28 Jahre lang lebte Ernst Barlach in Güstrow. Hier entstanden seine berühmtesten Plastiken, hier erlebte er, wie seine Werke später von den Nazis als „entartete Kunst“ verfolgt und zerstört wurde. Das berühmteste Beispiel: der „Schwebende Engel“. 1937, ein Jahr vor dem Tod des Bildhauers, drangen NS-Schergen in den Dom ein und nahmen beide Skulpturen mit – sie wurden eingeschmolzen zu Munition.
Krieg, Kunst und Kultur bestimmten schon immer die Geschichte des Residenzstädtchen an der Nebel. 1228 erhielt Güstrow Stadtrecht; zwei Jahre zuvor hatte Fürst Borwin II. bereits den Dom gestiftet. Die günstige Lage an den Handelsstraßen von Lübeck nach Pommern und von Rostock in die Mark Brandenburg begünstigte die Entwicklung zu einem bedeutenden Marktort.
Besonders der Handel mit Tuchen, Getreide und dem berühmten “Kneisack-Bier” führte im Mittelalter zum Wohlstand des Bürgertums. Von 1556 bis 1695 war Güstrow Residenz, ein Jahr lang residierte sogar Wallenstein während des 30-jährigen Krieges auf dem Schloss.
Zar Peter I. und August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Preußen, trafen sich 1712 in Güstrow zu Waffenstillstandsverhandlungen mit dem schwedischen General Steenbrock. Den Beinamen “Klein Paris” erhielt Güstrow im 19. Jahrhundert als gesellschaftliches Zentrum in Mecklenburg.
Güstrow gefiel Barlach so gut, das er es selbst dem sonnigen Italien vorzog. 1910, mit 40 Jahren, siedelte er in das Städtchen über. Ein Großteil seiner Werke entstand hier, stark inspiriert von einer Russland-Reise, die der Bildhauer 1906 unternommen hatte.
Sein Kunstverständnis hielt Ernst Barlach in seinem Güstrower Tagebuch fest. Dort schrieb er: „Wichtigtuerische Nichtigkeiten vom Lebensbilde werden weggeräumt. Es geht darum, nicht die Welt zu sehen, wie sie scheint, sondern wie sie ist.“
Barlachs Werke sind im Atelierhaus am Inselsee (Heidberg 15) südöstlich der Stadt zu sehen. Das Atelier, in dem Barlach von 1931 bis 1938 wirkte, ist seit 1978 Museum. Ausgestellt wird der Nachlas Barlachs: mehr als 100 Gips-, Holz-, Bronzeplastiken sowie Handschriften, mehr als 2000 Zeichnungen und Graphiken aus dem künstlerischen Fundus.
In der kleinen Gertrudenkapelle (Gertrudenplatz 1) stehen einige der bedeutendsten Werke Barlachs. Die rund 25 Plastiken im spätgotischen Backsteinbau aus dem 15. Jahrhundert mit Seitenwände aus Fachwerk zeugen von der Nähe des Bildhauers zum norddeutschen Expressionismus.
Zu sehen sind unter anderem „Lesende Klosterschüler“, „Gefesselte Hexe“, „Wanderer im Wind“, „Das Wiedersehen“, „Der Zweifler“ (1937) und „Mutter Erde“ (1912), „Der Bettler“ (1930) und „Der Sänger“ (1931).
Die berühmteste Barlachstätte ist jedoch der Dom. Das ältestes Gebäude der Stadt mit seinem 44 Meter hohem Turmmassiv bildet zusammen mit Schloss und Pfarrkirche die besonders von Süden eindrucksvolle Stadtsilhouette. Das Gotteshaus, 1226 von Fürst Heinrich Borwin II gestiftet, wurde 1335 nach einer Bauzeit von mehr als hundert Jahren St. Maria, St. Johannes Evangelista und St. Cäcilia geweiht.
Die Bauarbeiten an der kreuzförmigen, dreischiffigen Pfeilerbasilika gingen indes weiter: Erst Ende des 14. Jahrhunderts war der Dom mit dem Umbau des Seitenschiffes zur zweischiffigen Halle endgültig fertiggestellt. Heute dient der Dom, der nie Bischofssitz war, als Gemeindekirche.
