Knallrot, hellblau und tiefschwarz stehen sie dort an der Bergstation von Les Ruinettes: Arapaho Trottinettes, XXL-Roller mit Federgabel und Motocross-Reifen. In der Sprache der Apachen bedeutet Arapaho „das Volk, dass vom Berg hinab steigt,“ und genau das lockt jetzt an diesem Sommermorgen: eine Abfahrt hinab nach Médran, stehend – und mit Speed. Anfangs ist die Bergstraße noch asphaltiert. Dann geht es über Stock und Stein, genauer gesagt, eine Mountain-Bike-Strecke, über weite Almen, den Blick auf Sand, Gras, Wurzeln und Fels gerichtet.
Und nicht auf den Grand Combin (4.314 m), der über Verbier wacht. Eine zweite Trottinettes-Abfahrt startet in 2238 m Höhe an der Bergstation Savoleyres. Genau dort, wo im Winter die längste Rodelbahn der französischen Schweiz beginnt, sausen jetzt keine Schlitten, sondern eine Handvoll Jungs auf Trottinettes hinab nach La Tzoumaz, den Kopfhörer mit lauten Beats im Ohr.
Radler-Gipfel
Als Mekka der Mountain-Biker gilt der 3.300 m hohe Mont-Fort. Wer sich nicht auf der berühmten Grand-Raid-Strecke messen möchte, kann sich den Aufstieg sparen und sein Bike mit der Seilbahn zum Start der Tour Mont-Fort transportieren. Die wohl beste Tagestour – mit Start in Verbier, La Tzoumaz oder Nendaz – gibt es in zwei Varianten: als „Easy“ oder „Pro –Rider“ Route über jeweils 50 Kilometer. Unterwegs locken traumhafte Ausblicke auf den Tracouet See, den Tortin Gletscher und den Col des Gentianes.
Zu den fünf Trails im Verbier Bikepark sind 2014 noch zwei neue Strecken hinzu gekommen: der 1,4 km lange Freeride-Trail „Borthabitch“ und, als Höhepunkt der gesamten Anlage, die 2,2 km lange Strecke „La Rôdze” mit 62 Sprüngen von bis zu fünf Metern. Neu hinzu gekommen sind ebenfalls 18 Enduro-Routen, die Bus und Seilbahn als Aufstiegshilfe nutzen. Gemütlicher sind die neun markierten E-Bike-Strecken – zwei Routen sind für Familien ausgewiesen. Und auch Straßenfahrer können in Verbier Adrenalinkicks erleben und ihre Grenzen ausreizen.
Auf der „Grand Boucle“ können sie sich an der Walliser Etappe der Tour de France versuchen und den Großen Sankt-Bernhard-Pass erklimmen. 41 Kilometer und ungezählte Kehren, erst bergab nach Semprancher, dann auf der D21 stetig bergauf. Der eigentliche Passanstieg begibt in Bourg St-Bernhard: steil, so richtig schön steil. Quäl dich, ist das Motto. Nach 6,5 Kilometern und der letzten Kurve ist das Ziel erreicht: das Hospiz der Augustinermönche mit seinen berühmten Rettungshunden. Mit 2009 Höhenmeter gehört die Nordrampe des Sankt Bernhard übrigens zu den höhenmeterreichsten Aufstiegen der Alpen. Und übertrifft selbst das berühmte Stilfserjoch.
Wandern mit Kunst
Nahezu unendlich sind die Möglichkeiten zum Wandern. 500 Kilometer Wege sind ausgewiesen, vom Themenweg bis zu Mehrtagesrouten. Mit einem Kunstpfad wird auch Kultur ins Hochgebirge verpflanzt. Hauptsache: Der Gast kann etwas erleben in Verbier. Action und Adrenalinkicks sind das Ziel. Ruhige Natur und beschauliche Bergwelt sind von gestern. Das Hochgebirge heute? Ein Spielwiese für Städter, die im Urlaub die Kicks suchen, die der Alltag nicht bieten kann. Und so ist auch das An-gebot für Kletterfans fast größer als für herkömmliche Wanderer.
Kraxeln mit Kick
560 Klettersteige und 30 Klettergärten in sieben Art von Fels. Angenommen werden die vielen Aktivangebote vor allem von Männern: Jugendlichen, die Go-Pro-Kameras an ihre Helme geschraubt haben und alles für Youtube und Co. filmen, und Väter, die es genießen, mit ihren Jungs sich auszupowern. Frauen treffe ich erst auf der Anhöhe, die etwas abseits vom Trubel liegt: Bei einer Strala-Session mit der US-Star Tara Stiles am Croix de Cœur auf 2.174 m Höhe. Die ehemalige Balletttänzerin hat Yoga eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit verliehen, die auch in Verbier, hoch auf der Alm zu spüren ist – mit Lachen und Gekicher statt stiller Meditation. Auf den beiden 18-Loch-Plätz von Verbier jedoch herrscht bis heute stille Vornehmheit. Unterhaltungen sind, wenn überhaupt, leise zu führen. Und lachen, wenn ein Schlag daneben geht, ist völlig verpönt.
