Selbst Götter waren hier zu Gast. Nackt und in vollendeter Schönheit soll einst Aphrodite am Felsstrand von Petra tou Romiou einer Muschel entstiegen sein, die der Sturm an Zyperns Gestade getrieben hatte. Ob Dichtung oder Wahrheit: Die legendäre Schönheit der Schaumgeborenen hat auf die Insel abgefärbt.
Zentrum der Aphrodite-Verehrung ist Pafos, einst Hauptstadt der Ptolemäer, heute ein expandierender Ferienort. Schon das Klima ist hier göttlich: 300 Tage Sonnenschein. „Luft 24°, Meer 20°, Pool 32° “ informiert in weißer Kreide eine Schiefertafel die Gäste des Thanos-Hotels The Annabelle beim Gang zum Frühstück.
Was der Stadt an schönen Stränden fehlt, macht sie mit Kultur wett: dem türkischen Kastell am Hafen, den Königsgräber – und der Unterstadt Kato Pafos. Seit 1980 stehen die zahlreichen archäologischen Stätten, die mehr als 95 Hektar bedecken, in der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes – Areale und Monumente von der Prähistorie bis zum Mittelalter.
Die bedeutendsten Funde stammen aus dem 3. bis 5. Jahrhundert vor Christus: farbenfrohe Bodenmosaike in vier altrömischen Villen, Bildergeschichten von Liebe und Eifersucht, gescheiterten Helden, bukolischer Lebensfreude, Lust und Leid der griechischen Götter.
Das Mosaikmuseum liegt direkt am Hafen. Fischerkähne und Freizeitboote schaukeln einträchtig nebeneinander an der Mole, Passanten hocken auf Pollern, Angelruten stecken zwischen glattgrauen Steinen im glasklaren Meer. Nicht immer war die Stimmung so friedlich. Der Umbau der alten Hafenschuppen zur touristischen Bar-Meile in Beton hatte für Streit gesorgt.
Heute vereint der Kommerz die einstigen Konkurrenten. Besonders am frühen Abend, wenn das Licht der untergehenden Sonne den Hafen und das türkische Kastell in warmes Gold taucht, sind die Cafés und Restaurants bis auf den letzten Platz besetzt.
Agios Neophytos hingegen litt schon zu Lebzeiten unter dem Ansturm der Besucher und Gläubiger, die ihn Ende des 12. Jahrhunderts in seinem Kloster in einem Hügel hoch über Pafos aufsuchten. Immer wieder störten sie den Eremiten in seiner Höhlenklause bei der stillen Zwiesprache mit Gott.
So flüchtete er schließlich in eine obere Höhle, die nur noch mit Strickleiter zu erreichen war. Seine untere „Egkleistra“, über und über mit byzantinischen Fresken und Wandmalereien lebensgroßer Heiligen geschmückt, lädt seitdem zur Einkehr mit Aussicht: Weit reicht der Blick vom Balkon über die Bucht von Pafos.
In unzähligen Kehren windet sich die Straße zwischen den Flusstälern des Ezousa und des Xeros Potamos zu einem zweiten Kloster, das nicht mit einmaligen Fresken oder Architektur, sondern mit einem besonderen Saft aufwartet: Rot- und Weißweine aus eigenem Anbau. Im Keller der Panagia Chrysorrogiatissa reift die edlen Tropfen des Monte Rogia in Eichenfässern heran.
Herr der Reben ist Pater Styliano, der seinen winzigen Laden im Klosterhof mit religiösen Reliquien bei Interesse blitzschnell in eine Probierstube für Weine aus roten Maratheftiko– und weißen Xynisteri-Trauben verwandelt. Plastikbecher und Flaschenöffner liegen stets griffbereit unter dem Tresen. Der berühmteste Wein der Insel ist angeblich der älteste der Welt: Den süffig-schweren „Commandaria“ soll bereits Jesus mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl genossen haben.
Im Anassa genießt Alekos Michaelides den süßen Dessertwein an der Bar. Der ehemalige Außenminister Zyperns hat zwischen dem Fischerort Latchi und dem Akamas-Nationalpark gegen den Widerstand von Umweltgruppen und engagierter Bürger seine Vorstellung einer perfekten Wohlfühloase realisiert: ein 8,5 Hektar großes Resort für alle, die sich im Nordwesten Zyperns an der Chrysochou-Bucht zurückgezogen erholen möchten.
Draußen duftet die Luft nach Wildkräutern. Wacholder-, Pinien-, Oliven- und Eukalyptusbäume bedecken die Hügel. An den Bädern der Aphrodite (Loutra tis Afroditis) pellen Urlauber die Mandarinen, die sie für wenige Cents beim Popen am Parkplatz gekauft haben. Schmetterlinge tanzen über dem kleinen Wasserbecken in der Grotte.
Das Land atmet Stille. Bis plötzlich ein lauter Knall den Frieden zerstört. Mitten im Nationalpark genießen die Briten als ehemalige Kolonialherren bis heute das Privileg, auf ihrem Übungsplatz jederzeit schießen zu dürfen.
Dieser Beitrag ist am 19. August 2002 auf Spiegel Online erschienen.