Riksgränsen: Wedeln in der Mitternachtssonne

se_riksgra%cc%88nsen_8_hilke-maunderWenn die Skisaison in den Alpen längst beendet ist, lädt das nördlichste Skigebiet der Welt zum Tiefschnee-Spaß unter der Mitternachtssonne: Riksgränsen. Das Mini-Dorf 200 km nördlich vom Polarzirkel ist im Mai und Juni ein Mekka für alle, die geradezu süchtig sind nach dem Kick im Schnee.

Nightlife im Firnschnee

Während Urlauber in anderen Feriengebieten noch einen letzten Drink an der Bar nehmen oder längst in weichen Federn schlummern, lebt Riksgränsen erst richtig auf. Im hellen Sonnenschein funkelt der Schnee, und auf den Pisten und den Firnhängen, die sich tagsüber sich als einsames, endlos weites Weiß präsentieren, herrscht jetzt Hochbetrieb.

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Tierische Lifte

Snowboarder und Skifahrer stoben die Bergflanken hinab, sausen im Telemark-Stil über die gut präparierten Pisten und lassen sich, wo ein Lift fehlt, wieder von ihrem Hund den Hang wieder hinauf ziehen. Im gleißenden Licht der Mitternachtssonne wedeln nicht nur die Cracks, sondern auch Kinder. Auf einer breiten grünen Abfahrt carven sie hinab ins benachbarte Katterjåkk und lassen sich von einem Tellerlift wieder hinauf ziehen.

Blick vom Lift auf das Dorf und die Skiberge.
Blick vom Lift auf das Dorf und die Skiberge.

Trendziel der Skandinavier

Fast alle Wintersportler sind Einheimische, Schweden oder Norweger, die hier die Skisaison verlängern, bis auch weiter im Süden wieder die ersten Flocken fallen. So wie Lars Brandstrup (42) aus Falun, der jedes Wochenende mit seiner Tochter Maja kilometerlange Anfahrten in Kauf nimmt, um das ganze Jahr hindurch seiner Skileidenschaft zu frönen. Nach Riksgränsen kommt der IT-Ingenieur erst ab Mitte Februar – dann hebt sich die Dunkelheit, die seit November die mehr als 60 Gipfel über 1.300 m Höhe umhüllt hat.

24 Stunden Sonnenschein

Ab April steht die Sonne jedoch 24 Stunden lang am Firmament, und die Skilifte sind bis 0.30 Uhr geöffnet. Zum Saisonende am 26. Juni ist es schließlich so warm, dass viele nur mit T-Shirt und Shorts unterwegs sind und gekonnt um die riesigen schwarzen Granitblöcke gleiten, die aus den Schneefeldern ragen. 11,69 Meter Niederschlag im Durchschnitt, der höchste Jahres-wert in Schweden, sorgen für reichlich Schnee, der selbst nicht schmilzt, falls es auch mal regnet.

An der Außengrenze der EU.
An der Außengrenze der EU

Ab(ge)fahren: die arktische Wildnis

Doch nicht nur das Licht der Mittsommersonne macht das Skifahren in der arktischen Wildnis so anders und einzigartig. Riksgränsen, das Ski-Resort an der „Reichsgrenze“ von Schweden und Norwegen, entstand als Versorgungsstation entlang einer 1902 angelegten Bahnlinie, auf der kilometerlange Güterzuge bis heute das Eisenerz aus Kiruna zum Verladehafen am Atlantik ins norwegische Narvik transportierten.

1934 kamen die ersten Skiläufer und gründeten Schwedens erste Skischule, die bis heute die Grundtechniken des Gleitens unterrichtet. Doch Skitrubel wie in Tirol hat hier keinen Einzug erhalten. Wer durch die Ansammlung der rund 20 Holzhäuser bummelt, die zwischen dem Vassijaure-See und dem 909 m hohen Riksgränsenfjellet rote Punkte ins Winterweiß setzen, hat das Gefühl, der Zeit entrückt zu sein.

Angepasst an die örtliche Bauweise: das Hotel Riksgränsen.
Angepasst an die örtliche Bauweise: das Hotel Riksgränsen.

Das Minidorf im Hotel

Pulsierendes Herz dieses Außenpostens der Zivilisation mit weniger als 100 dauerhaft dort wohnenden Einwohnern ist das Hotel Riksgränsen, das unter seinem lang gestreckten Dach die Angebote sonst ausgedehnter Resortanlagen kompakt vereint – mit Jugendherberge und 164 komplett renovierten, komfortablen Ein- und Zweibettzimmern, Spa, Spielhölle und Supermarkt, Nachtclub und Notarzt, Bar und Buchungszentrale für Ausflüge und andere Aktivitäten.

