6, Tel. +34 958/48 09 11, Fax +34 958 4 78 08 07, www.kenianevada.com
Vier-Sterne-Haus mit 67 Zimmern, Tennis, Wellness-/ Fitnessbereich.

Hotel Ziryab

Plaza de Andalucía, Tel. +34 958 48 05 12, Fax +34 958 48 14 15, www.hotelziryab.com
Dreisternehaus am Hauptplatz – direkt bei den Liften

Auskunft

Cetursa

Sierra Nevada, Plaza de Andalucía, E- 18196 Sierra Nevada (Granada), Tel. +34 902 70 80 90 Fax +34 902 62 71 00, www.sierranevadaski.com 

Spanisches Fremdenverkehrsamt, Myliusstraße 14, 60232 Frankfurt, Tel: (069) 72 50 33, 72 50 38, Fax: (069) 72 53 13. Hier erhältlich: Übersichtskarte „Esqui“ (Ski in Spanien)

Dieser Beitrag ist am 5./6. Februar 1999 im Handelsblatt erschienen, im Jahr 2000 aktualisiert in den Lübecker Nachrichten, im Jahr 2003 erweitert und bearbeitet als “Paso Doble auf der Piste” im Rheinischen Merkur.

Das Skigebiet von Pradollano in der spanischen Sierra Nevada
E/Andalusien/Sierra Nevada/Pradollano: Skigebiet

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