Was passiert, wenn sieben Nonnen dem Kloster entfliehen möchten? Sie schließen einen Pakt mit dem Teufel, brechen ein Gelübde – und werden zur Strafe in Eichen verwandelt. Das war vor 1000 Jahren – heute gehören die Baumriesen von Ivenack zu den ältesten Eichen Europas.
„Kennt einer meiner Leser Ivenack, diese liebliche, der Ruhe geweihten Oase in dem rings von Mühe und Arbeit durchfluteten Lande, die, einer schlummernden Najade gleich, sich auf grünender Au und blumiger Wiese gelagert hat und ihr vom Laube tausendjähriger Eichen umkränztes Haupt in dem flüssigen Silber des Sees spiegelt ?
Nun, ihr mögt es kennen, und mögt es auch lieben; mir ist es mehr, als es dem fremden Besucher sein kann. Für mich ist es der Glanz des Sommermorgens, der sich darüber breitet, mit tausend goldenen Fäden der Erinnerung aus der Kindheit und Jugend durchwoben, Festtagserinnerung, Ferienerinnerung, die wie leuchtende Blumen aus dem Dunkel des Walde mir entgegennicken und mit süßem Waldgesang in mein Herz ziehen.“
So schwärmerisch lässt Fritz Reuter die Vorrede in seinem zweiten plattdeutschen Buch „Die Reise nach Bellingen“ beginnen. Vom nahen Stavenhagen ist der mecklenburger Nationaldichter häufig den vier Kilometer langen, schattigen Waldweg vorbei am Wildgatter, dem Tiergarten von Ivenack, und dem Lischengrab hin zu den ältesten Eichen Europas gewandert.
Damals standen noch sieben dieser tausendjährigen Baumveteranen. Heute sind noch sechs der imposanten Stieleichen erhalten. Die stärkste und schönste der Ivenacker Eichen ist unten am Stamm nahe der Wurzel 17 Meter dick. Erst mit zwölf Menschen gelingt es, den fast 35 Meter hohen Baum zu umarmen. In Kopfhöhe beträgt der Umfang immer noch stolze elf Meter.
Die Entstehung dieser einmaligen botanischen Rarität in Mitteleuropa erzählt eine Sage: Im Kloster zu Ivenack lebten einst sieben Nonnen. Abgeschnitten von der übrigen Welt, fühlten sich die jungen Frauen todunglücklich. In ihrer Not schlossen sie einen Pakt mit dem Teufel. Satan versprach, sie um Mitternacht zu befreien.
Seine einzige Bedingung: Sie durften sich auf ihrer Flucht nicht nach hinten zu ihm umsehen. Doch die Neugier der Nonnen war zu groß: Kaum hatten sie die Klostermauern hinter sich gelassen, blickte erst die eine nach hinten, dann riskierten es die anderen.
Die Strafe für den Blick zurück folgte prompt: Der Teufel verwandelte die Nonnen zu Eichen. Im Mittelalter waren die Ivenacker Eichen ein beliebtes Ziel der Bauern, die hier ihre Schweine weideten – die Eicheln waren ein bewährtes Mittel zur Mast.
Die Viehhaltung hatte eine erfreulichen Nebeneffekt: Durch das Kurzhalten des Unterholzes konnten sich die einzelnen Eichen besonders gut entwickeln. Ob die Eichen tatsächlich 1000 Jahre alt sind, ist nicht gewiss. Eine Zählung der Jahresringe ist erst nach dem Tod eines Baumes möglich.
Durch Urkunden und Berichte erscheint jedoch ein Alter von 800 bis 1200 Jahre als sicher. Die zahlreichen Buchen, die den Eichenbestand ergänzen, sind rund 300 bis 500 Jahre alt.
Bei Pferdekennern ruft der Name „Ivenack“ wehmütige Nostalgie hervor: Hier befand sich ehemals eines der bekanntesten Gestüte Europas. Die fast 200 Jahre alten Stallanlagen, heute vom den örtlichen Reitverein genutzt, müssen saniert werden.
Am 18. September 1816 ging Fritz Reuter an der Hand seines Vaters zum ersten Mal nach Ivenack – und mit ihm halb Stavenhagen. Alle kamen, um einen Mann zu sehen: Wie eine Legende saß Blücher mit grauem Bart und Pfeife im Mund vor dem Schloss· und ließ sich alle Pferde vorführen.
Mit dabei war auch Herodot. Die Lebensgeschichte des Schimmelhengstes, 1794 in Ivenack geboren, ist eng mit den Ivenacker Eichen verbunden. Als nach der Schlacht von Jena und Auerstädt das Französische Heer nach Mecklenburg kam, zogen die Soldaten auch nach Ivenack.
Sie verlangten die Herausgabe des berühmten Pferdes – doch der Besitzer hatte das Tier in einer hohlen Eiche in Sicherheit gebracht. Herodot wäre nie entdeckt worden, hätte der Schimmel nicht die vorbei reitenden Soldaten mit lautem Wiehern begrüßt.
Heute liegt Herodot leinen Kilometer vom Bahnhofsgebäude Richtung Demmin begraben – natürlich unter einer Eiche. Sie heißt, zu Ehren des berühmten Tieres, „Herodot-Eiche“.
Dieser Beitrag ist 1991 in “1000 Ausflugsziele in Mecklenburg-Vorpommern” erschienen.