Eine dichte Schneehaube bedeckt die Dächer von Zakopane. Minus 23° Celsius zeigt das große Thermometer am Eingang der Fußgängerzone Ulica Krupówki. Es ist früher Abend. Gäste in Pelz und knapp bekleidete Jugendliche bummeln im Schein farbig-leuchtenden Lampenschmucks an den Auslagen der Geschäfte vorbei, begutachten Mützen, Modeschmuck und Schnickschnack bei den Straßenhändlern und stärken sich mit warmen Waffeln oder geräuchertem Oscypek“, den Bäuerinnen für einen Zloty als kleine Schafskäse-Schiffchen kalt oder in Öl frittiert anbieten.
„Hier in Zakopane wollen die Gäste nicht nur Ski laufen, sondern auch shoppen, schlemmen, sich verwöhnen lassen“, sagt Jurek Gasienica (56), der seit mehr als 20 Jahren als Fremden- und Bergführer in der Hohen Tatra arbeitet. Immer wieder zeigt er auf leuchtende Punkte in der Ferne – auf allen Pisten rund um Zakopane können Skifahrer und Snowboarder im Schein von Flutlicht bis 22 Uhr schwingen, carven oder im Schuss zu Tal schießen.
Rund 50 Lifte erschließen die fünf Skiberge, die direkt ans Stadtgebiet grenzen. Ein kostenloser Skibus pendelt vom Stadtzentrum zum Skizentrum Nosal (1.206 m) mit acht Schleppliften, die leichte bis mittelschwere Pisten erschließen. Die FIS-Slalompiste hingegen, die an der Bergstation des einzigen Sesselliftes beginnt, ist 800 Meter lang eine Herausforderung für Könner, schwarz, steil und eisglatt.
Am anderen Ufer des wild dahin rauschenden Potok-Bysty-Baches erhebt sich der Krokiew – seit fünf Jahren wird hier alljährlich Ende Januar der Weltcup im Skispringen ausgetragen. Auf der „Großen Schanze“ Wielka Krokiew gelang Sven Hannawald im Januar 2003 ein spektakulärer Doppelsieg: Mit 120 Metern flog „Hanni“ der Konkurrenz davon und sicherte sich mit einem neuen Schanzenrekord seinen 16. Weltcupsieg.
Den Talschluss von Nosal und Krokiew dominiert die Schneepyramide des Kasprowy Wierch. Seine steilen Flanken, die in unteren Lagen in Fichtenwald übergehen, bilden das einzige hochalpine und äußerst anspruchsvolle Skiareal der Stadt. Seit der Wende kann Polens älteste Seilbahn, die seit 1936 unfallfrei auf den 1987 m hohen Grenzberg zur Slowakei schwebt, den Ansturm der Ausflügler und Wintersportler kaum noch bewältigen – doch mit neuem Motor und größeren Gondel soll sich die Kapazität pro Stunde zur Saison 2006/7 von derzeit 180 auf 360 Gäste verdoppeln.
Zurück zur Talstation von Kuznice führt die längste Piste Polens mit 9,7 aussichtsreichen, abwechslungsreichen Kilometern über schmale Grade, extrabreite Steilhänge und sanft gewellte Waldwege. Pferdeschlitten, Taxen und Busse bringen den Gast zurück ins Quartier.
Die drei Skihänge Gubalówka (1.120 m), Butorowy Wierch (1.160 m) und Szymoszkowa Polana, der an das Mercure-Hotel Kasprowy Zakopane angrenzt, verbinden Panoramablicke auf die Schneespitzen der Hohen Tatra mit Pisten, wie sie sonst in Mittelgebirgen zu finden sind: 150 bis 800 Meter kurzen Abfahrten, die nach eher steilen Einstiegen flach und breit auslaufen und ideale Übungshänge für den Nachwuchs oder Skineulinge sind.
