Hafen-Nostalgie und Zukunfts-Szenerie

Betagte Speicher neben gläsernen Büro-Palais, Kräne und Docks hinter stählernen High-Tech-Terminals, Fischmarkt am Morgen, Manager und Medien am Mittag, Ausgeh-Ambiente am Abend: Das Hamburger Elbufer zwischen Fischmarkt und Neumühlen, einst Deutschlands größter Umschlagsplatz für frischen Fisch, erlebt die gewaltigste Veränderung seiner Geschichte.

Entlang der Lebensader der Stadt entsteht eine architektonische High-Tech-Meile. Ihr Visionär, Oberbaudirektor Egbert Kossak a.D., schwärmte von ihr als „Hammonias Perlenkette“.

Den silbernen „Verschluss“ bildet eine Schranke: Das gesamte Entwicklungsgebiet liegt unter Normal Null. Eine Scholle als Wetterfahne markiert die erste Perle: einen von hohen Giebelhäusern umstandener, zum Wasser hin abfallender, fünfeckiger Platz.

Hamburger Hafen: Anleger an der Fischauktionshalle. Foto: Hilke Maunder
Hamburger Hafen: Anlegeram Fischmarkt. Foto: Hilke Maunder

Hier, auf dem traditionellen Hamburger Fischmarkt, lockt sonntäglich ab sechs Uhr ein turbulenter Markt Zehntausende von Besucher an. Während Händler seit Jahrhunderten hier ihre Angebote von Aal bis Zwergkaninchen lauthals anpreisen, Bananen oder Heringe in den Menschenmassen werfen, treffen sich Nachtschwärmer und Frühaufsteher zum Brunch bei Brunckhorst in der Fischauktionshalle.

 

Hamburger Hafen: Die Fischauktionshalle lädt sonntags zum Brunch. Foto: Hilke Maunder
Hamburger Hafen: Die Fischauktionshalle lädt sonntags zum Brunch. Foto: Hilke Maunder

Die weiß eingedeckten Tische auf der Galerie der Großmarkthalle, die 1896 Kaiser Wilhelm II. persönlich einweihte, sind bis auf den letzen Platz besetzt. Stilvoll wird am Sekt genippt, Lachs und Lobster genossen, während auf den beiden Bühnen bekannte Hamburger Bands Blues, Jazz und klassischen Rock spielen. Einige Besucher tanzen.

Schräg gegenüber flattert die Fahne des „stilwerk“ im Wind. In der ehemaligen Mälzerei Naefeke eröffnete 1996 Norddeutschlands größtes Zentrum für Design-Fans und Wohn-Ästheten, gestaltet nach einem Kreativkonzept der Hamburger Agentur Jung v. Matt.

Hinter der historischen Backsteinfassade von 1910 bieten 27 inhabergeführte Geschäfte auf sieben Etagen internationalen Lifestyle: handgearbeitete Teppiche nach Entwürfen der Kunden, maßgefertigte Küchen aus Italien, britische Lebensart von Sir Terence Conran, Alltagsdesign von Alessi, ergänzt mit Ausstellungen und Aktionen. Im Sommer stellt die Brasserie im Parterre Bänke und Stühle vor das Haus: Da gibt es zum Fernet das Fernweh inklusive.

Revitalsierung im Hafen: das Café im Stilwerk, Große Elbstraße. Foto: Hilke Maunder
Revitalsierung im Hafen: das Café im Stilwerk, Große Elbstraße. Foto: Hilke Maunder

Eine massive Stahlbrücke, Fluchweg bei Hochwasser, führt hinüber zum Stadtlagerhaus. Die ehemalige Dampfmühle H. W. Lange, komplett entkernt und mit neuer Spundwand und Sützpfeilern versehen, wurde nicht nur für die Investoren zur aussichtsreichsten Adresse der Stadt: Im Aoril zogen die ersen Mieter in die exklusiven Lofts und Wohnungen mit freiem Blick über Stadt und Fluss.

Im benachbarten Lübcke-Speicher, um 1880 von der englischen Gesellschaft Hamburg-Altonaer Getreide- und Warenniederlassung, residiert heute hoch unter dem Dach die Greenpeace-Deutschlandzentrale.

Einen ebenso unvergleichlichen Blick auf den Hafen bietet das Restaurant „Warsteiner Elbspeicher“ einige Etagen tiefer. Den spröden Charme alter Hafenkneipen versprüht die „Haifischbar“. In den 60-er und 70-er Jahren Namensgeberin eines niederdeutschen TV-Exports, beschert der Kultstatus der Serie der Kneipe bis heute ein sicheres Kapital.

Revitalisierung im Hafen: Neubau an der Großen Elbstraße 45. Foto: Hilke Maunder
Revitalisierung im Hafen: Neubau an der Großen Elbstraße 45. Foto: Hilke Maunder

Im weißgekalkten Kaufmannshaus von 1722 lädt die Galerie Kramer zur Werksschau, während plakative Wandbilder der „FrauenFreiluftGalerie“ an Hauswänden und Treppenaufgängen von der Frauenarbeit im Hafen berichten.