Paradegipfel
Mehr Humor hat da die junge Pilotin von Heli Alps, die am Croix de Cœur mit ihrem Écureuil von Eurocopter eine Gruppe zu einem Rundflug zu den drei Paradegipfel Mont-Blanc, Grand Combin und Cervin mitnimmt. Und dabei selbst sichtlich Spaß hat, mit Tempo auf schroffe Wände und eisige Bergspitzen zuzusausen, den Hubschrauber hochzuziehen und dann steil die Flanken hinab hin zu Eisfeldern und Gletscherspalten zu führen. Kaum zurück, wartet bereits der nächste Kick auf den Gast: ein Gleitschirmflug.
Wer nicht selber den “Parapente“ steuern kann, hängt als Tandem im Schirm, und gleitet in weiten Kehren über die letzten Reste von Hochwald, die am Hang überlebt haben, Almen und Outdoor-Action-Terrain hinab ins Tal, hin zu jenem Ort, der zu den Impulsgeber des Imagewandels von Verbier gehört: das W Hotel.
Jungen Lifestyle-Hotel
Music, Fashion und Design sind die drei Säulen der Starwood-Hotelmarke aus den USA, die am 1. Dezember 2013 im Walliser Bergdorf das erste Alpendomizil des 1998 in New York gegründeten Labels eröffnete. Metall, Glas, Stein – das neue W Hotel hat den Ortsteil Médran verändert. Die viel großen Chalets aus Holz verbinden Glaskuben; mit Leder und Glas in rot und anderen Farben haben Designer aus Amsterdam das Innere eingerichtet. Stylish, jung und effektvoll wie die Zielgruppe: eine lifestyleorientierte, aktive Jeunesse dorée.
Vor der Haustür hat sich die neue Place Blanche mit Beach Bar und Lifestyle-Läden als In-Treff etabliert. Die nahe Seilbahn zum Mont-Fort (3.300 m) erschließt fußläufig das alpine Abenteuerterrain, das im Winter mit 412 Pistenkilometer, schier unendlichen Hors-Pisten-Angeboten und Heli-Skiing ebenfalls für grenzenlose Action in den Alpen sorgt. Aufgetankt wird im hauseigenen Spa bei Hot-Stone-Massagen – und beim Stockholmer Torsten Sällström, der beim Spanier Sergi Arola gelernt hat und nun kleinen, verspielten Gerichte Gaumen und Augen verwöhnt – und dafür im März 2014 von Gault-Millau zum Koch des Monats gekürt wurde.
Verbier wird jung
Mit ihrem Lifestyle-Konzept und dem Motto „Offen für Neues“ mischt die Trendmarke das Traditionsziel der Gutbetuchten, das bislang berühmt war für sein som-merliches Musikfestival, mit Erfolg auf. Schon jetzt haben sich die Besucherzahlen deutlich verjüngt, schwärzt Joël Sciboz, der seit Oktober 2013 Direktor des Office de Tourisme de Verbier-Val de Bagnes ist. Die norwegische Marketingchefin des W Hotels Verbier, Martina Nerheim-Alsen, ist schon lange überzeugt: “Verbier ist ein guter Ort, um Grenzen auszureizen.”
Verbier: meine Reiseinfos
Hinkommen
Mit Lufthansa oder Swiss nach Genf (160 km), Shuttle oder Leihwagen. Mit Bahn & Bus: Ab Martigny mit Regionalzügen bis Le Châble, weiter per Postbus. Mit dem Auto auf der Autobahn A9/E62 bis Martigny. Auf der Passstraße zum Großen Sankt Bernhard bis Sembrancher, dort links abbiegen nach Verbier.
Schlafen
In Verbier dominieren Vier- und Fünfsternehotels, zudem gibt es 25.000 Betten in Chalets. Erstes Alpendomizil des New Yorker Trendlabels ist das sehr teure wie stylische W Hotel Verbier, 70, rue de Medran70, CH-1936 Verbier (Bagnes), Tel. +41 27 472 88 88, www.wverbier.com/de.
Sir Richard Branson eröffnete bereits 2009 in Verbier sein Luxuschalet „The Lodge“ mit neun Suiten samt Butler und Koch, hauseigenem Schlitt-schuhring, Heimkino und Helikopterservice; Chemin de Plénadzeu, CH-1936 Verbier (Bagnes), Tel. 41 27 771 66 66, www.virginlimitededition.com/en/the-lodge
Eine Übersicht samt Buchungsportal ist online hier zu finden: http://de-verbier.factorylabs-unroole.com/accommodations/hotels.
Schlemmen
Restaurant Al Capone, Route des Creux 53, Verbier, Tel. +41 27 771 67 74, www.alcapone-verbier.com. Bodenständige Küche ohne Chichi – Zwiebelsuppe, Raclette, Fondue und Rinderfilet.
La Table d’Adrien, Route des Creux 91, Verbier, Tel. +41 277 71 62 00, www.chalet-adrien.com. Sterneküche von Marco Bassi im Luxus-Chalet.
Events
Verbier Festival: Seit 1994 erklingt 17 Tage lang im Juli klassische Musik – auch bei kostenlosen Konzerten und Straßenshows; www.verbierfestival.com
Verbier Bike Fest, dreitägiges Motorradtreffen Anfang September, www.verbierbikefest.ch
Dieser Beitrag ist in Online-Reisemagazin www.schwarzaufweiss.de erschienen.
Ein Gedanke zu „Verbier: Spielwiese im Hochgebirge“