Etwas abseits in der Nordhalle sind Barlachs Werke zu finden: Nachbildungen des Bronzekruzifix von 1918 und des Ehrenmal für die Toten des Ersten Weltkrieges, der „Schwebende Engel“. Die wohl bekannteste Plastik Barlachs, 1926/27 als Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges geschaffen, wurde 1937 von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ aus dem Gotteshaus entfernt, das Metall für Munition eingeschmolzen.
Das Gipsmodell jedoch überlebte – von ihm wurde nach Kriegsende eine Zweitguss für die Antoniterkirche zu Köln gefertigt. 1953 kehrte die Replik als Geschenk an die Domgemeinde nach Güstrow zurück. Der Engel mit dem Gesicht der Käthe Kollwitz hängt heute wieder an seinem angestammten Ehrenplatz in der Seitenkapelle.
Bemerkenswert ist auch die übrige Inneneinrichtung des Güstrower Domes: Der Flügelaltar, um 1500 von Hinrik Bormann geschaffen, gilt als Meisterwerk der Spätgotik; die zwölf lebensgroßen Apostelfiguren, schuf um 1530 der Lübecker Bildschnitzer Claus Berg.
Die dreischiffige Pfarrkirche St. Marien, mitten im denkmalgeschützten Stadtkern, wird von Besucher gern für den berühmten Dom gehalten. Die gotische Backsteinbasilika, 1308 erstmals urkundlich erwähnt, lohnt dennoch einen Besuch – birgt sie doch auch ein Barlach-Werk: Hier hängt der „Engel der Hoffnung“ (1933).
Auf Schritt und Tritt begegnet der Besucher Barlach – Georg Friedrich Kersting indes ist nur eine kleine, unscheinbare Gedenkstätte in der Hollstraße gewidmet. Stille Innenräume machten den gebürtigen Güstrower zu einem der großen Malerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts.
Doch schon für seine Freunde, zu denen Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge zählten, war Kersting der „kleine Mecklenburger“. Im schlichten Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert, in dem der Maler Georg Friedrich Kersting am 22. Oktober 1875 als zweiter Sohn des gleichnamigen Glasermeisters geboren wurde, hält seit der Restaurierung 1981-85 eine Gedenkstätte das Andenken lebendig.
Besondere Verdienste erwarb sich Kersting nicht nur als Malervorsteher an der Königlich Sächsischen Porzellanmanufaktur in Meißen, sondern auch als Mitglied des Lützowschen Freikorps, zu dem auch Theodor Körner und Friedrich Ludwig Jahn gehörten.
Am Stadtgraben bei der Eisenbahnstraße erinnert der mit wasserspeienden Delfinen geschmückter John-Brinckman- Brunnen schließlich an den mecklenburgischen Dichter und Weggefährten Fritz Reuters, der 1849 Lehrer an der Realschule von Güstrow wurde, in der Hansenstraße 19 wohnte und auf dem städtischen Friedhof Rostocker Straße 1870 seine letzte Ruhestätte fand.
Eine Ausstellung im barocken Bürgerhaus am Franz Parr-Platz, heute Sitz des Stadtmuseum, dokumentiert Geschichte und Kultur von Güstrow. Berühmt ist die Theaterzettel-Sammlung: Rund 12.000 Programmzettel von 1741 bis zur Gegenwart sind hier zu sehen.
Eine breite Brücke führt über den ausgetrockneten Wassergraben zum Güstrower Schloss, 1558 bis 1588 nach Entwürfen der Baumeisters Franz Parr und Ulrich Brandin errichtet wurde. Der Ostflügel von 1594 stürzte bereits nach wenigen Jahren wegen Baufälligkeit wieder ein. Die imposante Schlossanlage hat wegen Hanglage nach außen fünf, zum Hof hin nur drei Stockwerke.
Die bedeutendsten Innenräume liegen im Süd- und Westflügel, so der Festsaal mit der berühmten stukkierten Kassettendecke von Daniel Ackermann, die exotische Jagdszenen zeigt. Der rechteckige Garten innerhalb der Schlossmauern wurde ab 1978 nach alten Vorlagen als Renaissancegarten angelegt. Wunderschön: die Laubengänge aus Hainbuchen.
Dieser Beitrag ist 1991 in “1000 Ausflugsziele in Mecklenburg-Vorpommern” erschienen.