Extremski in Lappland

Und so ist auch Robert Lindstedt (47) nicht nur Hotelmanager, sondern auch Fremdenverkehrsleiter, Tourguide oder Veranstaltungschef, der internationale Großevents wie die Extrem-Ski-Meisterschaft Scandinavian Big Mountain Championship nach Lappland holt – und damit eine Szene anlockt, für die das geringe Pistenangebot kein Manko, sondern die größte Freude ist: Freerider jeden Alters.

Mit der Doppelsesselbahn Nedre Stolliften und dem Dreiersessel Övre schweben sie hinauf zur Bergstation, an der plötzlich Handys und Digicams um die Wette klicken: Nur wenige Schritte entfernt, markiert ein Steinhaufen im schwedischen Königgelb seit 1567 die Grenze zu Norwegen. Heute verläuft hier eine Außengrenze der EU – als Holzlattenzaun im meterhohen Schnee.

An manchen Stellen ist die Schneedecke nicht geschlossen.
An manchen Stellen ist die Schneedecke nicht geschlossen.

Riksgränsen lockt Freerider

Dem Panoramaplan mit 16 präparierten Pisten – einer schwarzen, sieben roten, drei blauen und vier grünen Abfahrten – und 14 „Runs“, Skitouren durch baumfreies Gelände, würdigen in weite, dunkle Outfits gekleideten Freerider keinen Blickes. Ihr Terrain heißt „Off Piste“, unberührte Schneefelder mit Überhängen, Felsnasen und Granitblöcken, die sie als „Obstacle“ (Hindernis) oder Sprungbrett für akrobatische „Jumps“ (Sprünge) schätzen.

Im Heli zu neuen Gipfeln

Als einzige Herausforderung lassen sie noch Heliskiing gelten, das in Schweden überraschend günstig ist im Vergleich zu Kanada oder den Alpen. Für 3450 schwedische Kronen (350 Euro) pro Person gibt es eine Traumtour mit drei Gipfeln – zur Auswahl stehen Rombakksstötta (1230 m), Vassitjakka (1360 m), Spanstind (1457 m) und Vouitasrita (1588 m). Z

Zur Hauptsaison Mai und Juni wird es schwierig, noch einen freien Platz im gelben Hubschrauber zu ergattern, die direkt vor dem Hotel vom Hubschrauberlandeplatz abhebt. Rund um die Uhr fliegt der Helikopterpilot imposant wirkende Bergspitzen an, die im Vergleich zu den Alpen nur markige Zwerge sind – und doch Firnfahrten mit 1000 Höhenmeter Gefälle bieten.

Wohin soll's gehen - die stets gleiche Frage an der Bergstation.
Wohin soll’s gehen – die stets gleiche Frage an der Bergstation.

Ohne Zeitgefühl

Bei 24 Stunden Tageslicht wird die Zeit zu einem abstrakten Faktor. Warum früh aufstehen, wenn die Lifte bis Mitternacht geöffnet sind? Warum sich zum Dinner umziehen, wenn es hinterher doch wieder gleich auf die Piste geht? Gewohnte Tagesabläufe weichen einem fast surrealen Leben, das sich nur ein Ziel kennt: Ski fahren. Sind die Muskeln kalt und müde, bringen Massagen und heiße Bäder in der Hot Tub neue Energie.

Nordischer Genuss auf dem Teller wie beim Ambiente.
Nordischer Genuss auf dem Teller wie beim Ambiente.

Meldet sich der Hunger, locken Elch-Carpaccio und lakritzgeräuchertes Rentierfilet im Lapplandia-Restaurant, das den arktischen Winter auch in der Inneneinrichtung reflektiert – als Symphonie in Weiß. Bei Durst geht es ins „Grönan“. In der schummrigen Bar im Hotelkeller spielt zum After Ski um 15 Uhr eine Coverband aus Mitarbeitern Songs von Aerosmith und den Stones; nachts um drei wird zum Rhythmus der Beats vom Plattenteller ein Bier – oder der örtliche Kultdrink „Vargtass“ getrunken.

Knock-Out durch die Wolfstatze

Für einige Snowboarder war die „Wolfstatze“, ein eiskalter Shooter aus Preiselbeersirup und Wodka, sichtlich zu heftig: Schlaff schlafen sie in riesigen schwarzen Sofas, die neben der Bühne die Fensterfront säumen. Doch in weni-gen Stunden werden sie sich wieder in den Schnee stürzen, mit geschulterten Ski zum Nordalsfjell (1.051 m) aufsteigen und durch den Tiefschnee ins Tal wedeln.

Dieser Beitrag ist im Rheinischen Merkur erschienen.

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