Doch vor der Abfahrt lockt der Einkehrschwung in einer der Skihütten, die stets die Bergstationen umgeben. Ihr Menü: Fleisch und Würste vom Grill, Suppen, Glühwein und „Piwo grzane“ – lauwarmes Bier, gemixt mit Sirup und winterlichen Gewürzen, genossen per Strohhalm.
Einziger Wermutstropfen im „Ski-Hopping“ rund um Zakopane, wo bereits seit mehr als 100 Jahren Wintersport betrieben wird, ist ein fehlender Gemeinschaftsskipass. Jeder Liftbetreiber gibt eigene Skipässe heraus – und teilen sich mehrere Liftbetreiber wie in den benachbarten Skidörfern Murzasichle oder Bukowina Tatrzanska einen Skihang, so müssen auch mehrere Liftkarten erworben werden.
Stark schwankend sind auch deren Preise: Während in Polana Szymoszkowa eine 20-Punkte-Karte für 70 Zloty (18 Euro) nur zwei Stunden Skivergnügen an zwei Liften beschert, können Boarder und Carver am Nosal von 8 bis 22 Uhr alle neun Lifte nutzen – und noch zehn Zloty sparen.
Im 25 Kilometer entfernten Bialka Tatrzanska haben sich 75 Einwohner zu einer Genossenschaft zusammen geschlossen, die jetzt mit einem Gemeinschaftsskipass für umgerechnet zwölf Euro von 9 Uhr früh bis 22 Uhr nachts Ski satt an den Hängen des Kotelnica-Berges und im Anfängerbereich Kaniowka bietet.
Der Andrang auf den gebührenfreien Parkplätzen gibt dem Konzept recht, das so den Skibergen von Zakopane zunehmend Konkurrenz macht. „Kamen noch vor wenigen Jahren drei, vier Busse mit Skisportlern aus Deutschland, sind es heute 60 bis 70 pro Woche“, erzählt Jurek.
Allerorten entstehen Pensionen, die im Einklang mit der Tradition der einheimischen Goralen aus dicken Holzstämmen oder im Zakopane-Stil mit hohen, extrem steilen Dächern errichtet werden, auf denen sich die Schneemassen des Winters nicht halten können.
Der Bauboom hat auch Male Ciche erfasst, einst ein abgeschiedenes Bergbauerndorf, dank des modernen Vierersesselsessel auf ein sonniges, familienfreundliches Schneefeld heute eine betriebsame „Stacja Narciarska“, Skistation, die vor allem Krakauer bei einem Sonntagsausflug in den Schnee aufsuchen.
Nur ein Fünftel der 780 Quadratkilometer großen Tatra, die in Polen seit 1954 als TNP geschützt wird, liegt auf polnischem Gebiet. Vier Fünftel – 550 Quadratkilometer – gehören zum Nachbarland Slowakei, das bereits 1949 das kleinste Hochgebirge der Welt als TANAP unter Schutz stellte und strenge Besuchsregelungen einführte.
Einige Gebiete sind Totalreservate, die restlichen Regionen vom 1. November bis 15. Juni gesperrt. Daher konzentriert sich der Skitourismus in der Slowakei nur auf die südlichen Ausläufer des Gebirges.
Star der neun Skigebiete mit insgesamt 58 Pistenkilometern ist Štrbské Pleso (Tschirmer See), mit 1.350 Metern der höchstgelegene Wintersportort der Tatra. Sein Wahrzeichen sind zwei riesige Sprungschanzen, die in den 1970er Jahren für die Weltmeisterschaften im nordischen Ski errichtet wurden.
Vom zentralen Großparkplatz pendelt ein kostenloser Skibus zum FIS Ski Areal am Solisko-Berg, wo sich ein brandneuer Poma-Vierersessel in sieben Minuten zur Bergstation in 1.816 m Höhe schwingt, dem Tor zu zwölf Kilometer anspruchsvollem Skivergnügen bis weit in den April. Wer die längste Piste des Landes genießen will, gleitet im Zickzack vom 2.634 m hohen Lomnitzer Sattel 4,8 Kilometer hinab nach Tatranská Lomnica.
