Trysil ist das größte und bekannteste Skigebiet Norwegens. Wie ein Netz spannen sich die Abfahrtspisten über das Trysilfjellet, das sich als einsamer Gipfel aus der sanft gewellten Waldlandschaft der Hedmark erhebt.
7 Uhr. Während die meisten Winterurlauber noch schlafen, lassen sich die ersten Skiläufer mit dem Sindretekket-Schlepplift den Berg hinauf ziehen. Im Licht der aufgehenden Sonne schwingen sie über frisch gespurte Pisten. „Herrlich – es einmal richtig laufen lassen zu können, ohne auf Mitfahrer zu achten“, schwärmt Ski-Guide Runa Eggen und wedelt durch den Tiefschnee am Rande der schwarzen Experta-Piste.
Eine Stunde später hockt sie in der gemütlichen Blockhütte „Høgegga Varmestua“. Auf einigen Holztischen stehen Platten mit Käse, Wurst, Eiern, Fisch und Rohkost, dahinter Berge an Brot, Brötchen und kleinen Kuchen; Kaffee und Tee dampft in Thermoskannen. Zum „Tidligski“ gehört neben menschenleeren Abfahrten stets die gemeinsame „Frokost“ in der Hütte. Bis zu 100 Skifahrer können jeden Mittwoch und Sonnabend für 150 norwegische Kronen Aufschlag zum Liftpass das exklusive Wedel-Frühstück genießen.
Nach neun Uhr füllen sich die Pisten allmählich. Doch Wartezeiten an den 27 Liften sind selten. In Trysil, 210 Kilometer nördlich von Oslo nahe der schwedischen Grenze, verteilen sich die Wintersportler am Berg. Wie das Netz einer Spinne führen die 64 Abfahrten vom 1.132 Meter hohen Gipfel des Trysilfjellet ins Tal, verzweigen und verbinden sich, ehe sie im unteren Drittel im Nadelwald verschwinden: 21 kinderleichte grüne,17 breite blaue Pisten, 15 genussvolle rote und elf steile schwarze Abfahrten. Die Pisten für Cracks mit einem Gefälle bis zu 45 Prozent konzentrieren sich im Bereich Høgegga, die Anfänger- und Kinderhänge am Højfjellssentret an der Nordflanke des Fjellbergs.
Hier liegt auch das „Winterreich“ der Smottene, die urigen Blockhütten von „Smottetass“ und seinen Freunden. Die tapsige Trollfigur ist Trysils Maskottchen für Angebote an den Nachwuchs: vom Mini-Snowboard-Land und Zauberteppich bis zur Märchenstunde bei der Berghexe Isiz. „Wohnort“ der norwegischen Trolle ist das „Trollbo“ am Turistsentret, wo Null- bis Neunjährige betreut werden und sich der Nachwuchs zur Kinderskischule trifft. Dass einige der 80 Skilehrer auch deutsch sprechen, ist in Norwegen fast selbstverständlich. Familienfreundlich zeigt sich Trysil auch am Lift: Kinder bis sieben Jahre fahren gratis – wenn sie einen Schutzhelm tragen. So geschützt, stürzen sich drei norwegische Steppkes auf Skiern, kaum vier Jahre alt, eine Halfpipe hinab, schneller und wagemutiger als die jugendlichen Rider im „Ski Park“, der unter Snowboardern als spektakulärste Anlage des Landes gilt.
„Auch Langlauf ist in Norwegen ein Familiensport“, erzählt Runa Eggen später und zeigt auf einen Vater, der seinen kleinen Sohn in eine „Fjellpulka“, die klassische Kindertrage made in Norway, setzt. In die Seitentasche kommt die Verpflegung: Kviklunch, die unverzichtbare norwegische Schokowaffel für zwischendurch. Mit kraftvollen Schwüngen gleitet das Duo auf der Loipe, die zwischen zwei klassischen Spuren eine breite Fläche für Skater anbietet, durch die glitzernde Winterlandschaft. Namensgeber der Langlaufarena, deren drei Rundkurse in ein 100 Kilometer großes Loipen-Netzwerk eingebunden sind, war ein Soldat mit außergewöhnlichen Skikünsten.
Seine Ballade, 1882 von Bernt Lund verfasst, ist in allen norwegischen Schulbüchern zu finden ist: Trysil-Knut. Im Ortszentrum von Trysil, das sich des ältesten Skiclubs der Welt rühmt, erinnert ein Denkmal an den Skipionier. Ein Pionier etwas anderer Art ist Tor Arne Myrheim. Vor vielen Jahren hat der Journalist seinen Schreibtisch gegen ein paar Zelte und Hundehütten getauscht. Im Sommer startet er mit kleinen Wagen, im Winter mit Schlitten aus Birkenholz zu Husky-Safaris. „Bindet die Schlitten erst am Baum fest, ehe ihr die Hunde anspannt“, rät der 53-Jährige seiner Gruppe, die an diesem Nachmittag dem Flusslauf des Trysil-Elva folgen will.
„Vorne links kommt Anka als Leittier, rechts Essell als Tempomacher. Sinta in der Mitte kontrolliert das Gespann, hinten sorgt Baltuss für den richtigen Abstand zum Schlitten. „Hike“ – „Los!“ Mit 25 bis 40 Stundenkilometern sausen die Schlittenhunde durch den Wald, ignorieren Wurzeln, Engpässe und andere Hindernisse. „Ghee – rechts, und langsam in die Kurve. Stellt euch auf die Bremse!“. Nach wenigen Minuten zeigen sich trotz 18 Grad minus die ersten Schweißperlen auf der Stirn – gesteuert wird einzig mit dem eigenen Körpergewicht. Was anfangs so leicht und gemütlich aussah, erweist sich als Adrenalinkick für Sportliche. Erschöpft, aber glücklich, schwebt die Gruppe am Abend mit dem letzten Lift hinauf zur Knetsedra-Hütte.
Jeden Dienstag und Freitag wird der historische Hof von 1790 zum Mekka für Fondue-Fans, die im Kerzenschein schlemmen und mit Fackeln in der Hand zu ihren Ferienhäuser zurück fahren. Natürlich auf Ski – von vielen Pisten führen Wege direkt bis zur Haustür. „Ski in, Ski out“ ist in Trysil Urlaubsalltag. 1.300 „Hytta“ werden vermietet, von einfach-kleinen Blockhütten mit Grasdach bis hin zu komfortablen, geräumigen Chalets. Sauna und Skikammer, meist ein Abstellschrank in der Hauswand, sind fast immer Standard. Beim morgendlichen Brötchenholen kann man durchaus auf Prominenz treffen: Lauflauf-Star Bjørn Daehlie hat hier sein Feriendomizil, in seiner Nachbarschaft genoss Formel-Eins-Pilot Michael Schumacher in einem 600-Quadratmeter-Blockhaus regelmäßig seinen Winterurlaub.
Dieser Beitrag wurde im Januar 2005 vom gms-Themendienst der dpa verbreitet und u.a. am 2. Februar 2005 von Spiegel Online veröffentlicht.