“Jetzt frisch. Grüne Heringe. Barsche. Aland” wirbt ein schwarzes Schild am Ortseingang von Dassow an der Lübecker Straße. Ein stilisierter Fisch schmückt die Gartenpforte. Hier wohnt Günter Sell, einer der vier Dassower Fischer. Wenn die Möwen im Wind schreien, sich in die Fluten stürzen, kämpfen und raufen , dann weiß der Mann: Die Saison hat begonnen.
Seit 1955 bestimmt der gleiche Rhythmus das Leben des Dassowers. “Nachmittags fahre ich zusammen mit Detlef Jürs raus, setze die Netze, Reusen und Körbe. Und morgens, wenn es hell wird, holen wir alles wieder raus.”
So einfach sei das, meint Sell, und erzahlt: “Richtung Marienstein springen die Fische aus dem Wasser – das macht das Schraubenwasser vom Kutter.” Ob die Netze über Nacht sich füllen werden, weiß Sell schon im voraus: “Ich merk`s am Wind, und an den Möwen…”
Bis zu drei Tonnen fischen die beiden Männer aus den Stellnetzen im Dassower See, die an bis zu zehn Standorten sich mal 20, dann 30 oder gar 40 Meter entlangziehen. Doch: “Wenn wir schon viel in den Körben gefangen haben, stellen wir die Netze gar nicht erst auf.”
Das richtige Gleichgewicht hat Sell aus jahrzehntelanger Erfahrung im Blut. Und auch seine Kollegen Hans Ohlert und Hans Hildebrandt, die jeweils mit eigenen Kuttern hinausfahren, achten darauf, dass der See nicht überfischt wird.
Ab Mitte Februar bis Anfang Mai, sofern es nicht schon zu warm ist, wird Hering gefangen. Später, im April, konzentrieren sich die Fischer auf Barsche. Gern gefischt wird auch der Aland, der von See her kommt und zum Ablaichen im Frühjahr die Stepenitz hinaufzieht.
Seinen schwersten Fang zog Sell nicht in Dassow, sondern in Lockwisch aus dem Wasser. “Im See erwischte ich einen kapitalen Hecht, der stolze 38 Pfund wog!”
Die Dassower Fischer erhalten ihren Fischereischein von der Hansestadt Lübeck. Schuld daran sind die Eigentumsverhältnisse. Während der Strand- und Uferbereich Mecklenburger Grund und Boden sind, gehörte die Wasserfläche zu Schleswig-Holstein.
“Wir sind damit praktisch Lübecker Stadtfischer – wie die Gothmunder und Schlutuper”, vertellt Günter Sell schmunzelnd. Ihre Ware jedoch liefern die Genossenschaftsfischer nach Wismar ab. Nur ein kleiner Teil bleibt für den privaten Verkauf zurück.
Was nicht gleich am Kutter in die Einkaufstaschen der Bürger und Besucher wandert, wird tagsüber im Schuppen auf dem Hof verkauft. Dick eingepackt in Zeitungspapier, drückt Frau Sell einem älteren Mann ein Fischpaket in die Hand. “Das Pfund Hering kostet jetzt 1.50 Mark”.
Seit der Wende hat sich für die Fischer einiges geändert. Mussten sie nach 1961 ihre Boote per Tieflader auf dem Landweg nach Wismar schaffen, um dann von dort aus im Greifswalder Bodden nach Hering zu fischen, können sie heute vor der Haustür in See stechen – und ihre Ware sogar im lübschen Travemünde löschen.
Nur der hohe Zaun um den Dassower Anlieger irritiert. “Bei uns werden so viele Netze geklaut oder mutwillig beschädigt”, erzählt der Fischer traurig. “Unsere Material ist nicht mehr sicher vor den Dieben.” Enttäuschung aber auch über die Staatsanwaltschaft. “Und wenn wir den Täter abliefern, Strafanzeige erstatten, heißt es nur “Verfahren eingestellt”.
So gehört es jetzt zum Feierabend, die Netze zu flicken, Schäden zu reparieren, und ein wachsames Auge zu haben. So überrascht es nicht, wenn Sell ein wenige müde beim Abschied meint: “In der Heringssaison bleibt keine Zeit zum Schlafen”.
Dieser Beitrag ist 1991 erst in den Mecklenburger Nachrichten, danach in “1000 Ausflugsziele in Mecklenburg-Vorpommern” erschienen.