Als slowakisches „Davos“ galt einst das heute familiäre Starý Smokovec (Altschmecks), wo seit 1908 eine Standseilbahn vom Orteil Hrebienok auf den südöstlichen Bergfuß der Slavkovsky Stit (2.453 m) führt. Hinab geht es auf einer 740 m langen, schwarzen Piste, mehreren blauen und roten Abfahrten – und einer drei Kilometer langen Rodelbahn. Eine Spielwiese für Ski-Novizen ist Ždiar, ein ursprüngliches Bergbauerndorf nahe der polnischen Grenze, dessen Pisten kaum Gefälle aufweisen. Städtchen mit Skihängen sind Svit und Kežmarok.
Seit dem EU-Beitritt beider Staaten, durch den auch Grenzübergänge, die zuvor für Ausländer gesperrt waren, geöffnet wurden, statten nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Gäste gerne einmal den Skibergen im Nachbarland einen Besuch ab. Besonders Zakopane profitiert davon: So ist die 32.000 Einwohner-Stadt längst nicht mehr nur die Winterhauptstadt Polens, sondern mit drei Millionen Gästen pro Jahr die strahlende Schneekönigin der gesamten Tatra.
INFO-KASTEN: Hohe Tatra
REISEZIEL
Die Hohe Tatra liegt im Grenzgebiet von Polen und der Slowakei.
ANREISE UND FORMALITÄTEN
Per Auto, Bahn oder Flugzeug nach Poprad (70 km). Von dort erschließt eine elektrische Kleinbahn die Ferienorte der slowakischen Tatra. Auf der polnischen Seite ist Zakopane Zentrum des Skitrubels, nächstgelegener internationaler Flughafen ist Krakau (100 km), der aus Deutschland von LOT, Lufthansa und Germanwings angeflogen wird.
KLIMA UND REISEZEIT
Typisch für die Wintermonate Januar und Februar sind sonnige, windfreie Inversionswetterlagen, bei denen die Temperatur am Gipfel sich um den Nullpunkt bewegt, im Tal hingegen minus 15 – 25 Grad Celsius erreichen kann.
WÄHRUNG
Slowakische Krone: 1 Euro = 37,50 SKK; Polnischer Zloty: 1 Euro = 3,77 Zl.
SPRACHE
Polnisch, Slowakisch, Russisch. Englisch ist verbreitetet unter der Jugend; Ältere sprechen häufig etwas Deutsch.
UNTERKUNFT
In den Wintersportorten der Hohen Tatra gibt es mehr als 10.000 Gästebetten in Hotels, Pensionen und Privatunterkünften. Eine ***Hotelübernachtung/Frühstück im Doppelzimmer kostet in Polen ab 60 Euro, in einer Pension ab 30 Euro pro Person. Die Unterkünfte in der Slowakei sind etwas günstiger. Die Liftpreise pro Tag schwanken sehr und bewegen sich zwischen 12 – 50 Euro.
INFORMATIONEN
In Deutschland erteilen Auskünfte zur Hohen Tatra: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 71, 10709 Berlin, Tel. 030/21 00 92-0, Fax 030/21 00 92-14, www.polen.travel/de. Slowakische Zentrale für Tourismus, Zimmerstraße 27, 10969 Berlin, Tel. 030/25 94 26 40, Fax 030/25 94 26 41,
www.slovakia.travel/intropage.aspx?l=3
Dieser Beitrag wurde 2006 über den gms-Themendienst der dpa verbreitet und von zahlreichen deutschsprachigen Medien veröffentlicht. In aktualisierter Form erschien der Beitrag zudem im Online-Reisemagazin www.schwarzaufweiss.de.