Die Filmproduktionsfirma „downtown“ indes bevorzugt den nostalgischen Charme des Speicherhäuschen gegenüber – wo einst Groth & Degenhardt Schiffsmaschinen fertigten, entstehen heute Werbefilme für Petra und Puma. Katharina M. Trebitsch residiert mit ihrer Objektiv-Film bei Diekmann & Hause, von wo aus seit 1869 bis heute „Caviar“ in alle Welt versandt wird.

In den langen, flachen Zeilenbauten mit Verladerampen, bis heute Hamburgs Umschlagplatz für frischen Fisch, ist Hummer Pedersen daheim. Seit mehr als hundert Jahren warten hier, in langen Becken nach Gewicht geordnet, hunderte Hummer im Keller auf Käufer. Spitzenköche aus ganz Deutschland werden täglich von Geschäftsführer Johann Nußgraber beliefert.

Hamburger Hafen: Die Revitalisierung des nördlichen Elbufers lockt Besucher und Einheimische wieder an den Hafenrand. Früher war hier ein berüchtigster Straßenstrich. Foto: Hilke Maunder
Hamburger Hafen: Die Revitalisierung des nördlichen Elbufers lockt Besucher und Einheimische wieder an den Hafenrand. Früher war hier ein berüchtigster Straßenstrich. Foto: Hilke Maunder

Ganz oben in der Gunst der italienischen Gastronomie ist Lerch, Hummer & Co., die hier rote Rascassen, Schwertfisch oder Dorade ordern. Einige Fischhändler wie Barlu Seafood servieren die Delikatessen sofort vor Ort – als Fischbrötchen oder maritimen Gourmet-Teller. Mittenmang, wie die Hanseaten sagen, bietet die „Winery“ ausgesuchte Weine aus der neuen und alten Welt.

Nur wenige weiter lädt ein Schuppen zum „Last Shopping before GB“: der „Speicher am Fischmarkt “, die schrille Alternative zum „stilwerk“. Unübersichtlich, unerschöpflich und unnachahmlich, ist der „Speicher“ seit Jahrzehnten eine Fundgrube für Klassisches und Kurioses aus aller Welt: Telefonzellen, Teakmöbel, Teppiche. Tassen, Tagebücher.

Hamburger Hafen: Das einstige Terminal der Englandfähren mit dem Restaurant "Rive". Foto: Hilke Mander
Hamburger Hafen: Das (einstige) Terminal der Englandfähren mit dem Restaurant “Rive”. Foto: Hilke Mander

Nach Britannien geht es gegenüber. Seit 1991 dient hier ein fast utopisch wirkendes Stahl- und Glasgebilde am ehemaligen Kai des Fischereihafens als Terminal der England- Fähren. Ein Schwertfisch aus Stahl weist den Weg zu einem Gourmettempel, der in der Gunst von Einheimischen und Fremden, den „Quiddjes“, bis heute ungebrochen ganz oben steht: das Fisch- und Austernbistro „Rive“.

Frankophil angehaucht, postmodern prunkvoll mit dunkelrotem Leder und kupfernen Palmwedeln gestaltet, können doch Hummer, Austern, Kaviar & Co. nur schwer mit dem eigentlichen Höhepunkt des Hauses konkurrieren: dem weiten Blick über den Strom, dem Corso der schnellen Segler und schwer beladenen Containerriesen. Und kommt ein Kreuzfahrtschiff vorbei, dimmt die Bedienung dezent das Licht: Strahlend scheint das Schiff durch den Saal zu schweben, lautlos, unwirklich und doch so nah.

Revitalisierung im Hafen: Elbufer mit Dockland-Haus. Foto: Hilke Maunder
Revitalisierung im Hafen: Elbufer mit Dockland-Haus. Foto: Hilke Maunder

Hamburger Elbufer: Info

Hamburg-Hotline

täglich 8 bis 20 Uhr, Tel.: (040) 3 00 51-3 00. Pauschalpakete für einen Hamburg-Besuch hat die Tourismus-Zentrale Hamburg in ihrem Programm „Happy Hamburg Reisen“ zusammengestellt; www.hamburg-tourism.de.

Hinkommen

Uneingeschränkte Mobilität erlaubt die Tageskarte des Hamburger Verkehrs-Verbundes (HVV). U-, S-Bahn- und diverse Buslinien führen zum Hafenrand. Die HVV-Schifffahrtslinie 62 legt auf ihrem Weg nach Finkenwerder direkt vor der Fischauktionshalle an; www.hvv.de.

Dieser Beitrag wurde am 7./8. Mai 1999 vom Handelsblatt publiziert und am 25. Juni 2001 von Spiegel Online veröffentlicht.

 

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